Dialoge wie aus dem Handbuch der Hitlerjugend, aber sonst ganz unterhaltsam: Kommissar Murot begibt sich auf Zeitreise in ein hessisches Dorf, in dem ein englischer Spion ermordet wurde.

Eine Kritik
Diese Kritik stellt die Sicht von Iris Alanyali dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Kommissar Felix Murot (Ulrich Tukur) und seine Assistentin Magda Wächter (Barbara Philipp) sitzen am Frankfurter Flughafen und warten auf die Ankunft eines Kriegsverbrechers aus Südamerika.

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Hagen von Strelow sitzt im Flugzeug auf seinem Fensterplatz und sinniert. Oder deliriert. Was über hundertjährige Nazis eben so tun, wenn sie alt und müde sind und mit ihrer Vergangenheit konfrontiert werden.

"Tatort: Murot und das 1.000-jährige Reich": Oberst Friedrich Rother nimmt die Ermittlungen auf

Hagen von Strelow träumt sich ins Jahr 1944. Er ist ein junger, fescher Leutnant, glühender Nationalsozialist und als solcher der Adjutant von Sonderermittler Friedrich Rother (Ulrich Tukur). Eine Autopanne verschlägt sie in ein beschauliches hessisches Dorf, in dem kurz darauf ein britischer Soldat ermordet wird.

Der Mann hatte kriegsentscheidende Dokumente bei sich: detaillierte Informationen über die bevorstehende Invasion der Alliierten. Die Papiere sollten also schnellstmöglich nach Berlin gebracht werden, doch sie sind unauffindbar.

Oberst Friedrich Rother quartiert sich mit seinen Männern im Gasthof ein, nimmt die Ermittlungen auf. Dabei ist ihm die Aushilfskellnerin Else Weiß (Barbara Philipp) schnell eine größere Hilfe als sein übereifriger Adjutant. Zumal der bald den nicht ganz unbegründeten Verdacht hegt, dass sein eigentlich bewunderter Vorgesetzter gar nicht will, dass die Dokumente in Nazihände gelangen.

Also beginnt Hagen von Strelow seine eigene Untersuchung, mit ordentlichen Nazimethoden. Friedrich Rother sucht derweil das Gespräch, beobachtet und unternimmt Spaziergänge.

Rother selbst ist kriegsmüde

Der neue "Tatort" aus Wiesbaden ist einerseits gewohnt ungewöhnlich: Murot und Wächter ermitteln als Rother und Weiß im Hessen des Jahres 1944. Andererseits ist "Murot und das 1.000-jährige Reich" ganz klassisch erzählt: ein Verbrechen in einem beschaulichen Dorf voller Verdächtiger mit unterschiedlichen Motiven und Geheimnissen.

An diesem abgelegenen Ort hat jeder ein Dach über dem Kopf und genug Essen auf dem Teller, aber vom Leben unter der Diktatur gezeichnet sind sie alle. Rother selbst ist kriegsmüde. Einer, der es im Reich weit gebracht hat, bevor er endlich zur Vernunft kam. Und er ist nicht der Einzige, der genug hat von den "beflissenen Von-und-Zus" um ihn herum.

Dieser "Tatort" wirkt etwas museal

Im Dorf gibt es die ländliche Variante dieser Von-und-Zus, die glühenden Verehrerinnen Hitlers zum Beispiel, die ihre zweifelnden Ehemänner verachten. Es gibt die schweigsamen Realisten, die erkannt haben, dass aus den 1.000 Jahren nichts mehr wird und Informationen wie die gesuchten Papiere die Qual nur verlängern würden.

Und es gibt Verzweifelte wie Else Weiß, die auf die Zivilcourage vereinzelter Aufrechter angewiesen ist und die sich verstecken müsste, wenn die Frankfurter Gestapo anrücken würde, um im aufgewühlten Dorf wieder für Recht und Ordnung zu sorgen.

Gedreht wurde unter der Regie von Matthias X. Oberg im Freilichtmuseum Hessenpark, wo normalerweise Besucher historische Fachwerkhäuser besuchen können – und leider wirkt auch dieser "Tatort" etwas museal. Manche Dialoge (Buch: Michael Proehl und Dirk Morgenstern) klingen wie aus einem Handbuch der Hitlerjugend für den soldatischen Oberprimaner.

Grobe Kopftücher und irdenes Kochgeschirr wirken weniger wie Alltagsgegenstände, sondern eher wie liebevoll arrangiertes historisches Product Placement, und auch das dörfliche Leben sieht aus, als hätte man dieselben Statisten engagiert, die an Wochenenden für die Touristen hessischen Alltag spielen.

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Aber Ulrich Tukur als Friedrich Rother fühlt sich sichtlich wohl in seiner Rolle als undurchsichtiger, nachdenklicher Kriegsheld. Barbara Philipp ist ebenso überzeugend als nervöse Else Weiß. Und Ludwig Simon, der den jungen Hagen von Strelow spielt, könnte eine große Karriere als fein gemeißelter Bilderbuch-Nazi in amerikanischen Film- und Fernsehproduktionen bevorstehen.

So geht "Murot und das 1.000-jährige Reich" recht unterhaltsam seinem Ende entgegen. Man darf nur kein aufwühlendes Kriegsdrama erwarten.

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