Braucht man ein Label für die eigene Sexualität? In ihrem Podcast "G-Spot" spricht Model Stefanie Giesinger mit Sängerin Alli Neumann über ihre Bisexualität und Vorurteile gegenüber queeren Menschen. Ein intimes, einfühlsames Gespräch, das dennoch eine entscheidende Frage offen lässt.

Eine Kritik
Diese Kritik stellt die Sicht von Julia Hackober dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Als das Bedürfnis aufkam, mit einer Frau zu schlafen, habe sich ein ganz komisches Gefühl in ihr ausgebreitet, erzählt Stefanie Giesinger: "Das bin doch gar nicht ich. Ich stehe doch eigentlich auf Männer, war bisher nur mit Männern in Beziehungen. Habe ich mich verloren? Oder habe ich mich gefunden?"

Mehr News zu Stars & Unterhaltung

In der neuen Folge ihres Podcasts "G-Spot", der offensiv mit seiner Tabulosigkeit wirbt, spricht das Model über die Neuentdeckung ihrer eigenen Sexualität. Als Gast hat sie diesmal Sängerin und Aktivistin Alli Neumann eingeladen, die queer lebt, im Podcast von ihrer eigenen sexuellen Biografie berichtet und Giesinger Mut zuspricht, sich einfach auszuprobieren.

Die 27-jährige Giesinger beschäftigt sich nach eigenen Angaben nämlich seit zwei Jahren mit der Frage, ob sie vielleicht auch Frauen daten wolle. Auf Dating-Apps schreibe sie schon regelmäßig mit Frauen. Ausgelöst worden sei das Bedürfnis nach einem Kuss mit einer Frau in New York, bei dem sie vor Verwirrung "geschrien" habe: "Zum Glück fand die Frau das lustig."

Podcast "G-Spot": Stefanie Giesingers große sexuelle Verunsicherung

Zugegeben: Die Anekdote erinnert sehr an den berühmten Song "I Kissed A Girl" von Katy Perry, der tatsächlich auch in den Shownotes zur Folge von Giesinger zitiert wird. Für eine ernsthafte Auseinandersetzung mit queeren Lebensentwürfen scheint die Pop-Referenz ein wenig oberflächlich – auch wenn das Fazit von Giesingers Anekdote wohl darin bestehen soll, dass man Unsicherheiten lieber offen thematisieren sollte, als in Schamgefühlen zu versinken.

Nur: Wer im Podcast-Publikum auch nur den geringsten Hauch von sexueller Offenheit für sich beansprucht, fragt sich beim Zuhören schon, was denn nun eigentlich das Problem ist. Man hätte gedacht, dass die Erfahrung junger Menschen, sich sexuell auszuleben und selbst zu finden, im Jahr 2024 selbstverständlicher zum Erwachsenwerden dazugehört und nicht mit so viel Unsicherheit und Scham behaftet ist.

Und so wirft die Podcast-Folge eine entscheidende Frage auf, die nicht beantwortet wird: Nimmt es dem Publikum wirklich Ängste, so intensiv über die eigene Verunsicherung in Bezug auf die eigene Sexualität zu sprechen – oder werden dadurch nicht bestehende Klischees reproduziert, nämlich, dass es eine riesige Herausforderung bedeutet, die eigene Sexualität so anzunehmen, wie sie ist?

Einfühlsames Gespräch über sexuelle Freiheit

In jedem Fall tut die Podcast-Folge gut daran, sich nicht allzu ausufernd mit Giesingers Gefühlen rund um ihre eigene Sexualität aufzuhalten, die sie als "gruselig" beschreibt, sondern immer wieder zu allgemeineren Fragen rund um sexuelle Offenheit zurückzukehren.

Dass das Gespräch an Fahrt und Relevanz gewinnt, ist vor allem der einfühlsamen Art von Alli Neumann zu verdanken, die sehr offen darüber spricht, wie sie Queer-Feindlichkeit zwar nicht im familiären Umfeld, wohl aber in ihrer Heimat Polen erlebt: "An manchen Ortseingängen stehen Schilder: Hier ist LGBT-freie Zone." So sei sie einmal eines Supermarktes verwiesen worden, weil ihr Outfit "zu queer" wirkte. Es ändere sich nach dem Regierungswechsel vieles in Polen, aber der Blick ins Nachbarland zeige, wie schützenswert die persönliche Selbstbestimmung sei.

Die Problematik sexueller Labels

Sehr überlegt legt Neumann auch ihre Haltung zur Thematik rund um Outings und sexuelle Labels dar. Es sei nicht die Verpflichtung queerer Menschen, sich zu outen. Heterosexuelle Menschen machten das schließlich auch nicht, erklärt die 29-Jährige. Allen, die sich mit der Entscheidung quälen, ihre Sexualität öffentlich benennen und erklären zu müssen, rät sie mit Blick auf ihr eigenes jüngeres Ich: "Niemanden interessiert deine Sexualität so sehr wie dich, da kannst du dir sicher sein."

Labels empfinde sie beim Daten hingegen schon als hilfreich: "Ich möchte schon wissen: Bist du nur homoflexibel oder queer? Ich habe keine Lust, in Dating-Apps mit Frauen zu schreiben, die eigentlich nur Männer daten und nur auf Sex aus sind." Die Message: Queere Menschen wollen nicht unwissentlich für Selbsterkundungstrips herhalten müssen, sondern wissen, woran sie beim Flirten sind.

Zum Schluss des Podcasts teilt Neumann noch einen ganz konkreten Rat mit allen, die auf einer sexuellen Entdeckungsreise unterwegs sind: "Am Ende ist beim Daten eh immer alles neu. Du sitzt vor einem neuen Menschen, der neue Seiten in dir hervorbringen kann". Ein Gedanke, der vielleicht auch ihrer Gastgeberin Stefanie Giesinger weiterhilft.

JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.