Pressearbeit ist für sie ein "notwendiges Übel", Tiktok nutzt sie nur, weil sie es "muss". AnNa R., die früher mit Rosenstolz ("Liebe ist alles") an der Seite von Peter Plate Charterfolge feiern konnte, spricht im Interview mit unserer Redaktion über ihre neue Arbeit als Solokünstlerin. Heute ist ihr Album "König:in" erschienen, mit dem die 53-jährige Sängerin auch zum Nachdenken anregen möchte.
AnNa R., Ihr Debüt-Soloalbum "König:in" (Erscheinungsdatum: 22. September) wurde als "ein Pop-Plädoyer für Menschlichkeit" angekündigt. Ist es denn ebenso ein musikalisches Plädoyer für das Gendern?
AnNa R.: Wenn man so möchte, dann ist "König:in" ein Pop-Plädoyer für Menschlichkeit, ja. Mit dem gegenderten Albumtitel wollte ich hingegen erreichen, dass man noch einmal darüber nachdenkt. Welches Wort steht denn vor dem Doppelpunkt?
"König" …
Genau. Ob man nun einen Doppelpunkt dahintersetzt oder nicht: Die männliche Form des Begriffs bleibt so oder so vorne stehen. Was bringt denn bitteschön das Gendern mit Blick auf die Gleichberechtigung, wenn von mir nur noch ein "in" übrigbleibt. Das ist die Frage, die ich mir stelle.
In dem Pressetext zum Album steht: "Die König:in ist ein Freak". Inwiefern?
Nun ja, jeder Mensch sollte doch ein bisschen freakig sein. Und jeder ist auch eine Königin oder ein König. Auf mich trifft das zu.
Ihren Song "Die Astronautin" haben Sie in einem Tiktok-Video als "Ode an sich selbst" bezeichnet. Wie meinen Sie das?
"Ode an sich selbst" klingt natürlich ein bisschen narzisstisch. Das meine ich damit aber nicht. Mir geht es darum, dass wir uns von äußeren und inneren Zwängen freimachen sollten. Häufig vergleichen wir uns mit anderen und lassen uns ein Stück weit einreden, welche Dinge wir zu tun haben und welche nicht. In den Songs dieses Albums geht es um Miteinander, Toleranz und Selbstwahrnehmung – also um die gesamte Bandbreite der menschlichen Gefühle. Selbstwahrnehmung insofern, dass eigentlich alles richtig ist, was man für sich als richtig empfindet.
Mit "Ein Meer voller Seelen" wollen Sie einen Beitrag dazu leisten, dass das Sterben im Meer endlich aufhört. Haben Sie noch Hoffnung?
Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt. Ich glaube immer noch daran, dass die Menschlichkeit eines Tages siegen wird – auch wenn das bisher noch nicht eingetreten ist. Aus meiner Sicht ist es eine weltweite Katastrophe, dass es scheinbar völlig egal ist, wie viele Menschen nach wie vor auf der Flucht in den Meeren ertrinken.
Ist das wirklich so, dass es egal ist?
Wenn es nicht so wäre, würde es doch aufhören, oder etwa nicht? Doch das ist nicht in Sicht. Natürlich ist es vereinzelten Personen nicht egal. Dieses Thema gerät aber häufig in Vergessenheit, weil es offensichtlich wichtiger ist, über andere Dinge zu sprechen, etwa über das Gendern. Wir erschrecken uns kurz darüber, sehen danach aber schnell wieder darüber hinweg, dass das Sterben weitergeht. Viele Menschen haben keine andere Wahl, als zu flüchten – weil sie kein Zuhause mehr haben. Und diese Hilflosigkeit wird immer wieder ausgenutzt.
Sie tragen die Themen, die Sie als wichtig erachten, aktuell im Rahmen einer Tour. Bisher waren Sie nie solo unterwegs, sondern immer als Duo oder als Teil einer Band – von Rosenstolz über Gleis 8 bis Silly. Wie groß ist die Herausforderung, vor der Sie nun stehen?
Ich denke, dass es auf der Bühne keinen so großen Unterschied machen wird. Schließlich stand ich auch zuvor in der ersten Reihe. Insofern bin ich vom Publikum sozusagen schon immer als Solistin wahrgenommen worden. Außerdem habe ich ja nach wie vor eine Band um mich herum. Der Unterschied besteht vielleicht darin, dass ich heute mehr Entscheidungen alleine treffen muss, als das früher der Fall war. Und ich muss dieses ganze Presse-Gedöns alleine machen (lacht).
Ich höre heraus, dass Sie nicht allzu gerne Interviews geben. Oder täuscht der Eindruck?
Ich sage mal so: Mir ist klar, dass die Pressearbeit – und dazu zählen nun mal auch Interviews – ein notwendiges Übel ist. Grundsätzlich stehe ich jedoch nicht so sehr darauf, den ganzen Tag lang immer das Gleiche zu erzählen.
Eine Frage, die Sie vermutlich immer wieder beantworten müssen, ist die nach einem möglichen Rosenstolz-Comeback. Nervt Sie das?
Ja, das nervt schon manchmal.
Ich kann Ihnen diese Frage leider nicht gänzlich ersparen: Dürfen sich die Rosenstolz-Fans Hoffnungen auf ein Comeback machen?
Wenn Sie sich mit mir beschäftigt haben, dann wissen Sie sicherlich, dass ich nicht in die Zukunft blicken kann – und dass ich das auch nicht möchte.
Dann frage ich anders: Werden die Fans Rosenstolz in ihren neuen Solosongs wiederfinden – auch mit Blick auf den Sound?
Über die Stimme auf jeden Fall. Ob sich die Rosenstolz-Fans darüber hinaus wiederfinden werden, kann ich nicht beurteilen. Klar ist aber auch, dass ich mich über die Jahre musikalisch weiterentwickelt habe. Es wäre schade, wenn das nicht so wäre. Auch wenn ich der Popmusik grundsätzlich treu geblieben bin, sind die Songs vielleicht ein bisschen "open-mindeder".
Soziale Netzwerke gab es zu Rosenstolz-Zeiten noch nicht. Warum sind Sie heute unter anderem auf Tiktok so aktiv?
Weil ich es muss.
AnNa R. nutzt privat keine sozialen Netzwerke
Ein weiteres "notwendiges Übel" also, auf das Sie gut verzichten könnten?
Ich persönlich sehe darin keine große Notwendigkeit, nutze soziale Netzwerke privat dementsprechend auch nicht. Gott sei Dank habe ich noch eine Aufmerksamkeitsspanne, die mehr als drei Sekunden dauert. Eigentlich sollte man Social Media nicht unterstützen.
Ist das nicht ein Widerspruch?
Das mag sein, aber ich mache das ja auch nicht täglich. Außerdem steckt ein Team dahinter, das mich dabei unterstützt, Themen zu generieren, die auf meine Musik abzielen.
Wie gut erreichen Sie mit Ihren Posts Ihre Zielgruppe?
Das ist eine schwierige Frage. Es gibt aber ganz bestimmt viele Menschen in meinem Alter, die sich auf dem Weg zur Arbeit in der Bahn oder im Bus herrlich über Tiktok amüsieren können. Dennoch gehe ich davon aus, dass der Großteil der Tiktok-Nutzer nicht meine Zielgruppe ist. Aber irgendwer wird sich schon etwas dabei gedacht haben, dass ich das mache …
Glauben Sie, dass Tiktok, Youtube und Co. Castingshows und andere TV-Formate eines Tages komplett abschaffen werden?
Ein paar Shows werden sich selber abschaffen, ja. Dafür wird es aber neue Sachen geben, weil die Industrie einfach viel zu groß ist. Die Macher werden neue Formate erfinden, mit denen man sich weiterhin verdummen lassen kann. Zudem wird ja niemand dazu gezwungen, sich zum Beispiel bei Instagram Videos von Katzen – mit Vorliebe auf Staubsaugerrobotern – anzuschauen.
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