Gefühlschaos beim Modelnachwuchs: Vor der Kamera sollen die letzten elf Mädchen auf Knopfdruck weinen, dahinter bloß keine Träne vergießen. Da kann man schon mal den Überblick verlieren. Oder eben die Contenance vor Heidi Klum.

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Sie will einfach nicht kullern. Heidi Klum beißt auf eine Chilischote, kratzt mit dem Messer an einer Zwiebel herum, aber keine Träne fließt. Erst als ihr eine Assistentin Zwiebelduft in die Augen fächert, werden die Augen feucht. Warum die kleine Gemüseshow? Bei "Germany's next Topmodel" geht's in Woche neun ausschließlich um die "Expression", die Ausdruckskraft. Und die, findet das Jury-Oberhaupt, zeigt sich am ehesten, wenn die Kandidatinnen mal eine Runde schluchzen und heulen.

Künstliche Tränen tun es beim Shooting im 20er-Jahre-Stil, bei der eine Abschiedsszene am Bahnhof nachgestellt wird, natürlich nicht. "Das ist viel echter, wenn ihr auch echte Emotionen rüberbringt", erklärt Klum ihren Schützlingen, während im Hintergrund traurige Geigenmusik aufspielt. Damit auch wirklich Tränen über die schönen Gesichter strömen, hat man tags zuvor die deutsche Schauspielerin Nina Franoszek in die Modelvilla geschickt, die mit den Mädchen auf "Meditationsreise" geht, um "Zugang zu euren Gefühlen zu kriegen".

Letztlich lungern alle auf einer Matte herum und sollen an etwas Trauriges denken. Das funktioniert bei Aminata nur so halb ("Ich lag da nur und dachte: Okay, ich chille jetzt eine Runde"), bei Juror Wolfgang Joop umso besser. Der Designer liegt sich mit Betty in den Armen und wirkt dabei tatsächlich emotional ergriffen.

Ein Meer aus Tränen und kein Land in Sicht

Beim Shooting klappt das Weinen auf Knopfdruck dann zum Glück auch ohne Joop. Und weil's so gut läuft, wird noch ein ganz unprofessioneller Gefühlsausbruch in Szene gesetzt. Klum hat Freunde und Verwandte der Mädchen aus Deutschland einfliegen lassen, Freudentränen des Wiedersehens lösen Heimweh ab. Auch bei der Entscheidung sind die Lieben dabei, und der Zuschauer hat deshalb schon eine Ahnung: Vor den Augen der Mamas wird wohl kein Mädchen nach Hause geschickt.

Harsche Kritik gibt es natürlich trotzdem, der Nachwuchs soll ja etwas lernen. Als erste bekommt das Samantha zu spüren. Sie sabotiere sich immer selbst, findet Thomas Hayo – und löst mit der Bemerkung einen Weinkrampf bei der 17-Jährigen aus. Sie wird als Wackelkandidatin hinter die Bühne geschickt und muss dort von ihrer Mutter getröstet werden. Auf den Jury-Stühlen fragt man sich derweil, ob die Schülerin wirklich schon für den Model-Job bereit ist.

Und was ist, wenn eins der Mädchen mal andere Emotionen zeigt als die, die die Juroren von ihr wollen? Trotz und Wut etwa? Nein, danke. Für entsprechend viel Irritation sorgt Nancy, als sie bei der finalen Entscheidung neben Samantha mit verschränkten Armen vor der Jury steht und anfängt zu motzen: "Sollen wir vielleicht noch mal rausgehen und wieder reinkommen, weil die Entscheidung so schwer fällt?" Als die 21-Jährige ihr Foto abholt, schickt sie hinterher: "Hab ich geahnt, dass alle weiterkommen." Angesichts dieses Trotzes murmelt Klum irgendwas von einer "Ohrfeige", die sie gerade bekommen habe. Man kann der Modelmama ansehen, was sie denkt: Ihre Gefühle sollen sich die Mädchen doch bitte fürs nächste Shooting aufheben. Denn nur da gehören sie hin.  © Glutamat

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