- 1945 beendete der Abwurf der beiden amerikanischen Atombomben "Fat Man" und "Littly Boy" auf Japan den Zweiten Weltkrieg.
- Ursprünglich war eine dritte Bombe vorgesehen, die jedoch nicht mehr zum Einsatz kam.
- Deren Kern wurde weiter für Forschungszwecke verwendet und führte zu zwei tragischen Unfällen, weshalb er als "Demon Core" in die Geschichte einging.
Schon länger war bekannt, dass es möglich sein musste, durch den Beschuss mit Neutronen einen Atomkern zu spalten. Aber erst Ende 1938 war es dem deutschen Forscher Otto Hahn gelungen, dies zu bestätigen. Er hatte Uran mit Neutronen beschossen und wies dann Barium als Produkt der Spaltung nach.
Beschießt man also einen schweren Atomkern wie etwa den von Uran oder Plutonium mit Neutronen, so wird der Kern in leichtere Kerne aufgespalten. Es kommt dabei zur Freisetzung von Energie, die aus radioaktiver Strahlung besteht. Ab einer gewissen Dosis kommt es dabei zu schweren Schäden bei Menschen. Während des Zweiten Weltkriegs wurde versucht, diese Erkenntnisse militärisch zu nutzen.
Bei der Entwicklung der Atombombe legte man es darauf an, nicht nur die Atomkerne des verwendeten Materials zu spalten, sondern vielmehr eine Kettenreaktion auszulösen, um möglichst viel Energie freizusetzen: Jede Teilung eines Atomkerns führt sogleich zur Spaltung weiterer. Das zu spaltende Material befand sich in den beiden über Japan abgeworfenen Atombomben in Form eines harten Kerns im Inneren.
Bei "Fat Man" bestand er aus Plutonium , bei "Little Boy" aus Uran. Ursprünglich war vorgesehen, noch eine dritte Atombombe auf Japan abzuwerfen, die rasche Kapitulation des Kaiserreichs ließ diese Pläne jedoch obsolet werden. So blieb der bereits dafür hergestellte dritte Kern, der einen Durchmesser von 8,9 Zentimetern und ein Gewicht von 6,2 Kilogramm besaß und aus Plutonium und Gallium hergestellt worden war, für weitere Tests in einer Forschungseinrichtung in Los Alamos im Bundestaat New Mexico. Sein Spitzname lautete "Rufus".
Das Experiment: "Des Drachens Schwanz kitzeln"
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs ging die Entwicklung an Kernwaffen weiter. Mit besonderen Experimenten wollte man herausfinden, wo sich die Grenze des jeweiligen Stoffes befindet, die eine Kettenreaktion einleiten würde. Die sogenannte "kritische Masse" des Materials ist erreicht, wenn eine gleichbleibende Kettenreaktion erfolgt: Auf jede Spaltung erfolgt durchschnittlich nur eine weitere. Wird die Masse hingegen überkritisch, kommt es zu einer deutlich größeren Zahl an Folgespaltungen, die exponentiell ansteigt. Man testete nun, wie lange man den Kern beeinflussen konnte, bis diese gefährliche Schwelle erreicht war.
Dabei wurden Neutronenreflektoren eingesetzt, die aus einem Material bestehen, das in der Lage ist, vom Kern abgegebene Neutronen zurück auf diesen zu werfen. Der Gefährlichkeit waren sich die Wissenschaftler dabei voll bewusst, man bezeichnete solche Experimente daher auch mit dem bildlichen Ausdruck "tickling the dragon's tail", also dem Kitzeln des Schwanzes eines Drachens.
Experimente dieser Art gingen dabei noch durch "Handarbeit" vonstatten und hatten aus heutiger Sicht den Charakter von "Experimenten am Küchentisch". Wie noch heute im schulischen Physikunterricht befand sich der Versuch auf einem Tisch aufgebaut und der Forscher experimentierte in unmittelbarer Nähe des gefährlichen Materials.
Das erste Opfer von "Demon Core": Harry Daghlian
Ein solches Experiment nahm am Abend des 21. Augusts 1945 der Physiker Harry Daghlian an "Rufus" vor. Er war als Absolvent der Purdue University erst 1944 nach Los Alamos gekommen.
Bei dem Versuch war er alleine, nur ein Wachmann befand sich in der Nähe. Daghlian verwendete Wolframcarbid als Neutronenreflektor. Dieses platzierte er in Form von Barren um den Plutoniumkern herum. Stück um Stück legte er sie an, bis ihm seine Geräte anzeigten, dass das Plutonium kurz davor stand, überkritisch zu werden.
Als er nun begann, die Barren wieder abzubauen, geschah ihm ein verhängnisvolles Missgeschick: Ein Barren fiel ihm aus der Hand und landete auf dem Kern. Sogleich erwachte der "Drache" zum Leben: Ein bläuliches Licht flackerte auf und eine Hitzewelle entstand. Obwohl Daghlian geistesgegenwärtig den Barren sofort wieder entfernte, war er einer starken Strahlendosis ausgesetzt und musste ins Krankenhaus. Dort verschlechterte sich sein Zustand immer mehr, ihn plagten Übelkeit und schwere Schmerzen. Am 15. September – nicht einmal einen Monat nach dem Vorfall – starb er mit nur 24 Jahren.
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Das zweite Opfer: Louis Slotin
Ein Jahr später sollte es zu einem zweiten Vorfall mit Todesfolge durch den selben Kern kommen. Diesmal traf es den aus Kanada stammenden Physiker Louis Slotin, einen der führenden Wissenschaftler in diesem Bereich. Experimente dieser Art hatte er schon öfter durchgeführt und er wusste daher, wie man vorging und war sich auch des damit verbundenen Risikos bewusst.
Nun demonstrierte er am 21. Mai 1946 sieben anderen Wissenschaftlern, wie diese Experimente ausgeführt werden. Sein Versuch war dem von Daghlian sehr ähnlich: Slotin benutzte als Neutronenreflektor allerdings zwei Halbkugeln aus Beryllium, die um den Kern gelegt wurden. Diese durften sich jedoch nicht vollständig schließen, ansonsten würde der Kern sogleich überkritisch werden. Üblich war es daher, Distanzstücke zu verwenden, um das zu verhindern.
Slotin verzichtete jedoch darauf und benutzte lediglich einen flachen Schraubenzieher. Diesen hielt er mit der einen Hand fest, während er mit der anderen Hand die zweite Halbkugel bewegte. Dabei rutschte ihm der Schraubenzieher jedoch ab - und der nun vollständig umschlossene Kern wurde sogleich überkritisch. Wieder traten das blaue Licht und eine starke Hitze auf.
Slotin bekam dabei eine sehr hohe Strahlendosis ab, deutlich größer als die bei Daghlian, und er wurde ins Krankenhaus gebracht. Neun Tage nach dem Vorfall starb er im Alter von 35 Jahren. Seine anwesenden Kollegen waren der Strahlung auch ausgesetzt gewesen, jedoch aufgrund ihrer Verteilung im Raum nicht in einem bedrohlichen Maß.
Neue Maßnahmen, aber nicht der letzte Vorfall
Da der Plutoniumkern nun bereits zwei Menschen das Leben gekostet hatte, wurde er forthin "Demon Core", Dämonenkern, genannt. Er war noch für weitere Forschungszwecke vorgesehen, wurde dann aber eingeschmolzen und das gewonnene Material wanderte in den atomaren Vorrat der Vereinigten Staaten, um bei Bedarf für einen neuen Kern verwendet zu werden.
Als Folge von Slotins Tod wurden neue Sicherheitsmaßnahmen eingeführt, die in Zukunft solche Vorfälle verhindern sollten. Nun waren Forscher dazu angehalten, bei Experimenten dieser Art einen größeren Sicherheitsabstand einzuhalten und die Geräte über eine Fernsteuerung zu bedienen. Damit war die bisherige unbedarfte Vorgehensweise Vergangenheit.
Daghlian und Slotin blieben weniger für ihre tatsächliche Forschungsarbeit im Gedächtnis, sondern gingen vielmehr als die ersten beiden Opfer nuklearer Unfälle in die Geschichte ein - und es sollten noch weitere geschehen: Am 24. Juli 1964 etwa löste der 38 Jahre alte Arbeiter Robert Peabody in einer Anlage im US-Staat Rhode Island beim Umfüllen uranhaltiger Rückstände eine nukleare Kettenreaktion aus. Dabei war er einer etwa zehnmal so hohen Strahlendosis wie der bei Slotin ausgesetzt - er starb nur zwei Tage nach dem Unfall.
Filmisch verarbeitet wurden die dramatischen Vorfälle, wenn auch etwas verfremdet, 1989 im amerikanischen Spielfilm "Die Schattenmacher". Dort wird der fiktive Physiker Michael Merriman bei einem Experiment zur Bestimmung der kritischen Masse von Plutonium, die für den amerikanischen Atombombentest benötigt wird, einer zu hohen Strahlendosis ausgesetzt und stirbt.
Verwendete Quellen:
- warhistoryonline.com: Demon Core: A Third Atomic Bomb Intended For Japan That Ended Up Killing Americans
- Sciencealert.com: Peter Dockrill: The Chilling Story of The 'Demon Core' And The Scientists Who Became Its Victims
- The New Yorker (Ausgabe vom 21. Mai 2016): The Demon Core and the Strange Death of Louis Slotin
- Der Spiegel (Ausgabe vom 27. Juli 1965): Den Drachen gekitzelt
Korrektur: In einer früheren Version dieses Artikels wurde berichtet, dass der Kern einen Durchmesser von 0,89 cm hatte. Dies ist nicht korrekt. Tatsächlich hatte der Kern einen Durchmesser von 8,9 cm.
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