Eine Wohltätigkeitsstiftung in Katar unterstützt europäische Muslime – mit Vorliebe Anhänger der konservativen Muslimbruderschaft. Das zeigen Dokumente, die ein anonymer Whistleblower Journalisten zukommen ließ. Unterwandert das steinreiche Königreich systematisch den europäischen Islam? Eine Berliner Islamwissenschaftlerin warnt vor Alarmismus.
Der USB-Stick, der Georges Malbrunot und Christian Chesnot zugespielt wurde, enthält brisante Informationen. Auch die Ergebnisse ihrer zweijährigen Recherchen für den deutsch-französischen Fernsehsender Arte scheinen alarmierend.
Die Reportage, die Arte kürzlich unter dem Titel "Katar: Millionen für Europas Islam" ausstrahlte, enthüllt beunruhigende Details: Die Wohltätigkeitsorganisation Qatar Charity ist demzufolge nicht nur die von unabhängigen Bürgern des Königreichs geführte Nicht-Regierungs-Organisation (NGO), als die sie sich selbst darstellt. In Wahrheit ziehen auch Mitglieder des katarischen Herrscherhauses und des Regierungsapparats an maßgeblicher Stelle die Fäden.
Für fromme Muslime auf der ganzen Welt gehört es zu den wichtigsten religiösen Pflicht, einen Anteil ihres Besitzes armen und bedürftigen Muslimen zugutekommen zu lassen – und denjenigen, die für den Islam gewonnen werden sollen.
Qatar Charity als "unabhängige Organisation" bietet sich an, ihre Spenden, den sogenannten Zakat, an die richtigen Stellen weiterzuleiten. Die wenigsten der Spender in Katar dürften allerdings ahnen, dass ein großer Teil des Geldes, das sie dem frommen Hilfswerk überweisen oder in bar aushändigen, nach Europa fließt.
Der USB-Stick mit tausenden von Dokumenten, den die französischen Journalisten ausgewertet haben, zeigt Verbindungen von Qatar Charity zu 140 Projekten in Europa. Die Überweisungen, Mail-Korrespondenzen und Spenderlisten beziehen sich auf 140 unterstützte Projekte – 47 davon in Italien, 22 in Frankreich, jeweils elf in Großbritannien und Spanien, zehn in Deutschland.
Der Gesamtwert der Fördergelder, die vor allem an Moscheen, Schulen und islamisch orientierte Kultureinrichtungen gingen: 260 Millionen Euro. Die Arte-Journalisten bezeichnen das Programm von Qatar Charity als "wichtigsten Motor für die Verbreitung der islamischen Kultur im Westen und in der Welt."
Katar fördert die Muslimbruderschaft
Doch die großzügigen Fördergelder kommen nicht allen Muslimen in gleichem Maße zugute. Vieles deutet darauf hin, dass Katar vor allem die wertkonservative Muslimbruderschaft unterstützen will. Die Bewegung, entstanden Ende der 1920er-Jahre in Ägypten, strebt einen "integralen Islam an" – die Religion soll nicht nur das persönliche Leben ihrer Anhänger, sondern auch das staatliche Leben regeln.
Die Berliner Islamwissenschaftlerin Bettina Gräf hält es trotzdem für unangebracht, angesichts der Aktivitäten Katars Alarm zu schlagen, wie sie im Gespräch mit unserer Redaktion betont. Mit radikal-islamistischen Ambitionen im Sinne des Islamischen Staates habe das Engagement von Qatar Charity "nichts zu tun". Vielmehr müsse man Katars derzeitige Situation in der Politik des Nahen Ostens berücksichtigen.
In der Tat befindet sich das Land (Katar ist, gemessen am Bruttosozialprodukt pro Kopf, das reichste Land der Welt) in einem erbitterten Machtkampf mit Saudi-Arabien. Die beiden Ölstaaten tragen diesen "Stellvertreter-Kulturkampf", so die Wissenschaftlerin, in Asien und Afrika, aber auch in Europa aus.
Auch Saudi-Arabien setzt dabei auf die Arbeit von Stiftungen – während Katar den Kurs der Muslimbrüder unterstützt, propagieren die Saudis einen eher streng-gläubigen wahhabitischen Islam.
Gräf, die an der FU Berlin als Vakanzprofessorin tätig ist, rät zur vergleichenden Betrachtung: Als vor einigen Jahren deutsche politische Stiftungen in Ägypten ihre Bildungsarbeit einstellen mussten, habe die Politik diese Einschränkung vehement kritisiert. "Man sollte jetzt nicht eine islamische Stiftung für ihre Arbeit pauschal verurteilen", warnt sie.
Im Machtkampf gegen Saudi-Arabien derzeit unterlegen
Tatsächlich enthält die Arte-Reportage einige Unschärfen: So klären die Journalisten nicht, wie Muslime als Muslimbrüder zu identifizieren sein sollen – die Bruderschaft ist kein organisierter Verein, es gibt keine Mitgliedslisten, als "Brüder muslimischen Glaubens" bezeichnen sich viele, wenn nicht gar alle Muslime.
Auch die kritische Frage an islamische Kultureinrichtungen, warum sie Schriften erzkonservativer Geistlicher in ihren Regalen hätten, zielt ins Leere: Die wissenschaftlich-kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte und ihren Lehren und Irrlehren würde niemand etwa der katholischen Kirche vorwerfen.
Möglicherweise kommt öffentliche Kritik an Qatar Charity ohnehin zu spät: Katar ist in den vergangenen Jahren unter enormen politischen und wirtschaftlichen Druck geraten. Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), Ägypten und Bahrein haben zum Boykott des Landes aufgerufen. Zu ihren Forderungen gehört auch die Schließung von Qatar Charity.
Im Machtkampf zwischen Saudi-Arabien scheint Katar momentan unterlegen zu sein. Dass es andererseits in Europa fest verankert ist, zeigt der Sport: Der Westen und auch Deutschland haben Aufträge etwa für Stadionbauten in Katar gerne angenommen, ebenso gerne lassen sich europäische Fußballmannschaften mit Geld aus dem Nahen Osten unterstützen.
Für solche Geschäfte sucht Katar nicht Kontakt zu Muslimbrüdern, sondern zur Wirtschaft. "Natürlich wollen sie auch politische Einflussnahme", sagt die Islamwissenschaftlerin Gräf, wirtschaftlich und politisch sei Katar "ein Global Player wie andere auch." Sie weist auf die Umbrüche in Katar wie in Saudi-Arabien hin: In beiden Ländern haben junge Regierungschefs die Herrschaft übernommen und Reformprozesse eingeleitet.
In der Tat hat schon vor einem Jahr Katars Außenminister eine stärkere Kontrolle der karitativen Einrichtungen beschlossen. Qatar Charity hat inzwischen sein Büro in London geschlossen, Zahlungen an europäische Empfänger wie das muslimische Kulturzentrum in der Schweiz wurden gestoppt.
Verwendete Quellen:
- Arte.tv: Katar: Millionen für Europas Islam
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