Während bei Volkswagen hart um eine sichere Zukunft gerungen wird, sind die Verfehlungen der Vergangenheit nicht abschließend geklärt. Welche Erkenntnisse bringen die Prozesse zur Dieselaffäre?
Fast zehn Jahre nach der Dieselaffäre bei Volkswagen scheinen die Verfehlungen in der öffentlichen Wahrnehmung längst verdrängt von der aktuellen Krise und Zukunftssorgen beim Autobauer. Vor Gericht wird aber weiterhin versucht, die Verantwortung für einen der größten deutschen Industrieskandale zu klären. Ob es 2025 Urteile im Betrugsprozess oder eine Entscheidung im Investorenverfahren gibt, ist noch offen - und vor der Neuverhandlung gegen Ex-VW-Boss Winterkorn steht wieder ein dickes Fragezeichen.
Im September 2015 waren die Abgasmanipulationen in Dieselfahrzeugen von VW durch Nachforschungen von US-Umweltbehörden und Wissenschaftlern aufgeflogen. Der Skandal stürzte den Autobauer in seine bis dahin schwerste Krise der Firmengeschichte. In der Folge gab es durchaus scharfe Konsequenzen wie Haftstrafen in den USA, ein Milliardenbußgeld an das Land Niedersachsen und Entschädigung für rund eine Viertelmillion VW-Dieselfahrer.
Betrugsprozess gegen vier Führungskräfte
Die strafrechtliche Verantwortung der früheren VW-Führungsriege ist aber längst nicht abschließend aufgearbeitet. Ein erstes Urteil in Deutschland vom Landgericht München gegen Ex-Audi-Chef Rupert Stadler ist nicht rechtskräftig, die Revision läuft. Am Landgericht Braunschweig wird seit mehr als drei Jahren gegen vier frühere Führungskräfte verhandelt. Termine sind nach Angaben der Staatsanwaltschaft Braunschweig bis März 2025 angesetzt, ob bis dahin ein Urteil möglich sein wird, ist aber noch unklar.
Der Prozess gegen den früheren VW-Konzernchef Martin Winterkorn ist aus gesundheitlichen Gründen von diesem Verfahren abgetrennt und anschließend mehrmals verschoben worden. Im September 2024 begann dann doch der eigene Prozess gegen Winterkorn, dem vor der Wirtschaftsstrafkammer gewerbsmäßiger Betrug, Marktmanipulation und uneidliche Falschaussage vorgeworfen werden. Der mittlerweile 77-Jährige wies sämtliche Vorwürfe zurück, und es gilt die Unschuldsvermutung.
Neustart im Prozess gegen Winterkorn fraglich
Nach nur wenigen Verhandlungstagen wurde der Prozess zunächst unterbrochen und dann ausgesetzt. Auf die Neuansetzung für Anfang Februar reagierte die Verteidigung des einstiegen Topmanagers kurz vor Weihnachten mit einem Befangenheitsantrag gegen den Richter. Der Prozessneustart dürfte daher im zehnten Jahr nach Bekanntwerden der Dieselaffäre mehr als fraglich sein.
Hinter Winterkorn und den vier Führungskräften warten auch zahlreiche weitere Beschuldigte auf eine Entscheidung, wie "Dieselgate" für sie persönlich ausgeht. "Es wurden 5 Anklagen gegen insgesamt 45 Beschuldigte erhoben", zählt Staatsanwaltschaft-Sprecher Christian Wolters auf Anfrage auf. Für 9 Betroffene sei nach einem Paragrafen, der Auflagen und Weisungen zulässt, eingestellt worden.
In den USA verurteilte Manager in Deutschland nicht mehr verfolgt
Schon vor Anklageerhebung wurden die Ermittlungsverfahren gegen 47 weitere Beschuldigte nach Angaben der Staatsanwaltschaft eingestellt. "Das öffentliche Interesse konnte durch erhebliche Geldauflagen - insgesamt 804.000 Euro - ausgeglichen werden", begründet Behördensprecher Wolters das Vorgehen. Der Großteil der Betroffenen war ihm zufolge in unteren Hierarchieebenen des VW-Konzerns aktiv. Die beiden bereits in den USA verurteilen Manager müssen laut Wolters in Deutschland keine weiteren Sanktionen fürchten.
Ein Verfahren, in das auch der Konzern selbst noch involviert ist, ist der milliardenschwere Musterprozess von Anlegern gegen VW. In der Verhandlung gegen den Volkswagen-Konzern und die Dachholding Porsche SE am Oberlandesgericht (OLG) Braunschweig wird seit 2018 um Schadenersatz gerungen, den Investoren wegen der Kursverluste nach dem Auffliegen von "Dieselgate" beanspruchen.
Investorenverfahren nach sechs Jahren nicht am Ende
In diesem riesigen Verfahren wird sogar schon seit 2018 verhandelt. Nach knapp fünf Jahren Verfahrenszeit hatte das Gericht im Juli 2023 angekündigt, mehr als 80 Zeugen - darunter auch die früheren Vorstandschefs Herbert Diess und Mathias Müller - hören zu wollen. Für diese Vernehmungen gibt es Termine in der ersten Jahreshälfte, wie eine OLG-Sprecherin ankündigt.
Ein Ende ist überhaupt nicht absehbar. Es ist nach Angaben der OLG-Sprecherin nicht ausgeschlossen, dass über die bisher benannten noch weitere Zeugen zu vernehmen seien. Dies werde sich erst im Laufe der nächsten Monate zeigen. Ein Endergebnis in diesem Musterprozess könnte sich noch auf die Dieselaffären-Abschlussrechnung auswirken. Der Streitwert liegt weit über vier Milliarden Euro. Die bisherigen Gesamtkosten für Volkswagen beziffert ein Konzernsprecher aktuell auf etwa 33 Milliarden Euro. (dpa/bearbeitet von sbi)
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