Am 1. November startet die neue deutsche Serie "Wir sind die Welle" auf Netflix. Im Mittelpunkt stehen Schüler, die mit geheimen Aktionen gegen gesellschaftliche Missstände protestieren und dabei immer radikaler werden. Das ist spannend und unterhaltsam, durchaus aber auch provokant. Unsere Redaktion konnte die Serie vorab sichten und mit Produzent Dennis Gansel sprechen.
Nur wenige Personen waren im Jahr 2019 häufiger in den Schlagzeilen als
Thunberg wird verehrt und bewundert, gleichzeitig aber auch gehasst und angefeindet. Die Schwedin polarisiert, trifft mit ihren Anliegen aber voll und ganz den Nerv der Zeit. Da passt es gut, dass bei Netflix am 1. November eine neue deutsche Serie startet, in der es um Jugendliche geht, die ebenfalls Widerstand gegen gesellschaftliche Missstände leisten.
"Wir sind die Welle" heißt die sechsteilige Serie, die in der fiktiven Stadt Meppersfeld spielt. Am dortigen humanistischen Gymnasium taucht der neue Schüler Tristan Broch (Ludwig Simon) auf, der von einer besseren Zukunft träumt.
"Wir sind die Welle" auf Netflix: Unterschiedliche Charaktere finden zusammen
Mit seinen Ansichten findet der ebenso geheimnisvolle wie gebildete Tristan nach anfänglicher Skepsis schnell Gehör bei seinen Mitschülern. Gemeinsam mit Lea Herst (Luise Belfort), Tochter aus reichem Hause, der gemobbten Zazie Elsner (Michelle Barthel), dem aus einer Bauernfamilie stammenden Hagen Lemmart (Daniel Friedl) und dem Migrantensohn Rahim Hadad (Mohamed Issa) bildet er die "Die Welle".
Inspiriert von Tristans Ideen wird die Gruppe schnell unzertrennlich, die 17-jährigen Schüler beginnen ein Doppelleben. Maskentragend gehen sie in geheimen Aktionen unter anderem gegen eine die Umwelt schädigende Papierfabrik vor, gegen einen Schlachthof und auch gegen die NfD, eine Partei, die unschwer als die reale AfD zu identifizieren ist.
Die Gegner sind also durchaus die gleichen wie bei "Fridays for Future", auch wenn "Die Welle" in Meppersfeld schnell zu radikaleren Methoden greift als die realen Klimaaktivisten. Sehr bald schöpfen die Eltern Verdacht, ein schmieriger Polizist ermittelt und auch in der Gruppe kommt es zu Spannungen, während sich eine gefährliche Eigendynamik entwickelt.
Die Politik bewegt die Jugend
Dass "Wir sind die Welle" derart den Zeitgeist trifft, war nicht unbedingt geplant, ist aber auch kein Zufall, wie Executive Producer Dennis Gansel im Gespräch mit unserer Redaktion erzählte. "Die Zeit hat uns eingeholt. Manchmal hängt man der Zeit hinterher, hier waren wir der Zeit voraus", sagte Gansel: "Mit Greta Thunberg und Fridays for Future ging es erst so richtig los, als die Dreharbeiten schon abgeschlossen waren. Aber das alles kam nicht aus dem luftleeren Raum."
Gansel führte bei dem Kinofilm "Die Welle" mit Jürgen Vogel von 2008 Regie und schrieb das Drehbuch, wie die neue Serie wurde der Film von dem Roman "Die Welle" inspiriert, der sich wiederum auf ein reales Experiment bezieht, das an einer kalifornischen Schule in den 1960er Jahren durchgeführt wurde. Während es im Kinofilm um die Entstehung einer faschistischen Bewegung geht, ist die neue Welle in der Serie anarchistisch.
"Als wir gesagt haben, dass wir eine Neuinterpretation von 'Die Welle' machen wollen, haben wir es gemacht wie damals beim Kinofilm. Wir sind in Schulen gegangen und haben viele Gespräche mit Jugendlichen geführt. Was bewegt euch? Was treibt euch um? Nach diesen Gesprächen war relativ schnell klar, dass wir es mit einer anderen Jugend zu tun haben als 2006, als wir 'Die Welle' geschrieben haben. Die Jugendlichen, mit denen wir uns jetzt unterhalten haben, waren sehr viel wacher, politischer, sie haben Fragen gestellt", erzählt Gansel.
Und weiter: "Die Themen waren Plastik, das Klima, Rüstungsexporte. Das hat uns total überrascht. So etwas muss in so einer Serie drin sein. Wir haben auch festgestellt, dass die Wahl von Donald Trump ein Knackpunkt war. Viele Jugendliche haben gesagt: 'Ihr Erwachsenen habt das irgendwie nicht mehr unter Kontrolle. Es liegt so viel im Argen und jetzt kommen auch noch solche Männer an die Macht. Da muss etwas passieren.'"
Die Serie soll zu Diskussionen anregen
"Wir sind die Welle" ist eine Jugendserie, die zuallererst natürlich die Generation Greta anspricht. Gansel wünscht sich aber, dass sich auch andere Bevölkerungsgruppen die Serie anschauen und die Handlung vielleicht als Grundlage für Diskussionen dienen kann.
Die Serie sei "ein Aufruf, sich Gedanken zu machen. Sich unbequeme Fragen zu stellen und sich damit auseinanderzusetzen. Das alles verpackt in ein spannendes Unterhaltungsformat, das ist der Ansatz der Serie."
Dass die Figuren teilweise etwas klischeehaft gezeichnet sind, dass die reiche Lea beispielsweise Tennis spielt und zunächst noch mit einem schnöseligen Tennislehrer zusammen ist, oder dass der Landwirtssohn durchgehend im grobgestrickten Pullover rumrennt und die Verwandlung der Personen doch arg schnell passiert, kann man der Serie verzeihen vor dem Hintergrund, das sie für ein junges Publikum gemacht ist.
Wie werden AfD-Sympathisanten auf die Serie reagieren?
Trotz der kurzweiligen Story und dem jungen, unverbrauchten Cast, wird es dennoch eine Menge Menschen geben, die mit "Wir sind die Welle" nichts anfangen können. Wer mit der AfD sympathisiert oder sich über Klimastreiks ärgert, dürfte sich von der Serie an einigen Stellen provoziert fühlen.
"Wir haben in Deutschland ein bisschen vergessen, dass wir miteinander reden müssen. Wir müssen uns auch mit Leuten, die nicht unsere politische Meinung teilen, an einen Tisch setzen. Ob der Planet für unsere Kinder noch lebenswert ist, sollte wichtiger sein, als die ganzen anderen Themen, wegen denen wir uns in den Haaren liegen. Ich würde mich freuen, wenn auch AfD-Sympathisanten sich die Serie anschauen und anfangen, zu diskutieren", sagt Gansel.
"Wir sind die Welle" hat durchaus das Potenzial, seine Zuschauer in zwei Lager zu spalten. Während die einen die Serie lieben werden, werden andere genervt oder verärgert auf die Aktionen der Meppersfelder Jugendgang reagieren. Wobei Polarisierung für eine politische Serie ja nicht unbedingt schlecht sein muss. Greta Thunberg kann davon ein Lied singen.
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