Endlich. Was haben wir gemeckert über die "Tatorte" der vergangenen Wochen. Zu überladen, zu verworren, zu langweilig. Und dann endlich dieser: "Trotzdem" aus Franken. Der letzte Fall für Dagmar Manzel als Nürnberger Kommissarin Paula Ringelhahn. Ruhig, klar, bewegend. Eine Tragödie der gezäumten Gefühle.

Eine Kritik
Diese Kritik stellt die Sicht von Iris Alanyali dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Drei Jahre lang haben die Schwestern Maria (Anne Haug) und Lisa (Mercedes Müller) für ihren Bruder gekämpft. Lenni sitzt im Gefängnis, weil er seine Ex-Freundin umgebracht haben soll. Aber Lenni, der beliebte, liebe, lustige Lenni wäre zu so etwas gar nicht fähig, sagen die Schwestern. Und sie sind nicht die Einzigen. Sogar der Polizeichef hatte damals seine Zweifel. Aber die Beweislage, die Alibis man kennt das.

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Doch jetzt hat Lenni sich im Gefängnis umgebracht. Und jetzt beauftragt der erschütterte Polizeichef seine Kommissarin Paula Ringelhahn und ihren Kollegen Felix Voss (Fabian Hinrichs), den Fall neu aufzurollen. Aber jetzt ist es zu spät, sagen die Schwestern, und verweigern die Zusammenarbeit bei dieser Gewissensberuhigungsermittlung. Ringelhahn und Voss reagieren unwirsch. Man wolle doch helfen!

Ein zweiter toter Bruder

Als ob man als Schwestern eines zu Unrecht verurteilten Toten nicht andere Sorgen hätte. Als Schwestern eines zu Unrecht verurteilten Toten fährt man zu dem wahren Mörder. Zu Stephan Dellmann (Justus Johanssen), von dem man überzeugt ist, der Mörder der Frau von damals zu sein. Man schubst ihn über das Geländer seines Balkons. Einfach so. So leicht ist es manchmal eben doch, einen Menschen zu töten. Selbst wenn man sich dazu gar nicht für fähig gehalten hätte. Wie kommt man damit klar? Ringelhahn und Voss stehen wieder vor der Tür.

Die beiden Ermittler müssen nicht nur Morde aufklären, schnell stellen sie fest, dass sie auch weitere verhindern müssen. Denn Stephans Vater, der erfolgreiche Unternehmer Karl Dellmann (Fritz Karl), scheint entschlossen, Rechnungen zu begleichen. Auf seine Art, die mit einer Vergangenheit zu tun hat, die nicht aus einer liebenden Ehefrau, devoten Söhnen und geschmackvoller minimalistischer Büroeinrichtung bestand.

Karl Dellmann huldigt dem Minimalismus mit jeder Faser seiner eleganten Erscheinung. Nicht nur, um die Welt von etwas abzulenken. Sondern auch, um sich von der Welt abzulenken. Als könne da etwas in ihm nur durch ein extrem geordnetes Leben im Zaum gehalten werden.

"Tatort: Trotzdem": Ein minimalistisches Gesamtkunstwerk

"Trotzdem" ist eine Geschichte über den Versuch, menschliche Verfehlungen zu behandeln wie Geschäftsbilanzen. Mit Schuld und Sühne umzugehen, als seien es Posten einer Rechnung, an deren Ende unbedingt ein positives Ergebnis stehen soll. Angemessene Wiedergutmachung, kühl kalkulierte Rache. Aber wie lässt sich ein Schlussstrich unter ein Leben in den Miesen ziehen?

Max Färberböck, der mit Danny Rosness Regie geführt und mit Stefan Betz auch das Drehbuch geschrieben hat, inszeniert diesen eindringlichen "Tatort" als Gesamtkunstwerk, in dem von den hervorragenden Schauspielern über die Dialoge und Bilder (Kamera Christoph Krauss, Szenenbild Gabi Pohl) bis hin zur sehr sparsam eingesetzten Musik (Richard Ruzicka) alles der Weniger-ist-mehr-Architektur im Leben der Dellmanns entspricht.

Dass Lennis Schwestern einen verspielten Dessousladen betreiben, dass Maria außerdem einen liebenswert großspurigen "Ich-regel-das-schon"-Freund (Florian Karlheim) aus der grellen Welt der Fitnessstudios und Sicherheitsdienste hat, illustriert nur umso stärker die Gegensätze.

Aber mit der farbenfrohen Zuversicht hat es jetzt ein Ende. Gegen Lennis Gefängnisstrafe ließ sich ankämpfen. Doch gegen Lennis Suizid kommt das entschlossene Trotzdem der Schwestern nicht an. Eine fassungslose Stille zieht in ihr Leben ein. Und eine lähmende Bedrohung: Zwei Familien stehen sich gegenüber, die beide durch einen toten Bruder in ihren Grundfesten erschüttert werden. Lennis Tod löst eine dramatische Kettenreaktion aus, an deren Ende es nur Verlierer geben kann.

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Ein leiser, perfekter Abschied

Es gebe zu viel Wahnsinn in der Welt, sagen gleich mehrere Figuren im Laufe dieser Tragödie. Nur die Konsequenzen, die sie daraus ziehen, unterscheiden sich. Paula Ringelhahn hat von diesem Wahnsinn genug. Max Färberböck, von dem auch der erste "Tatort" mit Ringelhahn & Voss von 2015 stammte, verschafft ihr einen lässigen, leisen Abschied.

Perfekt für Paula Ringelhahn, perfekt für Dagmar Manzel. Auch so kann man "Tatort"-Kommissarinnen gehen lassen.

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