Tesla-Chef Elon Musk wirkt von Monat zu Monat immer aggressiver. Nun schockiert er mit der Entscheidung, seinen gesamten privaten Besitz verkaufen zu wollen. Was treibt den schillernden Unternehmer derzeit um?

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Zum Mythos des gerissenen Erfinders gehört ein gewisser Hang zum Wahnsinn. Der Physiker Edward Teller zum Beispiel, bekannt als "Vater der Wasserstoffbombe", war angeblich ein so mieser Charakter, dass ihn Stanley Kubrick zum Vorbild für seine Filmfigur Dr. Strangelove nahm, die Inkarnation des exzentrischen, bizarren Wissenschaftlers.

Oder der Erfinder des Wechselstroms, Nikola Tesla, der trotz seiner bahnbrechenden Erfindungen und rund 300 Patente Zeit seines Lebens am Bankrott vorbeischrammte. Seine Nächte verbrachte der Serbe vorzugsweise in noblen Hotels, vor Journalisten ließ er sich einmal zwei Millionen Volt durch den Körper jagen. Und einen sicheren Vertrag mit dem Stromanbieter Westinghouse, der fast alle amerikanischen Städte mit Wechselstromanlagen ausstatten wollte, hätte Tesla zu einem der reichsten Männer Amerikas gemacht – aber er zerriss ihn.

Heute steht der Name Tesla weniger für einen Stromstandard als für schicke Flitzer aus dem Silicon Valley, für Pioniergeist, Genialität, Vision. Der Chef des E-Auto-Herstellers, Elon Musk, auch ein Pionier in der Raumfahrt und bei Bezahlsystemen, scheint in diesen Tagen das Konzept der schöpferischen Zerstörung allzu wörtlich zu nehmen. Denn Musk bewegt sich immer mehr wie ein Duracell-Häschen auf Ecstasy, höher, schneller, weiter – und schießt dabei allzu oft über das Ziel hinaus. Was steckt dahinter?

Musk will mitten in der Krise umziehen

Da wäre zum Beispiel die Sache mit dem Tesla-Stammwerk in Fremont, Kalifornien. Seit Wochen knarzt es so gewaltig zwischen dem Autobauer und der hiesigen Politik, dass Musk gerade offen mit dem Abzug einer ganzen Fabrik samt Zentrale drohte.

Schon länger fühlte sich Musk von den Corona-Maßnahmen der Kalifornier gegängelt. Als Corona längst das amerikanische Festland erreicht hatte, machte Musk auf Twitter deutlich, was er von "Lockdowns" und Ausgangssperren hielt: Wenig. An manchen Tagen feuerte er ganze Salven an Tweets ab, in denen er die Gefahr runterspielte oder Kontaktbeschränkungen als "faschistisch" bezeichnete.

Besonders muss es Musk erzürnt haben, dass der Bezirk Alameda seit Wochen einen noch härteren Corona-Kurs fährt als der ohnehin schon restriktive Staat Kalifornien. Während dessen Gouverneur die allmähliche Öffnung von Fabriken im Mai anpeilte, freilich unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen, war in Alameda von einer Öffnung vor Anfang Juni noch nicht die Rede.

Doch Musk möchte seine Fabriken öffnen, besser heute als morgen. Sein Image als Visionär für eine bessere Welt, der Amerikas Metropolen von Staus befreien möchte? Schnee von gestern. Die Visionen des Selfmademillionärs, der die ganze Welt für Solarenergie begeistern will? Vergessen.

Das Image, es bröckelt in diesen Tagen gewaltig. Und so eskalierte Musk am vergangenen Wochenende den Streit. "Offen gesagt, jetzt reicht es mir", schrieb der Tesla-Chef. "Tesla wird nun sein Hauptquartier und künftige Programme unverzüglich nach Texas/Nevada verlegen." Einen Tag später legte er nach und kündigte an, das Hauptwerk umgehend wieder hochzufahren und selbst an der Produktionslinie zu sein. "Wenn jemand festgenommen wird, werde ich darum bitten, dass es nur ich bin."

Für seine Rebellenpose erhielt Musk prominente Unterstützung: Donald Trump schrieb auf Twitter: "Kalifornien sollte es Tesla und Elon Musk erlauben, die Fabrik wieder zu öffnen - JETZT. Das ist schnell und sicher möglich."

Auch Finanzminister Steven Mnuchin sprang Musk in einem TV-Interview bei. Tesla sei einer der größten Arbeitgeber und Hersteller in Kalifornien. Kalifornien solle die Lösung der Gesundheitsaspekte priorisieren, damit Tesla "schnell und sicher" sein Werk wieder öffnen könne, sagte Mnuchin dem Sender CNBC.

Auch Teslas Mitarbeiter werden nicht verschont

Manch ein Mitarbeiter dürfte sich die Augen gerieben haben über die Drohung, die selbst den üblichen Musk-Dreiklang aus Pöbeln, Protestieren und Provozieren übertraf. Hier ging es schließlich um das Herz des Autokonzerns, die Existenz von 10.000 Mitarbeitern.

Während die Produktion im chinesischen Tesla-Werk noch am Anfang steht, werden in Fremont mit Abstand die meisten Modelle gebaut. Ein Umzug, während der Konzern erstmals in seiner Geschichte schwarze Zahlen schreibt, noch dazu während Corona? Ein schlechtes Timing.

Es passte, dass Musk seinen Angestellten, von denen viele in Isolation bleiben wollten, in einer E-Mail damit drohte, das Arbeitslosengeld zu streichen. "Wenn dir das Zurückkommen zur Arbeit nicht passt, kannst du unbezahlt daheim bleiben."

Es ist fraglich, was den Südafrikaner in diesen Tagen reitet: Ist Musk doch nur ein eiskalter Geschäftsmann, der sich gerne als Gutmensch darstellt? Oder hat sich Musk verrannt: Ein Erfinder, der nicht nur die Kontrolle über sein Unternehmen verloren hat – sondern auch über sich selbst?

Dazu passt die zweite große Ankündigung Musks in dieser Woche, diesmal privater Natur. "Ich verkaufe fast allen physischen Besitz. Werde kein Haus mehr besitzen", hämmerte der Tesla-Chef am 1. Mai in seinen Twitter-Feed. Drei seiner Häuser wolle er für insgesamt 75 Millionen Dollar verkaufen, vier weitere würden in Kürze dazukommen. Wo er danach unterkommen wird, wisse er nicht. "Wahrscheinlich werde ich irgendwo ein kleines Haus mieten."

Musk, das muss man immer wieder bedenken, ist ein Meister des Bluffs, seine Janusköpfigkeit zwischen Genie und Wahnsinn ist Teil des Geschäfts. Doch diesmal könnte mehr als nur eine Inszenierung hinter Musks Plänen stecken. So berichtete das "Wall Street Journal", einer von Musks Anwälten habe seinen Mandanten als "finanziell illiquide" beschrieben, seinem Bruder habe er unlängst einen Kredit mit Verweis auf seine finanzielle Situation verwehrt.

Obschon Musk bekannt ist für Fleiß und extreme Arbeitszeiten – ein Asket ist er eben auch nicht. Anders als seine Begründung, er wolle sich "dem Mars und der Erde widmen" und brauche das Geld daher nicht, könnte hinter der Entscheidung also die irdische Erkenntnis stecken, dass selbst ein Multimilliardär knapp bei Kasse sein kann.

Reichtum ja, Bargeld Nein

Denn reich ist Musk vor allem auf dem Papier, in Form von Unternehmensanteilen an Tesla und seiner Raumfahrtfirma SpaceX. Diese sind Milliarden wert und entwickelten sich aufgrund des Börsenwerts in den vergangenen Jahren prächtig.

Allein: Kaufen kann sich Musk davon nichts. Insgesamt, so berichtet das "Wall Street Journal", sei Musks Leben auf Pump finanziert. Für Kreditlinien über insgesamt 500 Millionen Dollar habe Musk 54 Prozent seiner Tesla-Aktien garantiert.

Eine solche Vermögensstrategie ist freilich ein Ritt auf der Rasierklinge. Fällt der Aktienkurs, können die Banken Musk zu einer Nachschusspflicht zwingen, dem sogenannten "Margin Call". Das endete schon für manchen Anleger im Bankrott.

Auf der anderen Seite behält Musk die Kontrolle über sein Unternehmen, solange er seine Anteile nicht verkauft. Dass der frischgebackene Vater eines Sohnes mit dem skurrilen Namen "X Æ A-12 Musk" demnächst in eine Doppelhaushälfte ziehen könnte, ist daher eine Investition in den gesunden Schlaf: Musk reduziert das Risiko.

Sein Warten könnte sich lohnen. Statt eines Gehalts hat Musk den Bezug von 20 Millionen Aktienoptionen ausgehandelt. Voraussetzung ist, dass Tesla zwölf festgelegte Ziele erreicht. Unter anderem müsste der Autobauer seinen Wert an der Börse verfünffachen. Gelingt ihm das, wäre Musk in einigen Jahren der reichste Mensch der Welt, noch vor Amazon-Chef Jeff Bezos. Im ungünstigen Fall sieht der Tesla-Chef nicht einen Dollar.

Illusion gehört zum Geschäft

Diese Zockerei ist typisch für den exzentrischen Unternehmer - Rebellentum ist Teil der Inszenierung. Musk will der "Gamechanger" sein, der die üblichen Regeln des Kapitalismus auf den Kopf stellt und eine ganze Branche mit seinem mutigen Sprung zur Elektromobilität aufmischt.

Bislang verfängt der Plan, viele Kunden und Investoren sind geradezu Jünger des Unternehmens. Musks Kritik an allem und jedem, der sich seinem Rausch an die Weltspitze der Autoindustrie entgegenstellt, ist deshalb eine Rückversicherung gegen schlechte Nachrichten.

Für niedrige Börsenkurse sind dann gerne Mal die "selbstgefälligen, heuchelnden" Medien Schuld. Für Absatzeinbrüche infolge der Corona-Krise jetzt eben die Behörden. In der Analystenkonferenz zu den letzten Quartalszahlen wütete Musk gegen staatliche Auflagen für die Bürger, die eine Ausbreitung des Virus verhindern sollen.

Trotz Corona: Tesla schraubt Umsatzerwartungen für 2020 nicht herunter

Bislang verfängt sein Spiel mit der Illusion. Als einer der wenigen Autohersteller haben die Kalifornier ihre Umsatzerwartungen für 2020 bislang nicht heruntergeschraubt, in den beiden vorhergehenden Quartalen hatte das Unternehmen jeweils einen dreistelligen Millionengewinn verbucht. Doch je länger die Werke durch die Corona-Krise stillstehen, umso unrealistischer wird es, das Ziel von 500.000 verkauften Autos in diesem Jahr zu erreichen.

Doch ein Ziel zu verfehlen, sieht Musks Plan nicht vor. Für einen Konzern wie Tesla, dessen Daseinsberechtigung im Exzess liegt, ist Stillstand der Tod.

Verwendete Quellen:

  • CNBC - Mnuchin says he agrees with Elon Musk and California should let Tesla make cars again
  • BusinessInsider - Elon Musk, who claims he’s low on cash, recently sold his LA mansion for nearly $4 million
  • Wall Street Journal - Elon Musk, who claims he’s low on cash, recently sold his LA mansion for nearly $4 million
  • Wall Street Journal - Tesla Files Lawsuit in Bid to Reopen Fremont Factory
Anm.d. Red.: In einer vorherigen Version des Artikels wurde Elon Musk als Gründer von Tesla bezeichnet. Dies ist falsch. Tatsächlich wurde die Firma von Martin Eberhard und Marc Tarpenning gegründet. Elon Musk ist Geschäftsführer.


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