Das fällt ihm früh ein. Nach 90 Krimiminuten und einem recht dramatisch gelösten Mordfall macht der Powerbulle Bukow (Charly Hübner) tatsächlich mal Feierabend. "Hab doch Urlaub", raunt er zur Kollegin König (Anneke Kim Sarnau), wirft wenig später die Haustürschlüssel in die Schale und ruft ins gardinenverhangene Wohnzimmer "Vivian!?" – Wo ist sie nur, die genervte und vernachlässigte Polizistengattin (Fanny Staffa), die wir zuvor beim Knutschen mit Bukows Kollegen Volker Thiesler (Josef Heynert) ertappt hatten?

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Abspann. Na prima. Als Krimigucker im Ersten Deutschen Fernsehen sollte man so langsam wissen, wie man "Cliffhanger" buchstabiert. Zumindest wenn die "Polizeiruf 110"-Crew aus Rostock dran ist. Beim Ostseekrimi laufen die Dinge eine Spur anders als gewohnt. Und das ist auch ganz gut so.

"Wir tun in Rostock ja so, als wären wir eine Serie – auch wenn wir nur alle sechs Monate drehen", erklärt Bukow-Darsteller Charly Hübner im Interview das Konzept: "Wir haben Spaß daran, den Ball hochzuhalten." Modernes Serienfernsehen nach amerikanischem Vorbild: Das sind ambivalente Figuren, scharfe Charakterzeichnungen, folgenübergreifende Handlungsstränge und eben Cliffhanger. Alles mustergültig vorgeführt im "Polizeiruf 110 – Zwischen den Welten" (Buch: Michael B. Müller, Jens Köster und Thomas Stiller, Regie: René Heisig), in dem Bukows Eheprobleme und Königs Kindheitstrauma mindestens ebenso interessant waren wie der zu lösende Fall: der Affektmord an einer Studentin, die ohne das Wissen ihres Gatten anschaffen ging, um das Spießerleben im Reihenhaus zu finanzieren.

Leichenfund beim Angelausflug

Nicht wirklich glaubwürdig, dass ausgerechnet der Kommissar eingangs beim Angelausflug mit den Kindern über die Frauenleiche im Wald stolpern musste. Aber so schön, wie der bärige Bukow über den Leichenfund fluchte und so rührend er sich mit seiner XXL-Plautze und der kurzen Hosen um die süße Tochter der Toten kümmerte, war man ja schon wieder versöhnt.

"Zwischen den Welten" – der Episodentitel dieses "Polizeiruf 110" trifft ganz gut, was da zu sehen war zur Premiumkrimizeit im Ersten. Halb die etwas biedere Abfrageschule ("Wo waren Sie zur Tatzeit?"), um die sie beim beherzten Schmuddelkrimi, der sich zwischen Frachthafen und Plattenbau am besten entfaltet, normalerweise einen großen Bogen machen. Zur anderen Hälfte aber eben zeitgemäße Erzählkunst mit vielen privaten Nebenschauplätzen, die in anderen Krimis tödlich nerven. Nicht aber wenn sie so feinnervig und differenziert gezeichnet sind wie im Rostocker "Polizeiruf".

Ein Prost auf Nirvanas Motto

Die beiden Kommissare werden eh von Mal zu Mal fulminanter, die lassen sich auch von Ermittlungen im Reihenhausmilieu nicht einschläfern. Irgendwann durfte man das Rock'n'Roll-Duo König und Bukow sturzbesoffen beim Grölen in der Karaokebar bewundern. Nirvanas "Come As You Are" haben sie sich ausgesucht. Gutes Motto für die großen Unangepassten im deutschen TV-Krimi-Gewerbe.  © 1&1 Mail & Media/teleschau

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