Mord im Eroscenter: "Siebte Etage" hat Huren lieb und nimmt eine klare Haltung zum Thema Prostitution ein. Doch das führt zu einem Problem.

Eine Kritik
Diese Kritik stellt die Sicht von Iris Alanyali dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Der 23-jährige Haustechniker eines Kölner Laufhauses wird aus dem Fenster geschubst, und außer seiner Schwester Kaja Zeman (Nuriye Jendroßek) ist niemand so richtig traurig darüber. Die anderen Mieterinnen nehmen nicht einmal Kaja ihre Trauer richtig ab.

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Malik Zeman (Mehdi Salim) hat sie alle mies behandelt, weshalb erst einmal alle verdächtig sind. Also müssen die Kommissare Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Freddy Schenk (Dietmar Bär) alle Bewohnerinnen der siebten Etage des Eroscenters, die zum Zeitpunkt des Mordes anwesend waren, genauer unter die Lupe nehmen.

Ganz normale Ermittlungen also, für den Kölner "Tatort" aber vor allem eine Gelegenheit, seinem Ruf als besonders sozialbewegter Teil der Krimireihe gerecht zu werden.

Jasmin Backes ist längst eine gebrochene Seele

Nacheinander werden dem Publikum die Lebensgeschichten der Frauen als Panoptikum der Prostitution nahegebracht. Jasmin Backes (Antonia Bill) zum Beispiel ist die selbstbestimmte Sexarbeiterin, die mit dem Job nach der Schule ganz freiwillig angefangen hat. Anfangs berauscht von der guten Bezahlung und dem Machtgefühl über die Männer, ist sie längst eine gebrochene Seele.

Cosima Adam (Senita Huskic) ist die allein erziehende Mutter, arm aber ehrlich, die wegen ihres Berufs keine Wohnung bekommt. Dabei will sie unbedingt ihre zwei kleinen Söhne von den Großeltern zu sich holen, damit die nicht so werden wie "ihr Vater und meine Brüder".

Tani Schiller (Maddy Forst) schließlich ist das Opfer von Menschenhandel – mit falschen Versprechungen nach Deutschland gelockt und zur Prostitution gezwungen, ist sie inzwischen mit ihrem ehemaligen Zuhälter verheiratet und merkt nicht, wie wenig sich dadurch an der Beziehung geändert hat.

Maddy Forst, Senita Huskić und Antonia Bill

Diese drei "Tatort"-Prostituierten spielten sogar die Kommissare an die Wand

Im neuen Kölner "Tatort" setzen Maddy Forst, Senita Huskić und Antonia Bill als Krimi-Prostituierte neue Maßstäbe. Gedreht in einem echten Bordell brachten die Darstellerinnen mit intensiven Szenen frischen Wind in die Krimi-Reihe.

Alle Darsteller überzeugen

Komplettiert wird die Ersatzfamilie der siebten Etage durch Nebenfiguren, die von Gaststars verkörpert werden und als unterhaltsame Ablenkung vom Ernst der Lage dienen sollen. Die Kölner Theaterschauspielerin Hella-Birgit Mascus ist die Putzfrau Renate, Typ "Kölner Urgestein". André Eisermann spielt den Eros-Geschäftsführer als Chef vom Schlage "hart, aber gerecht". Und Sängerin Sabrina Setlur brilliert in der Rolle als ungenierte Maniküristin und moderner Version einer Puffmutter.

Alle Darsteller überzeugen. Auch Regisseur Hüseyin Tabak inszeniert das Sexgeschäft so unerotisch wie möglich und kann Klischees weitgehend vermeiden dass rotes Licht dominiert und immer kalt und vereinsamend wirkt, liegt nun einmal in der Natur der Sache. Mithilfe von Kameramann Lukas Gnaiger gelingen mitunter tragikomische Szenen, etwa, wenn eine schnelle Schnittfolge von Männern beim Orgasmus mit dem toten Haustechniker auf dem Seziertisch der Pathologie endet.

Warum geht "Siebte Etage" trotzdem schief?

Das Thema ist wichtig, das Autorenpaar Eva und Volker A. Zahn hat gewohnt gründlich recherchiert und scheut sich auch nicht, zum Thema Prostitution eine klare Haltung zu vertreten. Zwei Drittel des "Tatort" wurden an einem Originalschauplatz gedreht, in einem Kölner Laufhaus, wo in den unteren Etagen die Arbeit ganz normal weiterging, während das Fernsehteam eine obere Etage besetzte.

Warum geht, bei so viel Sorgfalt und Authentizität, "Siebte Etage" trotzdem schief? Warum lassen einen die Figuren so kalt und zieht sich die Geschichte so langweilig dahin?

Weil das Thema so wichtig ist, weil das Autorenpaar so gründlich recherchiert hat, und eben weil es sich nicht scheut, zu Prostitution eine klare Haltung zu vertreten. Es ist ein typischer Fall von Sendungsbewusstsein über Unterhaltungswillen, an dem "Siebte Etage" leidet.

Die Kamera drängt die Fernsehzuschauerinnen und -zuschauer regelmäßig in die Perspektive der Freier

Auf der "Tatort"-Seite des Ersten sind lesenswerte Interviews mit den Autoren zu finden, die einen Eindruck von der Komplexität des Themas vermitteln und davon, wie erhellend die Recherchen vor allem für Eva Zahn waren.

Selbstbewusst lehnt sie darin die Behauptung von Huren-Verbänden und Hilfsorganisationen, dass Prostitution ein Beruf wie jeder andere sei, als unrealistisch ab: "Das hat sich [...] für mich nicht bestätigt. Wenn man tiefer in die Thematik eintaucht und Aussteigerinnen, Sozialarbeiterinnen und Therapeutinnen zuhört, muss man zu dem Ergebnis kommen, dass die Sexindustrie ihren exorbitanten Profit allein durch Gewalt und die Ausbeutung der Frauen erzielt."

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Von den Wunden an Körper und Seele will "Siebte Etage" erzählen. Will zeigen, wie verlogen es ist, die Prostitution zu legalisieren, Prostituierte im Alltag aber gleichzeitig zu ächten. "Siebte Etage" erinnert daran, dass eine Gesellschaft, die in den letzten Jahren so intensiv daran gearbeitet hat, von Männern gemachte Strukturen aufzubrechen, ausgerechnet dort ein Auge zuzudrücken scheint, wo das Ungleichgewicht Frauen nicht nur im übertragenen Sinne niederdrückt.

Aber der Film ist so bemüht, seinem Thema gerecht zu werden, dass die Entrüstung über die Zustände sich regelrecht zwischen die Opfer dieser Zustände und das Publikum stellt: Die Kamera drängt die Fernsehzuschauerinnen und -zuschauer regelmäßig in die Perspektive der Freier.

Die Hauptfiguren richten ihre anklagenden Worte nicht nur an die Kommissare mehrfach durchbrechen sie die sogenannte vierte Wand, indem sie in die Kamera blicken und das Publikum direkt ansprechen. So wird man zwar aufgeklärt, aber mitfühlen kann man nicht.

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