Die am weitesten vom Festland entfernte deutsche Nordseeinsel ist erst seit 1890 Staatsgebiet: Helgoland. Das damalige Deutsche Kaiserreich wollte diese Insel unbedingt haben und tauschte sie mit Großbritannien gegen Kolonien in Ostafrika. Die Geschichte eines historischen Deals, der nicht allen gefiel.
Im Jahr 1890 unterzeichnete Reichskanzler Leo von Caprivi mit Großbritannien einen Vertrag, der umgangssprachlich als "Helgoland-Sansibar-Vertrag" in die Geschichte einging. Darin tauschte das Deutsche Kaiserreich die kleine Nordseeinsel gegen das Sultanat Sansibar ein. Spötter behaupteten, dass man damit "einen nagelneuen Anzug gegen einen alten Hosenknopf weggegeben habe". Doch die Wahrheit ist viel komplizierter.
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts war das britische Kolonialreich das größte Reich der Weltgeschichte. Fast ein Viertel der Weltbevölkerung lebte in einer der zahlreichen Kolonien. Auch das Deutsche Kaiserreich wollte beim Imperialismus mitmischen und kolonialisierte Teile Afrikas. Vor der Küste Ostafrikas liegt im Indischen Ozean das Archipel Sansibar. Dieses war 1890 zwar offiziell noch ein eigenes Sultanat, jedoch waren wichtige Küstenabschnitte von den Deutschen besetzt, die sich als Schutzmacht verstanden.
Gleichzeitig war es dem deutschen Kaiser Wilhelm II. ein Dorn im Auge, dass die Briten Helgoland, das nur 60 Kilometer vor der deutschen Küste lag, besetzt hielten. Simone Arnhold vom Museum Helgoland erklärt: "Sie [die Insel Helgoland] war für ihn strategisch von besonderer Bedeutung, denn von ihr aus ließ sich der Zugang zu den Flüssen und damit der Handels- und Schifffahrtswege ins Binnenland kontrollieren und die Küste militärisch schützen."
Eine kurze Geschichte Helgolands
Die Forderung Kaiser Wilhelms II. steht in einer Reihe mit der bewegten Geschichte der Insel, die ständig den Besitzer wechselte. In der frühen Neuzeit gehörte sie zum Herzogtum Schleswig, dann war sie Rückzugsort für Piraten in der Nordsee, bevor sie schließlich unter dänische Herrschaft fiel.
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts brachen die Napoleonischen Kriege aus, woraufhin Großbritannien 1807 die Insel annektierte, die damit zu einer der kleinsten Kolonien des Empires wurde. 1826 wurde "Heligoland", wie es auf Englisch heißt, zu einem Seebad, das Touristen vor allem aus Deutschland anzog.
Gleichzeitig wurde die Insel zum Schmugglerparadies, da sie als zollfreier Überseehafen fungierte. Dadurch stieg der Wohlstand der Inselbewohner, aber auch die Anarchie und die romantische Anziehungskraft für freiheitsliebende Menschen. Zu dieser Zeit schrieb Hoffmann von Fallersleben auf Helgoland das "Lied der Deutschen", die heutige deutsche Nationalhymne.
Der Caprivi-Zipfel und ein wütender Reichskanzler
Ab 1871, also mit der Gründung des Deutschen Reiches, wurden Rufe in der Presse laut, Helgoland für Deutschland zurückzufordern und im Gegenzug koloniales Territorium aufzugeben. Zu dieser Zeit war Otto von Bismarck Reichskanzler, der mit einem Bündnissystem Frieden sichern und gleichzeitig dem Deutschen Reich zu mehr Bedeutung verhelfen wollte. Er war gegen diesen Deal.
Doch 19 Jahre später, Bismarck war von Wilhelm II. bereits entlassen worden, erfolgte die Unterzeichnung unter Reichskanzler Leo von Caprivi. Simone Arnhold beschreibt den Deal: "Das Vereinigte Königreich übertrug dem Deutschen Kaiserreich einen schmalen Landkorridor nördlich und nordöstlich von Deutsch-Südwestafrika, im Volksmund der sogenannte Caprivi-Zipfel, und die Insel Helgoland."
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Gleichzeitig übergab das Deutsche Reich die Schutzherrschaft über das Sultanat Witu an der ostafrikanischen Küste und erkannte die vom Vereinigten Königreich beanspruchte Schutzherrschaft über die benachbarten Inseln Sansibar und Pemba vor der ostafrikanischen Küste an. Für den alternden, pensionierten Otto von Bismarck war das ein Skandal.
Durch seinen Groll motiviert, wurde Bismarck aktiv und prägte die Bezeichnung "Helgoland-Sansibar-Vertrag". Simone Arnhold sagt, dass er "mit dieser Bezeichnung die Verhandlungen und das Vertragswerk seines Nachfolgers Leo von Caprivi diskreditierte, der auf gute Verbindungen zum Vereinigten Königreich setzte". Die Bezeichnung ist also irreführend - aber hält sich bis heute. Bismarck wollte damit ausdrücken, dass das Kaiserreich aus seiner Sicht eine bedeutende Insel im Indischen Ozean gegen einen schroffen Felsen in der Nordsee eingetauscht habe.
Und die Helgoländer?
Ob sich die Bewohner damals dann deutsch, englisch oder dänisch fühlten, ist laut Simone Arnhold nicht einfach zu beantworten: "Im Vordergrund stand oft die Verbundenheit mit der Insel, aber wie genau die einzelnen Helgoländer dachten, kann nur spekuliert werden. Es gab sowohl Befürworter für den Verbleib im Vereinigten Königreich als auch Personen mit deutschem Nationalstolz."
Der Ausbau zur deutschen Seefestung sollte für die Insel übrigens noch Konsequenzen haben: Im Zweiten Weltkrieg wurde sie von Bombern attackiert und zum Kriegsende sprengten die Briten mit einer der größten nicht-atomaren Explosionen der Geschichte ein ganzes Bunkersystem in die Luft. Der Krater des "Big Bang" ist heute noch zu sehen, aber das ist eine andere Geschichte.
Über den Gesprächspartner
- Dr. Simone Arnhold ist studierte Archäologin und leitet seit 2024 das Museum Helgoland. Sie hat Ausgrabungen in Norddeutschland und im Ausland durchgeführt.
Verwendete Quellen
- Gesellschaft für Schleswig-Holsteinische Geschichte: Helgoland-Sansibar-Vertrag
- Eddinburgh University Press: A mere sandbank of no possible use for the Empire?
- planet-wissen.de: Inseltausch: Sansibar gegen Helgoland?
- Buch: Jan Rüger: Helgoland: Deutschland, England und ein Felsen in der Nordsee
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