Am 5. September 1977 wird der damalige deutsche Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer in spektakulärer Manier von RAF-Terroristen entführt und Wochen später ermordet. Die Entführung gilt als zentrales Ereignis des "Deutschen Herbstes".

Mehr zum Thema Geschichte & Archäologie

Ein Kinderwagen rollt auf die Straße der Vincenz-Statz-Straße in Köln-Braunsfeld direkt vor den Mercedes des Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer. Und dann geht alles ganz schnell.

Am 5. September 1977 ist es 17:28 Uhr, als die vier RAF-Terroristen Sieglinde Hofmann, Willy-Peter Stoll, Stefan Wisniewski und Peter-Jürgen Boock das Feuer eröffnen.

In etwa 90 Sekunden werden 119 Schuss abgegeben, vier Männer sterben. Es sind die Polizisten Reinhold Brändle, Roland Pieler und Helmut Ulmer sowie der Fahrer des Mercedes Heinz Marcisz.

Schleyer wird aus dem Wagen gezerrt und befindet sich von nun an in der Gewalt der Terrorgruppe RAF. Die kommenden 43 Tage sollen die damalige Bundesrepublik verändern und als "Deutscher Herbst" in die Geschichtsbücher eingehen.

Elf Terroristen sollen freikommen

Die steile Karriere Hanns Martin Schleyers lässt ihn in den Fokus der Roten Armee Fraktion rücken. In seiner Funktion als Arbeitgeberpräsident ist Schleyer einer der hochrangigen Repräsentanten der deutschen Wirtschaft und gilt für die Terroristen als Symbolfigur für den Kapitalismus.

Auch wegen seiner SS-Vergangenheit während der Nazizeit wird er zur Zielscheibe der RAF. Die Terroristen schlussfolgern, dass er aufgrund seiner Position als Arbeitgeberpräsident mit wichtigen Verbindungen zu Politik und Wirtschaft für die Bundesrepublik viel wert sein könnte.

So viel, dass sie ihn heute vor 40 Jahren als Geisel nehmen und im Austausch die Freilassung von RAF-Mitgliedern aus dem Gefängnis fordern. Sie wollen das Ausfliegen von elf inhaftierten Terroristen in ein Land ihrer Wahl erzwingen.

Ein wochenlanger Nervenkrieg beginnt

Was folgt, ist ein über Wochen dauerndes Hin und Her zwischen der Bundesregierung unter Kanzler Helmut Schmidt und den Terroristen. Noch am Abend der Entführung tritt Schmidt vor die Fernsehkameras und verkündet, man werde "mit aller notwendigen Härte" gegen die Terroristen vorgehen.

Der Staat hat beschlossen, sich nicht erpressen zu lassen. "Gegen den Terrorismus steht nicht nur der Wille der staatlichen Organe, gegen den Terrorismus steht der Wille des ganzen Volkes", so Schmidt.

Auch Videos und Bilder, die den von der Geiselhaft gezeichneten Hanns Martin Schleyer zeigen, können die Regierung nicht dazu bewegen, den von den Terroristen erzwungenen Gefangenenaustausch durchzuführen.

Zwar geht bei den Behörden ein Hinweis auf das Versteck ein, in dem sich der 62-jährige Schleyer befinden könnte, diesem wird jedoch nicht nachgegangen.

Dort wird die Geisel in einem Wandschrank gefangen gehalten, welcher mit geräuschdämmenden Schaumstoffplatten ausgekleidet ist.

Entführung einer Lufthansa-Maschine

Nachdem die Bundesregierung nicht von ihrem Standpunkt abrückt, erhöht die Rote Armee Fraktion den Druck mithilfe der Gruppierung "Volksfront zur Befreiung Palästinas".

Vier Terroristen entführen am 13. Oktober 1977 die Lufthansa-Maschine "Landshut" auf ihrem Flug von Palma de Mallorca nach Frankfurt und bekräftigen die Forderungen der RAF.

An Bord befinden sich 86 Passagiere und fünf Besatzungsmitglieder. Auch die Familie Schleyer versucht nun etwas auszurichten und über das Bundesverfassungsgericht eine einstweilige Anordnung zu erreichen.

Sie will die Bundesregierung so zwingen, den Forderungen der Roten Armee Fraktion nachzugeben und das Leben von Schleyer dadurch zu retten. Der Antrag wird jedoch am 16. Oktober 1977 abgelehnt. Danach überschlagen sich die Ereignisse.

Schleyers Schicksal ist endgültig besiegelt

Am 18. Oktober 1977 gelingt es einem Kommando des Bundesgrenzschutzes GSG 9 die Geiseln aus der Lufthansa-Maschine in Mogadischu, der Hauptstadt Somalias, zu befreien.

Eine Aktion, die den Verantwortlichen zunächst Erleichterung bringt. Drei der vier Geiselnehmer werden getötet, der Pilot der Maschine war einen Tag zuvor von den Terroristen ermordet worden.

Alle anderen Passagiere überleben die Entführung. Stunden nach der Rettungsaktion der Maschine passiert das, was endgültig über das Schicksal von Hanns Martin Schleyer entscheiden soll.

Die Terroristen Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe begehen im Gefängnis in Stuttgart-Stammheim kollektiven Selbstmord. Lediglich Irmgard Möller überlebt die Todesnacht von Stammheim schwer verletzt.

Die Reaktion der Rote Armee Fraktion lässt nicht lange auf sich warten: Hanns Martin Schleyer wird mit drei Schüssen in den Hinterkopf getötet, seine Leiche einen Tag später im Kofferraum eines Autos im Elsass gefunden.

"Wir haben nach 43 Tagen Hanns Martin Schleyers klägliche und korrupte Existenz beendet", heißt es in einem Bekennerschreiben der Terroristen.

Identität des Mörders nicht zweifelsfrei geklärt

Welches der RAF-Mitglieder den Arbeitgeberpräsidenten getötet hat, ist bis heute ein Rätsel.

Peter-Jürgen Boock behauptete zwar im September 2007, dass Stefan Wisniewski und Rolf Heißler den Arbeitgeberpräsidenten erschossen hätten, er selbst hielt sich aber zum Tatzeitpunkt in Bagdad auf und war somit kein unmittelbarer Zeuge des Geschehens.

Insgesamt 20 Personen wurden als Mittäter identifiziert, 17 davon verhaftet und verurteilt. Zwei weitere wurden bei Festnahmeversuchen getötet und das RAF-Mitglied Friederike Krabbe gilt seit 1977 als verschollen.

Von 1970 bis 1998 hat die Rote Armee Fraktion insgesamt 33 Menschen ermordet, sowie zahlreiche Anschläge, Banküberfälle, Geiselnahmen und Schießereien verübt.

Im April 1998 erklärte die RAF ihre Selbstauflösung. "Heute beenden wir dieses Projekt", hieß es in einem Schreiben, das bei der Nachrichtenagentur Reuters in Köln eingegangen war.

Die Schleyer-Entführung brachte der Terrorgruppe nicht den gewünschten Erfolg, da die Öffentlichkeit keinerlei Druck auf die Bundesregierung ausgeübt hatte, den Forderungen der RAF nachzugeben.

JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.