Seit der Hochzeit der Anwaltsserien in den 2000ern beantwortet Ingo Lenßen im TV Rechtsfragen. Am Montag startet sein neues Helptainment-Format "Lenßen hilft" bei SAT.1.
Im Interview mit unserer Redaktion erklärt der 63-jährige Jurist das Konzept seiner neuen Sendung und verrät, warum er mit dem Begriff "gescriptet" ein Problem hat. Zudem spricht Lenßen über den Einfluss der KI auf das Rechtswesen.
Herr Lenßen, am 18. November startet Ihre neue Sendung "Lenßen hilft" (montags bis freitags um 18 Uhr in SAT.1). Wem helfen Sie in und mit dieser Sendung?
Ingo Lenßen: Wir zeigen mit realen Rechtsfällen, die von Darstellern nachgestellt worden sind, wie man in vergleichbaren Fällen helfen kann. Wir versuchen aber auch, den Zuschauern zu helfen, indem wir mit Bauchbinden Hinweise auf weitere Unterstützungsmöglichkeiten geben.
Haben Sie ein konkretes Beispiel?
Stellen Sie sich vor, Sie sind ein Opfer eines Verbrechens und denken zunächst einmal daran, dass Sie mit einem Anwalt sprechen oder sich an die Polizei wenden könnten. Wir zeigen aber, dass es auch Opferschutzorganisationen gibt, etwa den "Weißen Ring". Genau das wird dann im Rahmen von Bauchbinden kurz aufgezeigt. Wiederum andere Menschen haben vielleicht ihren Liebsten verloren und stehen auf einmal ganz alleine da – zum Beispiel eine alleinerziehende Mutter, die gar nicht mehr weiß, wie sie ihren Alltag bewältigen soll. Mit einer Bauchbinde in der Sendung weisen wir dann auf die Möglichkeit hin, sich über das Jugendamt eine Familienhilfe zur Seite stellen zu lassen.
Ingo Lenßen: "Jeder 'Tatort' ist gescriptet"
Wie kommen Sie an die realen Fälle, die den TV-Zuschauern dann in gescripteter Form dargereicht werden?
Vielleicht verabschieden wir uns erstmal von dem Wort "gescriptet". Jeder "Tatort" ist gescriptet, oder etwa nicht? Er ist ja geschrieben. Deshalb habe ich mit diesem Begriff mittlerweile ein Problem.
Einverstanden. Aber warum fällt "Lenßen hilft" laut des offiziellen Presseheftes dann in die Kategorie "Scripted-Helptainment-Format"?
Sie haben recht, der Punkt geht an Sie. Wir wissen ja, dass es nach wie vor immer mal wieder solche Bezeichnungen gibt und dass man so ein Format auch irgendwie zuordnen muss. Mir persönlich wäre es nur viel lieber, wenn wir wirklich diesen Begriff "Helptainment" in den Vordergrund stellen könnten – weil es genau das ist. Aber um zu Ihrer ursprünglichen Frage zurückzukommen: Die zwei weiteren Anwälte, Lisa Cramer und Lennart Hartmann, und ich haben unseren Autoren im Vorfeld gesagt, welche Fälle uns bewegen und was wir erlebt haben. Die Autoren haben das aufgenommen. Sie haben aber auch selber nach Fällen recherchiert. So sind eine ganze Menge Fälle zusammengekommen, die alle einen realen Hintergrund haben.
Wie ist die Zusammenarbeit mit Ihrer Kollegin Lisa Cramer und Ihrem Kollegen Lennart Hartmann, ein ehemaliger Fußballprofi, zustande gekommen?
Sie wurden gecastet. Wir haben uns dann getroffen und sehr schnell gemerkt, dass es einen guten persönlichen Draht gibt. Die beiden haben ganz unterschiedliche Stärken. Frau Cramer ist eine sehr engagierte Anwältin, die bereits seit einigen Jahren im Geschäft ist – mit Schwerpunkt Familienrecht. Und Herr Hartmann ist ein relativ junger Anwalt, der durch eine große Energie und Empathie auf sich aufmerksam macht. Zudem verfügt er über eine außerordentliche Kenntnis im IT-Recht. Diese Kombination ergänzt sich wunderbar.
Von familienrechtlichen Fragen bis zum Mietrecht
Die Rechtsberatung erfolgt in einem Bus. Was steckt dahinter?
Genau, wir fahren mit einem Bus an öffentliche Plätze in Berlin, vor allem in die Nähe von Einkaufsmeilen oder Kaufhäusern. Wir steuern also Orte an, an denen Menschen sich treffen und persönliche Dinge erledigen. Damit befinden wir uns mitten im alltäglichen Geschehen des Lebens. Bei den Dreharbeiten kommen immer wieder Menschen zu uns, die spontan die Gelegenheit nutzen und uns fragen, wie ein Problem gelöst werden kann. Ein Beispiel: Kürzlich kam ein Mann auf uns zu und meinte: "Die schmeißen mich aus meiner Wohnung. Geht das? Ich habe doch nur einmal die Miete nicht bezahlt." Wenn der Dreh das gerade zulässt, nehmen wir uns tatsächlich auch die Zeit, um Fragen wie diese zu beantworten. Dabei sammeln wir übrigens auch Ideen für weitere, reale Fälle. Wir bleiben immer für eine Woche an einem bestimmten Platz. Natürlich spricht sich relativ schnell herum, dass dieser – nicht ganz unauffällige – Bus dort steht.
Fragen zu beantworten, ist für Sie nichts Neues. Genau darauf zielt auch Ihre Webseite "Frag den Lenßen" ab. Welche Fragen werden Ihrem "digitalen Zwilling" am häufigsten gestellt?
Die Internetplattform frag-den-lenssen.de – also meinen digitalen Zwilling – haben wir entwickelt, um Menschen, die Rechtsfragen haben, eine erste Orientierung zu geben und ihnen einen Rechtstipp zu vermitteln. Sie ersetzt keinen Anwalt, aber sie gibt einem einen Eindruck davon, was das eigene Recht in einer bestimmten Lebenssituation ist. Zunächst beantwortet die von uns entwickelte KI Rechtsfragen auf dem Gebiet des Sozialrechts, Erbrechts und Verkehrsrechts. Das Ganze ist für den User kostenlos.
Welche Fälle behandeln Sie in der Sendung "Lenßen hilft"?
Es sind sehr viele familienrechtliche Fragen dabei, die dann auch ins Erbrecht rüberschlagen. Hinzu kommen Fragen zu Themen wie Sorgerecht, Jugendamt oder Mietrecht. Also: Wie kann ich dafür sorgen, dass der Vermieter meine Wohnung in einen vernünftigen Zustand bringt? Es geht also wirklich um Alltagsfragen – von Müttern, denen die Kinder weggenommen worden sind, bis hin zu Erben, die nicht zu ihrem Recht kommen.
Hilfe beim Steuerbescheid: Wie Lenßen mit kuriosen Fragen umgeht
Haben Sie auch auf kuriose Fragen immer eine Antwort parat?
Im Rahmen der Dreharbeiten kam jemand zu unserem Bus und fragte, ob er bei uns seine Passfotos machen lassen könne (lacht). Ihn haben wir dann zu einem Fotoshop geschickt. Ein Anderer wiederum fragte uns: "Können Sie mir beim Steuerbescheid helfen?" Ihm konnten wir leider beim besten Willen nicht helfen, haben ihm aber dazu geraten, sich an einen Steuerberater zu wenden.
Können die Menschen, von denen Sie auf der Straße angesprochen werden, eigentlich gut zwischen Fiktion und Realität unterscheiden – auch mit Blick auf Ihr früheres Mitwirken an Anwaltsserien wie "Richter Alexander Hold" oder "Lenßen & Partner"?
Im Großen und Ganzen schon. Ich werde manchmal gefragt, ob ich eigentlich wirklich Anwalt bin. Aber natürlich wird es immer Menschen geben, die Fiktion und Wirklichkeit verwechseln oder verwechseln wollen. Nehmen wir doch nur mal Professor Brinkmann aus der "Schwarzwaldklinik": Was meinen Sie, wie oft der Schauspieler Klausjürgen Wussow früher als echter Arzt wahrgenommen und um ärztlichen Rat gebeten wurde?
Warum die KI hilfreich sein, aber nicht den Rat eines Anwalts ersetzen kann
Mit dem Unterschied, dass Sie tatsächlich Fachanwalt für Strafrecht sind. Werden wir in der Zukunft eigentlich noch Anwälte brauchen? Oder wird die KI eines Tages keine Fragen mehr unbeantwortet lassen?
Hinter frag-den-lenssen.de steckt eine KI. Es handelt sich allerdings um keine KI, die auf ChatGPT beruht, sondern um eine, die wir selbst entwickelt haben. Sicherlich ist eine Veränderung im Rechtswesen und der Rechtsberatung im Gange. Aber nur wenn die KI so trainiert und programmiert worden ist, dass sie allein auf juristischem Hintergrundwissen beruht, kann sie eine Hilfe sein. Wir müssen also vermeiden, dass ein Mischmasch entsteht. Denn bei ChatGPT fließt alles ein, etwa Meinungen von Unwissenden und Laien. Wenn wir das ausklammern, werden wir diesbezüglich noch einiges erleben. Auf meiner Webseite können sich die Menschen mittlerweile im Erbrecht, Verkehrsrecht und Sozialrecht umfassend beraten lassen. Diese Informationen ersetzen aber natürlich nicht den Rat eines Anwalts.
Was kann der Anwalt, was die Künstliche Intelligenz nicht kann beziehungsweise vielleicht nie können wird?
Ich erkläre Ihnen das gerne anhand eines Beispiels, das im Rahmen von "Lenßen hilft" gezeigt wird: Ein Vater möchte keinen Umgang mit seinem Sohn. Aus rein juristischer Sicht haben wir nun die Möglichkeit, das Umgangsrecht für den Vater einzuklagen. Der Junge hat schließlich einen Anspruch darauf. Die KI könnte diese Frage beantworten. Die KI kann allerdings nicht erklären, warum der Vater keinen Umgang mit seinem Kind haben will. Es macht überhaupt keinen Sinn, das Umgangsrecht einzuklagen und mithilfe von Ordnungsgeldern gerichtlich durchzusetzen. Dies würde nämlich nichts an dem Zustand ändern, dass der Vater kein Interesse an seinem Sohn hat. Wenn wir aber versuchen, die Motivation des Vaters zu ergründen und dadurch vielleicht eine Hemmschwelle aufzuheben, dann könnten wir eventuell Interesse erzeugen. Vielleicht wird die KI eines Tages menschliche Emotionen nachvollziehen können. Doch selbst dann bleibt die Frage, von wem sie gespeist worden ist. Ich glaube, dass wir den Menschen weiterhin brauchen werden. Die Künstliche Intelligenz kann uns aber große Hilfestellungen geben.
Über den Gesprächspartner:
- Ingo Lenßen ist ein deutscher Jurist und Strafrechtler. Seine Kanzlei "Lenßen & Partner" in Bodman-Ludwigshafen ist neben dem Strafrecht auf die Tätigkeitsschwerpunkte Erbrecht und Gesellschaftsrecht spezialisiert. Bekanntheit erlangte der gebürtige Krefelder in den 2000er-Jahren in den Anwaltsserien "Richter Alexander Hold" und "Lenßen & Partner". Später war in den Formaten "Lenßen klärt auf!" und "Lenßen übernimmt" regelmäßig im TV zu sehen. Im November 2024 startet sein neues Helptainment-Format "Lenßen hilft".
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.