Drohnen spielen in "Blinder Fleck" eine Hauptrolle. Ob im Guten oder im Bösen, das fragt der neue Zürcher "Tatort" in einem vielschichtigen Drama.

Eine Kritik
Diese Kritik stellt die Sicht von Iris Alanyali dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

"In Zukunft gehört der Himmel den Drohnen", sagt der Experte Ken Rumpf. "Entscheidend ist, dass die Guten die Technik haben." Denn die Drohnen seines Unternehmens "Security Rumpf" sehen alles. Kommen in allen Größen, haben alle möglichen Reichweiten. Aber ist der smarte Businessmann ein Guter? Kommissarin Tessa Ott (Carol Schuler) zweifelt daran. Wer weiß, vielleicht produziere "Security Rumpf" ja auch jene Drohnen, mit denen man Menschen töten kann?

Mehr News zum "Tatort"

Sympathischer ist der Ermittlerin da der Waldarbeiter und Vogelfreund Luca Gasser (Nicola Perot): Luca ist eindeutig ein Guter. Oder? Schließlich benutzt er eine Drohne, um damit von einem Aussichtsturm im idyllischen Zürcher Oberland Greifvögel zu beobachten. Stolz überlässt er Tessa Ott die Aufnahmen seines Geräts: Wäre ja cool, könnte er damit bei der Aufklärung eines Kriminalfalles helfen!

Vom Sehen und Zeugnis-Ablegen

Denn am Waldrand liegen drei tote Ausflügler. Ein Vater, eine Mutter, ein Bankberater. Kopfschüsse, wie bei einer Hinrichtung. Die Waffe fehlt. Unter dem Rock der toten Mutter, die als Einzige noch im Auto saß, hat sich die sechsjährige Tochter Ella versteckt. Ella scheint alles mit angesehen zu haben. Traumatisiert klammert sie sich an ihre Retterin Isabelle Grandjean (Anna Pieri Zuercher) und bringt tagelang kein Wort heraus.

Der neue "Tatort" aus Zürich (Drehbuch: Claudia Pütz und Karin Heberlein) ist ein spannendes Gedankenspiel über das Sehen und Zeugnis-Ablegen. Objektivität und Subjektivität. Und darüber, wie man als Mensch Gesehenes erträgt.

Grandjeans und Otts Ermittlungen ergeben bald, dass Ellas Eltern zusammen mit dem Investor Joel Müller (Ralph Gassmann) Inhaber eines Start-ups waren und ein Programm entwickelt haben, das genau jene Technik blockiert, auf die Drohnen-Freund Ken Rumpf so stolz ist: "Blind Spot" (Blinder Fleck) erschwert computergesteuerte Gesichtserkennung. Um das Programm aus dem Weg zu haben, wollte Rumpf es kaufen.

Investor Müller witterte ein Millionengeschäft. Ellas Vater Tomic allerdings wehrte sich gegen den Verkauf. Daraufhin verlangte Joel Müller vom Bankberater des Paares, ihrem Start-up den Geldhahn zuzudrehen und seine Partner so zum Verkauf zu zwingen.

Alles eine Frage des Motivs

Sowohl Müller als auch Rumpf haben also ein Motiv. Aber dann taucht noch eine ganz andere Ermittlungsspur auf: Tomic und sein Bankberater Jakob Bachmann (Uwe Schwarzwälder) waren alte Bekannte. Im Bosnienkrieg gehörten sie zu einer paramilitärischen Gruppe von Kroaten, die Kriegsverbrechen verübte. Ein Mord aus Rache?

Mit der Verbindung der Opfer zum Bosnienkrieg bekommt "Blinder Fleck" eine weitere Dimension. Es scheint so leicht, sich zum Töten hinter der Technik einer Drohne zu verstecken. Aber der Krieg hat gezeigt, dass es auch ganz einfach sein kann, aus unmittelbarer Nähe zu töten. Mit den eigenen Händen. Wenn das Motiv nur stark genug ist.

Als Isabelle Grandjean ihren Freund Milan Mandic (Igor Kovac) als Informationsquelle in den Fall hineinzieht, reagiert dieser verletzt. Vergangene Zürcher "Tatort"-Folgen ließen bereits ahnen, dass die Beziehung der beiden etwas mit dem Bosnienkrieg und Grandjeans Vergangenheit am Internationalen Gerichtshof in Den Haag zu tun hat. In dieser Episode bekommt die Figur Mandic mehr Hintergrund und damit mehr Tiefe. Ähnlich Ella weigert er sich, von Isabelle "wieder", wie er sagt, in seine Erinnerungen gedrängt zu werden. Menschen, daran muss die kopflastige Ermittlerin gelegentlich erinnert werden, sind keine Datenbanken.

Vom eigenen Menschsein geblendet?

Aber sind menschliche Zeugen tatsächlich immer die verlässlicheren, wie Grandjeans Kollegin glaubt? Tessa Ott hält nichts von dem werbewirksamen Plädoyer Ken Rumpfs zum Beitrag, den Überwachungsdrohnen bei der Polizeiarbeit leisten könnten. Das Überwachen übernehme sie lieber persönlich, sagt sie.

Was aber, wenn der von ihr gepriesene menschliche Faktor blind macht? Ott ist sichtlich angetan von dem sympathischen Vogelfan Luca – dabei hat das Fernsehpublikum längst Zweifel an seiner Aufrichtigkeit. Warum hilft Luca dem undurchsichtigen Motorradfahrer im Wald, der in der Nähe des Tatorts war und eine Pistole besitzt?

Auch das macht "Blinder Fleck" reizvoll: Das Publikum weiß mehr als die Ermittlerinnen. Was aber noch lange nicht heißt, dass es die richtigen Schlüsse daraus zieht. Regisseur Tobias Ineichen inszeniert, auch mit Hilfe von Michael Saxers (gelegentlich natürlich drohnengesteuerter) Kamera, "Blinder Fleck" als einen perspektivenreichen, aber nie überladenen Kriminalfall, dessen Bildsprache das Thema spiegelt. Die Wahrheit ist wie so oft komplizierter als das, was man sieht. Egal ob mit seinen eigenen Augen oder denen einer Drohne.

JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.