Das Ergebnis des griechischen Referendums hat die Frage, wie es mit Hellas weitergeht, nicht leichter gemacht. Trotzdem könnte sich die Krise auch als Chance erweisen – für mehr Integration.
Das deutliche Ergebnis des griechischen Referendums zu den Sparplänen der Geldgeber stellt die Europäische Union vor große Herausforderungen. Denn trotz der großen Ablehnung gegen die Forderungen von EU-Kommission, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds ist klar: Die Hellenen wollen den Euro behalten – und weiterhin Bürger dieser Union bleiben.
Die Regeln, die es dafür zu befolgen gilt, wollen sie aber offenbar nicht einhalten. Ein ähnliches Bild zeichnet sich in Großbritannien mit dem für kommendes Jahr, spätestens aber für 2017 geplanten Referendum über den Verbleib in der EU ab. Seit Jahren profitiert das Land von Sonderkonditionen – ist nicht an alle Pflichten gebunden, profitiert aber trotzdem von der Gemeinschaft.
Schon in den 1990er-Jahren entstand aus anderen Gründen die Idee, ein "Europa der zwei Geschwindigkeiten" zu schaffen. Jetzt wird die Idee wieder modern – und könnte die EU aus der Krise führen. "Eine starke EU braucht Länder, die vorangehen", sagte Vizekanzler
Damit knüpfte der SPD-Politiker an eine Idee an, die erstmals 1994 vom heutigen Bundesfinanzminister
Der Gedanke ging in der Aufnahme weiterer EU-Länder und der Vorbereitung des nächsten Vertrags der Gemeinschaft unter. Neun Jahre später griffen ihn der französische EU-Kommissar Pascal Lamy und sein deutscher Amtskollege Günter Verheugen wieder auf. Thinktanks wie die deutsche "Glienicker Gruppe" sowie die französische "Groupe Eiffel" tragen ihre Forderungen mit. Im Kern verlangten sie nach regierungsähnlichen Strukturen für die Gemeinschaftswährung. Nach dem Prinzip, wer eine gemeinsame Währung teilt, müsse auch eine gemeinsame Politik verfolgen, zusammen wirtschaftliche Ziele ins Auge fassen.
Europa der mehr Geschwindigkeiten
Zwar ist aus der Idee eines "Europa der zwei Geschwindigkeiten" nie mehr als ein technisches Konstrukt geworden, "das es de facto nicht gibt", erklärt Julian Rappold von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Stattdessen gebe es schon lange eine Union der "mehreren Geschwindigkeiten". Besonders deutlich wird das an der Gemeinschaftswährung: Da gibt es jene, die den Euro seit seiner Geburtsstunde haben oder ihn in den vergangenen Jahren eingeführt haben. Und jene, die ihn einmal einführen werden. Schließlich die, die sich für diesen Fall ein sogenanntes "Opt-out" erhandelt haben, wie Großbritannien und Dänemark. Sie müssen die Gemeinschaftswährung niemals einführen, wenn sie nicht wollen.
Ähnlich unterschiedliche Regelungen gibt es im Schengenraum – er sieht unter anderem vor, dass die Grenzen zwischen den Mitgliedsstaaten nicht mehr kontrolliert werden. Großbritannien hat sich auch hieran nur teilweise beteiligt, etwa bei der polizeilichen und gerichtlichen Zusammenarbeit. Auch Irland hält an den Grenzkontrollen fest. Durch die Griechenland-Krise und das angekündigte Referendum Großbritanniens über dessen Verbleib in der EU stelle sich die Frage, ob eine weitere Geschwindigkeitsstufe nicht sinnvoll wäre.
Früher eine Gegnerin, wirbt Bundeskanzlerin Angela Merkel inzwischen offen für mehr Integration in Europa – immer mit der Option, dass andere Mitgliedsstaaten in ihrem eigenen Tempo nachrücken können. In ihrem französischen Kollegen François Hollande hat sie einen Unterstützer gefunden. Erst im vergangenen Monat legten beide gemeinsam ein Konzept vor, wie sie die Eurozone verändern wollen. Und zwar ohne dass eine Änderung des Lissabonner Vertrags, der die Regeln der Gemeinschaft zusammenfasst, nötig würde: Unter anderem sahen sie einen hauptamtlichen Eurogruppenchef vor sowie Eurozonen-spezifische Strukturen im EU-Parlament vor. Nur wenige Tage später präsentierten EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, Ratspräsident Donald Tusk, Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem, EZB-Direktor Mario Draghi sowie Parlamentspräsident Martin Schulz ihre Vision der Wirtschafts- und Währungsunion, die sie bis 2025 umsetzen wollen. Sie sieht unter anderem ein eigenes Finanzamt für die Eurozone vor.
Es sind Vorschläge, die aus der Erkenntnis entstanden sind, "dass die jetzige Krise die strukturellen Schwächen der Eurozone offengelegt haben", erklärt Rappold: "Dass es eben nicht reicht, nur eine gemeinsame Währung zu teilen, sondern dass auch wirtschafts- und fiskalpolitische Koordination notwendig ist– einfach um die Effekte einer Krise wie jener in Griechenland besser abfedern zu können", so der Experte. Bislang reagierten einige Regierungen eher zögerlich auf derlei Vorstöße.
Großbritannien, weil man dort befürchtet, dass weitere Integrationsschritte in der Eurozone nicht ohne Folgen für das eigene Land bleiben könnten. "Die Sorge ist teilweise sicherlich auch berechtigt", meint Rappold. Auch Polens Regierung teilt diese Bedenken. Diese gilt es zu zerstreuen, um "einerseits die Union als Ganzes zusammenzuhalten" – also Zugeständnisse an das Vereinigte Königreich zu machen, "aber trotzdem die Stabilität der Eurozone zu gewährleisten" – indem man sie vertieft. Dies werde ein Balanceakt, der nur schwer zu meisten, aber notwendig sei, fürchtet der Experte. Die Gefahr dabei: Wenn sich die EU-Länder "in zu unterschiedliche Richtungen bewegen, könnte sich die EU als Ganzes irgendwann so weit auseinandergedehnt haben, dass es zu Rissen im Gebilde kommt."
Rappold hält eine tiefere Integration der Eurozone unter den gegebenen Umständen aber für möglich: "Inzwischen sehen einige Entscheidungsträger im Grexit auch die Möglichkeit, die Eurozone weiter zu vertiefen und endgültig krisensicher zu machen."
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