Auf "You Are Wanted" von Matthias Schweighöfer ruhen viele Hoffnungen. Mit Spannung wurde die erste deutsche Serie von Amazon Prime erwartet. Sie soll zeigen, dass auch diesseits des Atlantik große Serien auf dem Niveau der Amerikaner produziert werden können. Doch bis dahin ist es noch ein weiter Weg.

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Plattenbauten, irgendwo in Berlin. Ein Mann sitzt vorm Computer, löscht hektisch Daten, während es an der Tür hämmert. Er bearbeitet die Festplatten mit einer Bohrmaschine, gießt Benzin darüber, steckt sich dabei selbst in Brand und stürzt aus dem Fenster.

Matthias Schweighöfer mal ernsthaft

Es ist ein hohes Tempo, mit dem "You Are Wanted" einsteigt. Von Minute eins an soll klar werden: Das ist nicht die übliche deutsche Serienschlacke, die Einheitsödnis dauerermittelnder Provinzkriminalisten. Tja, und dann kommt Matthias Schweighöfer mit seinem gewohnt verschmitzten Frauenmagazin-Grinsen, nach dem man ihm sofort durch die Haare wuscheln möchte.

Und irgendwie meldet sich automatisch die innere Abwehr gegen den Mann, der Kinogänger vor allem mit Liebeskomödien terrorisiert. Ausgerechnet der soll jetzt die deutsche Serie im Alleingang retten?

Gestreamt in 200 Ländern und Abschnitten

"You Are Wanted" ist die erste deutsche Serienproduktion von Amazon Prime, die am Freitag gleichzeitig in 200 Märkten des Streaming-Anbieters startet. Die Premiere wird live übertragen, zeitgleich erscheinen Buch, Hörbuch und Soundtrack.

Schweighöfer ist der Star der neuen Serie, er soll für Amazon Kunden in Deutschland rekrutieren. Nebenbei ist er Produzent, Showrunner und führt Regie. Es lässt sich also behaupten, dass er in weiten Teilen für das Ergebnis verantwortlich ist.

Und das ist - gelinde gesagt - schnöde Durchschnittsware, wie schon nach den ersten beiden Folgen klar wird, die für Journalisten zur Voransicht bereit standen.

Hacker zerstören sein Leben

Schweighöfer spielt Hotel-Manager Lukas Franke, der ein beschauliches Vorzeige-Leben führt. Haus am Stadtrand, Kombi, Model-Frau (Alexandra Maria Lara), Sohn und Nutellabrote schmieren am Morgen.

Als ein Hacker sich in sein Leben drängt, gerät die Idylle ins Wanken. Frankes Frau bekommt die Nacktbilder einer erfundenen Geliebten zugeschickt, er wird von der Polizei verhört, weil er angeblich eine Bombe baut, und findet dann sein Gesicht auf dem Überwachungsvideo eines Baumarktes, den er nie betreten hat. Als er dann auch noch ein Paket für den Hacker ausliefern soll, bricht seine heile Welt vollkommen zusammen.

Das kennt man alles schon aus anderen Serien

Wem das alles irgendwie bekannt vorkommt, der liegt vollkommen richtig. "You Are Wanted" geht keine großen Risiken ein und bedient sich großzügig am Kino- und Serienfundus der vergangenen Jahre.

Das Motiv des Unbekannten, der Instruktionen am Telefon gibt? Spielte Colin Farrell 2002 in "Nicht auflegen". Inklusive der ständig um ihn herumkreisenden Kamera.

Das Hacker-Milieu als Stoff für Verschwörungstheorien? Setzt "Mr. Robot" wesentlich kreativer und authentischer um. Und verzichtet im Gegensatz zu "You Are Wanted" auf die ewig Kette rauchenden, im Keller sitzenden und Counter-Strike spielenden Nerds.

Matthias Schweighöfer geht mit "You Are Wanted" in Serie

Eigentlich ist Matthias Schweighöfer Filmschauspieler, aber jetzt zeigt er, dass er auch Serien kann – als Darsteller und Produzent. © YouTube

Selbst den großen Cliffhanger von Folge zwei hat sich "You Are Wanted" "ausgeliehen". Ohne zu viel zu verraten: Die gleiche Geschichte findet sich in einer der Folgen von Staffel drei der britischen Netflix-Serie "Black Mirror". Aber auch hier ist die Idee wesentlich überraschender umgesetzt.

Neben dem Hauptdarsteller gibt es nicht viel

Das größte Problem von "You Are Wanted" ist aber sicher, dass es in den ersten zwei Folgen nicht viel mehr zu bieten hat als seinen Hauptdarsteller. Die Nebenfiguren bleiben zu farblos, um einen Sog zu entwickeln. Die Inszenierung ist solide, unterscheidet "You Are Wanted" aber nicht von hunderten anderen Produktionen dieser Art.

Das kann sich heute keine Serie mehr leisten. Bei der Schwemme der vergangenen Jahre muss den Zuschauer spätestens in Folge zwei irgendetwas packen, das ihn dranbleiben lässt. Sonst wechselt er zur nächsten Serie.

"Goliath" etwa, das auch wenig Neues bietet, aber zumindest Billy Bob Thornton in Hochform. Oder "Start Up" mit Martin Freeman, das zusammenführt, was nicht zusammengehört: Nerds und Gangster.

"You are Wanted" ist eine Mainstream-Serie

Nur auf Matthias Schweighöfer zu setzen, ist zu riskant. Erst recht, wenn die Serie weltweit Zuschauer finden soll. Den Anspruch, das bessere deutsche Fernsehen zu liefern, verfehlt Amazon Prime - das mit Formaten wie "Transparent" und "Mozart In The Jungle" durchaus Mut für abseitige Unterhaltung bewiesen hat.

"You Are Wanted" ist eine Mainstream-Serie, wie sie auch jederzeit im Privatfernsehen laufen könnte. Solide inszeniert, aber auch wenig überraschend. Und das ist heute zu wenig.

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