Die Gastro-Branche schlägt Alarm: Bis zu 12.000 Betriebe stehen vor dem Aus, wenn die Mehrwertsteuer im kommenden Jahr wieder angehoben wird. Auch der Restaurantbesuch könnte deutlich teurer werden. Was Experten dazu sagen.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Fabian Hartmann sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Es sind markige Worte, die ihre Wirkung nicht verfehlen sollen. Wenn ab Januar die Mehrwertsteuer in der Gastronomie wieder auf 19 Prozent steigt, wäre das eine "Katastrophe für die Betriebe und würde zu einem Preisschock für die Gäste führen". Das zumindest befürchtet der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) und schiebt eine Umfrage hinterher, wonach bundesweit bis zu 12.000 Restaurants vor dem Aus stünden.

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Bislang ist der ermäßigte Satz von sieben Prozent Mehrwertsteuer auf Essen im Restaurant oder im Café fällig. Die Regelung ist ein Überbleibsel aus der Corona-Krise. Damit wollte die Große Koalition die durch Lockdowns und Kontaktbeschränkungen angeschlagene Branche stützen. Die Ampel hat die Regelung wegen der Energiekrise bis Jahresende verlängert. Doch damit ist jetzt – auch wegen der Milliardenlöcher im Bundeshaushalt – Schluss.

Die Preise im Restaurant könnten zum Jahreswechsel um 14,3 Prozent steigen, heißt es beim Branchenverband. Zumindest bei den Betrieben, die nicht vor dem Aus stehen. Kommt es wirklich so schlimm?

Friedrich Heinemann hält die Warnung vor einem Gastro-Sterben für übertrieben. Der Ökonom vom Mannheimer Wirtschaftsforschungsinstitut ZEW findet: Die Branche macht zwar einen Strukturwandel durch, Systemgastronomie verdränge Familienbetriebe, der Markt sei in Bewegung. Doch das sei nichts Neues.

Schon vor Corona seien zehntausend Betriebe gefährdet gewesen. "Es gibt ein Kommen und Gehen", sagt Heinemann im Gespräch mit unserer Redaktion.

Ökonomen lehnen Subventionen für einzelne Branchen ab

Aus seiner Sicht gibt es keine Berechtigung für die dauerhafte Subventionierung einer Branche. Die Begründung dafür sei willkürlich. Denn: Auch Fitnessstudios – um ein Beispiel zu nennen – waren von Lockdowns betroffen, sagt Heinemann. Für sie aber galt keine Steuerermäßigung. Heute befindet sich die Bauwirtschaft in der Rezession, der Neubau ist eingebrochen und trotzdem zahlt das Handwerk die volle Mehrwertsteuer.

Und überhaupt: Die Gründe für die Steuererleichterung– die Pandemie und die anschließende Energiekrise – seien inzwischen nicht mehr gegeben. "Daher ist es richtig, zu 19 Prozent zurückzukehren", sagt Heinemann.

Das unterstreichen auch andere Experten. "Es gibt wirklich keinen guten Grund, den Mehrwertsteuersatz für die Gastronomie weiter auf sieben Prozent zu lassen. Wenn der Dehoga mit seinen Warnungen immer recht hätte, wären die Betriebe schon alle durch das Rauchverbot gestorben und in der Pandemie gleich doppelt", sagte die Ökonomin und Steuerexpertin Dominika Langenmayr im "Spiegel"-Interview. Ähnlich äußerte sich DIW-Chef Marcel Fratzscher.

Unter Ökonomen herrscht ohnehin Einigkeit darüber, dass das System der Mehrwertsteuer schon heute zu kompliziert ist, es zu viele Ausnahmen gibt – und die Umsatzsteuer als Instrument gänzlich ungeeignet ist, um bestimmten Branchen zu helfen. Zugespitzt gesagt: Die Maßnahme ist teuer und wirkt nicht zielgenau.

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Mehrwertsteuersenkung: Dem Fiskus entgehen 3,5 Milliarden Euro

In der Politik gibt es einige, die das anders sehen. Und die die Gastro-Branche weiterhin gerne privilegiert hätten – trotz der rund 3,5 Milliarden Euro jährlich, die dem Fiskus dadurch entgehen. "Wenn alle Parteien an einem Strang gezogen hätten, wäre eine weitere Verlängerung drin gewesen", kommentierte FDP-Chef und Finanzminister Christian Lindner die Ampel-Entscheidung in der "Bild am Sonntag".

Auch die Union hat sich dafür ausgesprochen, den ermäßigten Mehrwertsteuersatz beizubehalten. CSU-Chef Markus Söder sagte, die Rückkehr zu 19 Prozent führe "zu höheren Lebensmittelpreisen, ist mittelstandsfeindlich und heizt die Inflation nur zusätzlich an". Was da mitschwingt: Wenn die Preise im Restaurant anziehen, wirkt sich das auch auf die allgemeine Teuerungsrate aus.

Mehrwertsteuer steigt wieder: Wie teuer wird's im Restaurant im nächsten Jahr?

Ein Argument, das ZEW-Forscher Heinemann nicht überzeugt. Er glaubt nicht, dass die Restaurants die vollen zwölf Prozentpunkte weitergeben. Dafür sorge schon der Wettbewerb und die Preiserhöhungen in der Vergangenheit, die die Rücknahme der Steuererleichterung oftmals schon abbildeten – zumindest bei den vorausschauenden Restaurants. "Der Preiserhöhungsspielraum ist nicht so groß", sagte Heinemann unserer Redaktion.

Doch wie teuer wird nun das Essen – Getränke waren von der Steueränderung ausgenommen und Speisen zum Mitnehmen werden weiterhin mit sieben Prozent besteuert – im Restaurant?

"Wahrscheinlich werden von den zwölf Prozentpunkten, die die Mehrwertsteuer jetzt in der Gastronomie steigt, 70 bis 80 Prozent an die Kunden weitergegeben", sagte DIW-Ökonom Marcel Fratzscher dem "Spiegel". Das entspräche rund zehn Prozent höheren Preisen.

Am Ende zahlt der Verbraucher doppelt

Womit, sollte es so kommen, ein Grundproblem der Subventionierung über die Mehrwertsteuer deutlich wird. Während die Steuersenkung nicht bei den Verbrauchern ankam, wird ihre Rücknahme an sie weitergegeben. Und das, obwohl die Unternehmen bereits zuvor die Preise deutlich angehoben haben.

Dass es gerade die traditionell marktwirtschaftlich orientierten Parteien Union und FDP sind, die die Prinzipien der Ordnungspolitik hier offenbar vergessen, wundert ZEW-Forscher Heinemann. "Sie haben sich nicht mit Ruhm bekleckert", sagt er.

"Es sind tendenziell Menschen mit mehr Geld, die ins Restaurant gehen. Die Steuersenkung bevorzugt also wohlhabende Haushalte."

Ökonom Friedrich Heinemann

Doch selbst wenn die Preise steigen: Es sei auch sozialpolitisch richtig, wenn die Steuersenkung ausläuft, so Heinemann. "Es sind tendenziell Menschen mit mehr Geld, die ins Restaurant gehen. Die Steuersenkung bevorzugt also wohlhabende Haushalte", urteilt Heinemann nüchtern.

Es ist nicht einfach, eine Steuersenkung wieder zurückzunehmen

Die Diskussion um die Höhe der Mehrwertsteuer im Restaurant zeigt vor allem eines: Es ist für die Politik nicht einfach, eine Steuersenkung wieder zurückzunehmen, weil mit ihr eine Erwartungshaltung verbunden ist und sie Interessenverbände auf den Plan ruft. Aus ökonomischer Sicht sei es daher besser, weil effizienter, angeschlagenen Branchen im Zweifel mit Einmalzahlungen zu helfen, sagt ZEW-Steuerexperte Heinemann.

Die Mehrwertsteuer, finden Ökonomen, sollte ohnehin nur noch einmal angefasst werden. Um das Wirrwarr an Ausnahmen und Sonderregelungen ein für allemal zu beenden.

Über den Gesprächspartner

  • Friedrich Heinemann ist Leiter des Forschungsbereichs "Unternehmensbesteuerung und Öffentliche Finanzwirtschaft" am Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim. Er hat Volkswirtschaftslehre und Geschichte an der Universität Münster, der London School of Economics und der Universität Mannheim studiert. Heinemann wurde an der Universität Mannheim promoviert und an der Universität in Heidelberg habilitiert. Seine Forschungsinteressen liegen in der empirischen Finanzwissenschaft und politischen Ökonomie.

Verwendete Quellen

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