Michael "Bully" Herbig wechselt das Genre. Bekannt wurde er durch die Comedy-Show "Bullyparade" und zahlreiche Komödien. Im Interview mit unserer Redaktion verrät der 50-Jährige, dass er mit dem lustigen Genre vorerst abgeschlossen hat. Legt er gar seinen Beinamen "Bully" ab?

Ein Interview
von Andreas Maciejewski

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Eine freundliche Empfangsdame führt mich in einen großen Besprechungsraum in Herbigs Studio "herbX" in Grünwald bei München. Dutzende Auszeichnungen sind darin ausgestellt: Bambis, Deutsche Filmpreise, auch Hörfunkpreise aus der Zeit vor "Bullys" Durchbruch in Film und Fernsehen.

Wir treffen uns zum Gespräch über seinen Film "Ballon". Ein Thriller über eine Familie, die eine gefährliche Reise mit einem Heißluftballon auf sich nimmt, um aus der DDR zu fliehen. "Ballon" basiert auf wahren Begebenheiten. "Bully" ist Regisseur, Drehbuchautor und Produzent des Films. Ende September vergangenen Jahres lief "Ballon" im Kino, nun kommt er fürs Heimkino auf DVD und Blu-ray heraus.

Nach einer kurzen Wartezeit betritt Herbig den Raum. Leger gekleidet, mit einem Cap auf dem Kopf. Er wirkt jünger als die 50 Jahre, die er ist.

Herr Herbig, eigentlich wollte ich Sie fragen, wo all Ihre Auszeichnungen stehen. Sie haben ja über 60 für Ihre Filme und Shows erhalten. Hier stehen sie also, die Frage hat sich damit erledigt.

Michael "Bully" Herbig: (lacht) Ich weiß, das sieht ziemlich posermäßig aus. Die standen bisher alle im "Bullyversum", das gab's acht Jahre lang. Das wurde nun aber umgestaltet im Rahmen von 100 Jahre Bavaria Film. Wir finden da zwar immer noch unter anderem mit "(T)Raumschiff Surprise" statt, aber wir haben einen neuen Platz für die Preise gebraucht. Deswegen haben wir sie hierhin gestellt, dann haben die Mitarbeiter auch etwas davon.

Warum stehen sie nicht bei Ihnen zu Hause?

Es sind zwar Auszeichnungen, die ich entgegen genommen habe. Aber ich fühle mich eher als Teamplayer. Wenn wir in diesem großen Raum Besprechungen führen und verschiedene Abteilungen sitzen haben, ist das eine schöne Motivation. Wenn sie wollen, können sie die Preise anfassen oder ein Foto mit ihnen machen. Ich finde, die sind hier ganz gut aufgehoben.

Nachdem Filme im Kino liefen, widmen sich Regisseure meist gleich dem nächsten Projekt. Bei Ihnen ist es mit "Ballon" nicht der Fall. Zum einen sprechen wir hier über den Heimkino-Release, zum anderen nehmen Sie an der Schulkino-Woche teil, um mit Schülern über den Film zu reden. Außerdem haben Sie sieben Jahre an "Ballon" gearbeitet: Ist es womöglich Ihr bisher wichtigster Film?

Wichtigster Film würde ich jetzt nicht sagen. Eigentlich liegen sie mir alle am Herzen. Wenn du Glück hast, hat eine Komödie eine gewisse Haltbarkeit wie "Der Schuh des Manitu" oder "Wickie und die starken Männer". Dass zum Beispiel Ersterer jedes Jahr im Weihnachts- oder Silvesterprogramm läuft, ist eine schöne Sache. Das freut mich, dass er nach wie vor die Leute unterhält.

Bei "Ballon" habe ich unheimlich viel Feedback auf den Film bekommen, auf eine andere Art als bei den Komödien. Noch heute bekommen wir Rückmeldungen aus den sozialen Medien, Anrufe, Briefe und E-Mails. Die Leute haben sich die Mühe gegeben, wirklich lange Briefe zu schreiben. Richtig intensive Briefe von Menschen, die aus dem Osten kommen, die das selbst erlebt haben. Sie schreiben, dass sie der Film noch tagelang beschäftigt habe. Dass sie erstmal nichts hätten sagen können. Auch bei den Schulkino-Wochen werden kluge Fragen von Schülern gestellt, die diese Welt überhaupt nicht kennen, die über die DDR sehr wenig wissen.

Dieses Feedback hört einfach nicht auf. Nun werden wir auch noch mit dem Friedenspreis des deutschen Films geehrt. Außerdem habe ich nicht nur einmal die Frage gehört, warum der Film nicht zu den Oscars geschickt wurde. Ich dachte mir: Okay, es gibt offenbar weiter das Bedürfnis über das Thema zu sprechen. Und das mache ich gerne.

"Ballon" war Ihre erste Regiearbeit außerhalb der Komödie. Die Leute waren gespannt, ob der lustige "Bully" auch ernst kann. Die Kritiken zum Film fielen insgesamt positiv aus. Waren Sie erleichtert?

Ich war natürlich extrem erleichtert, dass die Kinozuschauer das so angenommen haben, vor allem von mir angenommen haben. Ich bin richtig glücklich, wie das gelaufen ist. Da gibt es auch kein Nord-Süd- oder Ost-West-Gefälle. Die Reaktionen sind überall gleich.

Derzeit arbeiten Sie an einem Drama über eine Soldatin, die in der Bundeswehr Opfer sexueller Gewalt wird. Wieder eine heikle Geschichte, wieder basiert sie auf wahren Begebenheiten. Haben Sie damit Ihr neues Genre, Ihre neue Bestimmung als Regisseur gefunden?

Ich möchte nicht ausschließen, dass ich irgendwann wieder eine Komödie mache. Aber im Moment: ja. Derzeit reizt mich das am allermeisten. Darin hat mich "Ballon" nun bestärkt und auch beruhigt, dass das geht. Ich bin einfach ein großer Filmliebhaber. Nur weil ich mein halbes Leben mit Komödien verbracht habe, bedeutet es nicht, dass ich mir zu Hause permanent Komödien reinpfeife.

Ich bin nach wie vor ein großer Hitchcock-Fan, auch Thriller wie "Der weiße Hai", "Eine verhängnisvolle Affäre" oder "Sieben" sind Filme, die mich körperlich anstrengen. Darum geht es ja. Du willst den Kinozuschauer nicht langweilen. Wenn sie aus dem Kino kommen, sich Bilder in ihre Köpfe einbrennen, sie vielleicht noch tagelang darüber nachdenken, dann ist das was ganz Großes. Genauso groß wie Leute zum Lachen zu bringen, sie abzulenken. Mir ist auch klar, dass mein Gesicht automatisch mit Komödie in Verbindung gebracht wird.

Der Zuschauer erwartet dann: Da kommt der lustige "Bully", jetzt macht er gleich einen Gag …

Ja, deshalb hab' ich bei "Ballon" auch nicht mitgespielt. Ich wollte den Film nicht kaputt machen. Ich wollte, dass die Zuschauer in diese Welt eintauchen. Wenn ich da plötzlich auftauche, hätte das einfach nur von der Szene abgelenkt.

Auf der anderen Seite arbeite ich trotzdem noch gerne als Schauspieler. Gerade habe ich den neuen "Toy Story" synchronisiert. "Hui Buh 2" steht in den Startlöchern. Das sind so Sachen, die kann ich als Darsteller wunderbar machen. Da habe ich auch Spaß daran. Als Filmemacher interessieren mich aber gerade andere Genres.

Sie haben also vorerst mit Komödien abgeschlossen. Bedeutet das auch, dass Sie den Namen "Bully" irgendwann ablegen wollen?

Nein. Interessanterweise gab's schon bei "Hotel Lux" (Anm. d. Red.: 2011) ein paar Leute, die meinten: Mensch, lass doch das "Bully" weg. Die Leute denken sonst, es sei eine Komödie. Aber "Bully" ist nun mal mein Name seitdem ich 12 bin. Wieso soll ich mich anders nennen, nur weil ich andere Filme mache? Für mich würde das unangenehm ambitioniert wirken.

Ich kenne nur einen, der das mal ausprobiert hat und das ging nach hinten los: Prince, der dann plötzlich The Artist formerly known as Prince hieß. Das fand ich damals schon affig. Es gäbe dann plötzlich "Bully"-Filme und "Michael Herbig"-Filme. Das ist doch Quatsch – ich bin doch derselbe Typ.

In "Ballon" haben Sie ja das echte Ehepaar Wetzel, dem damals die Flucht in die BRD mit dem Ballon gelang, in den Film eingebaut …

Stimmt, das hat sich durch Zufall ergeben. Herr Wetzel war zu Beginn extrem skeptisch. Er stand uns zwar als Berater zur Verfügung, war aber sehr vorsichtig, weil ihm die Verfilmung aus den 80ern "Night Crossing" (Anm. d. Red.: auf Deutsch - "Mit dem Wind nach Westen") überhaupt nicht gefallen hat.

Ich hab ihn dann mal ans Set eingeladen, damit er sehen kann, wie wir arbeiten. Die Einladung hat er angenommen und besuchte uns mit seiner Frau Petra. Das war der Drehtag am Flughafen. Zufälligerweise die letzte Szene im Film, in der David Kross als Günter Wetzel seinen Pilotenschein macht.

Als wir die Szene eingerichtet haben und die echten Wetzels so daneben standen, dachte ich mir: Das wäre doch jetzt der Knaller, wenn die beiden im Schlussbild des Films zu sehen wären. Günter und Petra Wetzel waren sofort dabei. Sie haben vom Kostüm noch andere Klamotten gekriegt, damit es in die Zeit passt und schon waren sie im Film.

Ich mag diese Szene sehr, weil es da einen kleinen, zarten Blickkontakt und ein Lächeln zwischen David Kross und den beiden gibt. Das fand ich eine schöne Geste, dass sie das gemacht haben.

Weil "Ballon" auf einer wahren Geschichte basiert, weiß man, wie der Film endet. Den Familien gelingt die Flucht, alle Personen rennen nach und nach aus dem Wald. Dann folgt der Satz eines bayerischen Polizisten: "Wie viele kommen denn da noch?" Erschreckt es Sie, dass diese Frage 30 Jahre nach diesem Ereignis auch wieder in der Flüchtlingskrise aktuell ist?

In den fünf, sechs Jahren während der Drehbuchentwicklung haben wir uns hauptsächlich auf die Geschichte der beiden Familien konzentriert. Es sollte kein Film über die DDR werden, ich wollte auch nicht die Moralkeule schwingen. Wir haben aber im Laufe der Arbeit festgestellt, dass dieser Stoff eine gruselige Aktualität bekommen hat und dadurch auch eine gewisse Relevanz. Da waren plötzlich Dialoge und Texte, die man im Alltag wieder aufgeschnappt hat, in den Nachrichten zum Beispiel. Das war keine Absicht, aber wenn es den ein oder anderen Zuschauer zum Grübeln bringt, hat der Film ja schon was erreicht.

Herr Herbig, vielen Dank für das Gespräch.

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