Volkswagen rutscht immer tiefer in eine massive Krise. Auch Sparmaßnahmen scheinen nicht zu wirken. Nun sind bereits Entlassungen und Werkschließungen im Gespräch. Im Interview erklärt Beatrix Keim vom Center for Automotive Research, wie es dazu kommen konnte und welche Maßnahmen jetzt nötig wären.
Frau Keim, Volkswagen rutscht in eine massive Krise. Das Unternehmen überlegt, Werke in Deutschland zu schließen und betriebsbedingte Kündigungen auszusprechen. Was ist los in Wolfsburg?
Beatrix Keim: Als Anfang Juli die Halbjahreszahlen herauskamen, war man noch optimistisch. Die bezogen sich jedoch auf den Gesamtkonzern. Die Kernmarke Volkswagen kränkelt schon seit längerem. Dass diese nicht mehr die Deckungsbeiträge erwirtschaftet, die nötig sind, war lange klar. Und die Sparmaßnahmen wirken nicht so schnell, wie es vom Kapitalmarkt gefordert wird. Auf der anderen Seite ist Deutschland ein Hochlohnland mit hohen Energiekosten, bei denen es auch keine Vergünstigungen für die Industrie gibt. Dazu kommt 2025 die Verschärfung der CO2-Emissionsregeln, auch da werden hohe Zahlen auf Volkswagen zukommen.
Das betrifft aber auch die Konkurrenz, oder?
Was speziell die Marke Volkswagen betrifft, ist schon recht lange bekannt, dass die Deckungsbeiträge eher negativ sind. Hinzu kommt die hohe Komplexität in der Modellpolitik: Entwicklungen dauern zu lange, es fehlt an Effizienz. Bei Audi oder Skoda ist das nicht der Fall.
Die Konkurrenz, etwa BMW oder Mercedes, steht besser da. Dort gibt es allerdings auch eine andere Struktur. Zum Beispiel sind Financial Services – etwa die "Mercedes-Benz Bank" – traditionell sehr große Profitbringer.
Die Dieselaffäre zieht immer noch nach
Wie konnte Volkswagen überhaupt dermaßen in Schwierigkeiten geraten?
Es kam sehr viel zusammen. Zum Beispiel zieht die Dieselaffäre noch viel nach sich. Ohne dass es geplant war, sind dadurch zweistellige Milliardenbeträge auf VW zugekommen. Noch im Halbjahresbericht hat man gesehen, dass 300 Millionen abfließen, die mit der Dieselaffäre zu tun haben – und das vier Jahre nach dem Urteil. Insgesamt schlug die Dieselaffäre mit 20 Milliarden Euro zu Buche, das ist ein massiver Kostenfaktor. Außerdem wurde das Rating von VW bei Moody's von A2 auf A3 abgestuft. Das bedeutet, dass Kredite schwieriger zu bekommen sind. All das ist schwer wettzumachen, wenn durch Corona und weitere Krisen Absatzschwierigkeiten hinzukommen. Dazu kommen im Elektromarkt neue Wettbewerber aus China, die massiv von der eigenen Regierung gestützt werden.
Zu langsam bei E-Autos?
Welche Rolle spielt dabei die verschlafene Entwicklung in der E-Mobilität?
Volkswagen hat früh mit der Forschung angefangen, aber man hat das Thema immer so mitlaufen lassen. Es kam nicht grundsätzlich zu spät, aber in der massiven Ausprägung kam es zu spät. Der Leitmarkt Deutschland kommt nicht in die Gänge, so wie es sein sollte, obwohl die Deutschen gerne deutsche Fabrikate kaufen. In anderen Ländern dagegen geht es mit der E-Mobilität gut voran. Im Dezember ist der Markt dann eingebrochen, das ist ein Versagen der Politik. Damit meine ich die Art, wie es geschehen ist, die war richtig dämlich. Der Stopp der Förderung von heute auf morgen hat zu viel Ungleichheit gesorgt. Viele Hersteller haben daraufhin die Prämie selbst bezahlt, aber dieses Geld fehlt dann eben auch. Mit der Umweltprämie haben sich die Menschen E-Autos gekauft. Das Interesse für E-Mobilität ist also definitiv da.
Welche Schwierigkeiten bringt der Standort Deutschland generell mit sich? Ist "Made in Germany" womöglich in Gefahr?
Aus Konsumentensicht ist "Made in Germany" immer noch ein gutes Leitbild. Auch, wenn man sich andere Länder ansieht. In China etwa wird ein Nationalismus vorangetrieben, aber Deutschland besitzt immer noch einen großen Vertrauensfaktor. In den USA versucht man mit dem IRA (Anm.d.R.: Inflation Reduction Act) grüne Industrien zu fördern. Aber der einzige namhafte E-Autohersteller ist Tesla. In Europa hat jeder Staat seine eigenen Erfahrungen. Insgesamt glaube ich, dass das Siegel "Made in Germany" durchaus noch einen großen Nimbus hat.
Auf dem chinesischen Markt wird es schwieriger, da dort die heimischen Hersteller stark zulegen. Welche Auswirkungen hat das auf die Marke "Volkswagen"?
Im chinesischen Produktionsmarkt hatte Deutschland von allen Ausländern den größten Anteil, bis vor vier Jahren war dieser sogar noch größer als der chinesische. Das hat sich mit den E-Fahrzeugen zugunsten der Chinesen gedreht, aber die Deutschen sind unter den Joint Ventures immer noch führend. Im Verbrennerbereich ist Volkswagen weiterhin führend. Mit dem Aufkommen der chinesischen Marken und dem Push durch die Regierung ist der deutsche Anteil geschrumpft.
Traditionell war China immer ein großer Profitbringer, doch die Dividenden aus China werden auch geringer. Deshalb versucht man, durch bessere Strukturen des Elektrofahrzeug-Angebots das Niveau zu halten. China hat eine große Bedeutung, aber es kann nicht alles kompensieren. Es ist wichtig, hier auch weiter zu investieren.
Der Weg aus der Krise
Was wären wohl geeignete Maßnahmen für Volkswagen, um aus der Krise wieder herauszufinden?
Das ist eine hochkomplexe Angelegenheit. Es hängen ja so viele Dinge daran, ein Auto zu produzieren: Materialplanung, Design, Digitalisierung; die Frage, wie man ein für den Kunden attraktives Produkt herstellt. Die ganze Verkettung, auch in den Zuliefererbereich, spielt da hinein. Und bei Volkswagen kommen nun die Gewerkschaften hinzu. Die beiden Seiten müssen aufeinander zugehen und einen Kompromiss finden. Bei VW gibt es zum Beispiel über 200 Arbeitszeitmodelle. Man muss also schlanker werden, gewisse Arbeitsschritte, auch in der Verwaltung müssen automatisiert und digitalisiert werden. Es reicht nicht, einfach ein paar Leute zu entlassen.
Auch für die Politik gilt es, sich das nochmal anzuschauen, über alle Haushaltsdiskrepanzen hinweg. Die Frage ist: Möchte man wirklich die Industrie, die den Großteil des Wohlstands Deutschlands ausmacht, schutzlos lassen? Oder will man dafür nicht einen Schutzschirm bereitstellen?
Ein Schutzschirm für die Autoindustrie?
Ich glaube, es ist wirklich nötig, diese Industrie zu unterstützen. Man könnte sie als "systemrelevant" betrachten. Ich mag diesen Ausdruck sehr.
Über die Gesprächspartnerin
- Beatrix Keim ist Director Business Development & China Projects beim Center for Automotive Research (CAR).
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