- Geheimagentinnen werden seit dem Kaiserreich eingesetzt und haben Historisches geleistet, schreiben die "Spiegel"-Autoren Ann-Katrin Müller und Maik Baumgärtner in ihrem Buch "Die Unsichtbaren".
- Doch im Gegensatz zu ihren männlichen Kollegen wurden ihre Geschichten bis heute kaum erzählt. Dabei seien Agentinnen mehr gewesen, als verführerische Honigfallen à la Mata Hari.
- Im Interview mit unserer Redaktion spricht die "Spiegel"-Redakteurin und Buchautorin Ann-Kathrin Müller über das Leben von Geheimagentinnen, wie Sex tatsächlich als Mittel in Nachrichtendiensten eingesetzt wird und warum ein Mangel an weiblichen Agentinnen ein Sicherheitsrisiko darstellt.
Geschichte wird von Männern und Frauen geschrieben, aber erzählt werden meist nur die Geschichten der Männer. Historische Leistungen von Frauen werden häufig nicht in gleichem Maße gewürdigt. Beispiele gibt es dafür viele, auch innerhalb von Geheimdiensten.
Bei Geheimagenten kommen einem Frauen eher weniger in den Sinn. Wenn überhaupt, vielleicht Mata Hari, die erotische Nackttänzerin, die im Ersten Weltkrieg für Deutschland spionierte. Doch Spioninnen darauf zu reduzieren, sei falsch, schreiben die "Spiegel"-Redakteure Ann-Katrin Müller und Maik Baumgärtner in ihrem Buch "Die Unsichtbaren – Wie Geheimagentinnen die deutsche Geschichte geprägt haben".
Geheimagentinnen standen ihren männlichen Kollegen in nichts nach – und doch wurden ihre Geschichten bis heute kaum erzählt. Um ihnen zu mehr Sichtbarkeit zu verhelfen, haben die beiden "Spiegel"-Journalisten deutsche und internationale Archive und Datenbanken durchforstet, vertrauliche Gespräche mit ehemaligen und aktiven Nachrichtendienstlerinnen und Nachrichtendienstlern geführt und Einsicht in geheime Dokumente genommen.
Frau Müller, bei Geheimdiensten denkt man an Männer mit Schlapphut oder an James Bond, an Frauen denkt man dabei eher weniger. Sie haben mit Ihrem "Spiegel"-Kollegen Maik Baumgärtner nun ein Buch über Geheimagentinnen geschrieben und wie sie die Geschichte Deutschlands seit dem Kaiserreich maßgeblich mitbeeinflusst haben. Woran liegt es, dass Geheimagentinnen "doppelt unsichtbar" sind, wie Sie schreiben?
Ann-Katrin Müller: Zum einen gibt es die gute Unsichtbarkeit – Geheimagenten wollen schließlich unsichtbar sein und nicht auffallen. Es gibt aber auch die schlechte Unsichtbarkeit bei Geheimagentinnen. Berichte über geheimdienstliche Tätigkeiten in Deutschland drehen sich hauptsächlich um Männer. Wir glauben, das liegt daran, dass die Geschichtsschreibung häufig von Männern gemacht wird und man sich mehr an den männlichen Figuren orientiert. Auch bei Spionagethrillern sehen wir eher einen James Bond als eine Jane Bond. Generell sind wir sehr darauf geeicht, bei Spionage an Männer zu denken. Wenn überhaupt, dann geht es bei Frauenspionage um die "Waffen einer Frau" oder eine nackt tanzende Mata Hari. Aber ihre Arbeit darauf zu reduzieren, ist falsch.
Haben männliche und weibliche Geheimagenten in der Geschichte die gleichen Aufgaben übernommen oder gab es da wesentliche Unterschiede?
Geheimagentinnen haben all das gemacht, was ihre männlichen Kollegen auch gemacht haben: Sie wurden hinter der Front eingesetzt, sie haben Informationen gesammelt, Quellen angeworben oder geführt, militärische Dokumente gestohlen und Sabotageakte durchgeführt – mit dem Zusatz, dass manche Agentinnen von sich aus oder auf Anweisung auch ihre weiblichen Reize eingesetzt haben. Frauen hatten es aber aufgrund der gesellschaftlichen Situation schwerer, sie mussten schon sehr aktiv sein, um überhaupt in diese Position zu kommen.
Ihren Recherchen zufolge werden Frauen seit dem Kaiserreich professionell für die Arbeit in Nachrichtendiensten eingesetzt. Angesichts der damaligen Rolle der Frau ist einigermaßen überraschend, dass man Frauen solche Tätigkeiten überhaupt zugetraut hat. Wie kam es dazu?
Man hat für geheimdienstliche Tätigkeiten immer Leute gesucht, die so inkognito wie möglich waren – und Frauen hat eben niemand zutraut, dass sie spionieren. Wenn sich ein Mann nach militärischen Dokumenten erkundigt hat, wurden die Leute eher misstrauisch als bei einer Frau mit gespielt naivem Augenaufschlag. Wir haben zum Beispiel den Fall der russischen Agentin Zinaida Smoljaninow recherchiert, die 1904 in Berlin deutsche Militärdokumente ausspioniert hat. Generell gilt: Je krisenreicher die Zeit, desto eher durften auch Frauen ran. Interessanterweise ist das bis heute so. Es braucht meist einen Skandal inklusive Rücktritt, bis eine Frau an die Spitze kommt und das Aufräumkommando übernimmt.
Wer waren die Frauen, die zu Agentinnen wurden? Was hat sie angetrieben, sich in diese gefährliche Position zu bringen?
Je weiter man in der Geschichte zurückgeht, desto höher waren die Schichten, aus denen die Agentinnen kamen. Das liegt auch daran, dass sich diese Frauen damals eher Gedanken über solche Dinge machen konnten und die entsprechenden Kontakte hatten. Grundsätzlich trieb die Frauen dabei das Gleiche an, wie ihre männlichen Kollegen, etwa ideologische Gründe oder Geldnot. Bei den Frauen kommt noch hinzu, dass sie aus der kleinen Rolle, die ihnen die Gesellschaft damals zugedacht hatte, ausbrechen wollten. Elisabeth Schragmüller ist dafür ein schönes Beispiel.
Während des Ersten Weltkriegs wollte sie nicht einfach nur herumsitzen, sie wollte etwas beitragen. Wassereimer für die Soldaten zu schleppen, reichte ihr dann auch nicht. Sie blieb hartnäckig, fragte immer wieder nach. Irgendwann mietete sie sich in ein Hotel ein, wo auch Generalfeldmarschall Colmar von der Goltz residierte, und bot ihm an, für ihn zu arbeiten. So wurde sie zur Spionin, und zwar sehr erfolgreich. Im Kampf gegen die Franzosen wurde sie zu einer der wichtigsten Agentinnen Deutschlands. Sie hat auch Mata Hari mit ausgebildet.
Welche Geschichte hat Sie besonders beeindruckt?
Mein Lieblingsfall ist der von Nathalie Sergueiew, die Doppelagentin aus dem zweiten Weltkrieg. Sie war eine echte Abenteurerin und hatte den Plan gefasst, ihr geliebtes Paris von den Nazis zu befreien. Dazu ließ sie sich von den Deutschen als Agentin anwerben. Die haben sie ausgebildet, ihr vollkommen vertraut und sie nach England entsandt. Dort hat sie sich den Briten dann als Doppelagentin angeboten – für die Briten muss das wie Weihnachten und Ostern zusammen gewesen sein! Sie haben ihr sogar gesagt, dass sie mehr wert sei als eine Panzerdivision. Man merkt es auch an ihrem britischen Decknamen: "Treasure", Schatz.
Tatsächlich haben die Briten den Deutschen über Sergueiew falsche Informationen zugetragen. Die Nazis wussten, dass die Alliierten über das französische Festland anlanden wollten und Sergueiew hat wesentlich dazu beigetragen, dass die Deutschen von der falschen Landungsstelle ausgegangen sind. Deshalb hat der D-Day funktioniert und der Zweite Weltkrieg konnte gewonnen werden. Es ist schon erstaunlich, dass man nichts über Sergueiew weiß, obwohl so viel über den D-Day geschrieben und filmisch aufbereitet wurde. Dabei sind schon zu Lebzeiten viele Artikel über sie erschienen und ihre Mutter hat nach ihrem Tod in den 1960er-Jahren ihr Tagebuch veröffentlicht. Über den Mann, der die Operation vor allem vom Schreibtisch aus leitete, weiß man heute trotzdem viel mehr.
Was ist an dem Klischee dran, dass Agentinnen vor allem mit ihren weiblichen Reizen arbeiten? Wird Sex tatsächlich als Mittel bei Geheimdiensten eingesetzt?
Die deutschen Geheimdienste sagen, dass sie Sexualität nicht einsetzen. Im Ausland wundert man sich darüber, warum man ausgerechnet dieses Mittel liegen lässt. Aus unseren Gesprächen mit Agenten aus Europa und Übersee geht hervor, dass Sexualität bis heute bei fast allen Diensten eingesetzt wird. Es werden zum Teil auch Prostituierte angeworben, es mussten und müssen also nicht immer Geheimdienstmitarbeiterinnen mit Zielpersonen ins Bett. Deutsche Politiker und Beamte werden auch davor gewarnt, wenn sie nach Russland oder China reisen. Wenn an der Bar eine schöne Frau auf einen zukommt und mit hoch aufs Zimmer will, ist Vorsicht geboten, denn dort wird vermutlich heimlich gefilmt. Auf diese Art wird ganz schnell kompromittierendes Material erstellt, das macht erpressbar. Die Deutschen nutzen aber Äußerlichkeiten, beim Verfassungsschutz setzt man gerne mal eine blonde, blauäugige Frau auf eine rechtsextreme Quelle an, in der Hoffnung, dass die Quelle dann mehr plaudert, weil sie der Frau gefallen will.
Gab es besondere historische Bespiele, die man heute anders betrachten sollte?
Es gab aber noch andere Varianten. Die Stasi hat die sogenannte "Romeo-Methode" eingesetzt. Sie haben ihre Agenten auf westdeutsche Sekretärinnen angesetzt, die zum Beispiel in der CDU-Parteizentrale oder in Ministerien arbeiteten. Die Männer haben die Frauen mit Geschenken überhäuft und zum Teil sogar geehelicht, um an Informationen zu kommen. Viele der Frauen waren entgegen dem Vorurteil aber nicht blind vor Liebe, sondern wussten, was sie taten. Sie haben sich überzeugen lassen, entweder, weil sie dem Kommunismus zugeneigt waren oder aus Rache, weil sie sich vom westdeutschen System schlecht behandelt gefühlt haben, oder aus Abenteuerlust.
Sie haben mit mehreren aktiven und ehemaligen Geheimdienstlern gesprochen. Sie beschreiben zum Beispiel ein Treffen mit einer ehemaligen Nachrichtendienstlerin und es wirkt, als würde die Frau noch immer verfolgt werden. Was macht dieser Beruf mit den Menschen?
Auch wenn Mitarbeiter aus dem Geheimdienst aussteigen, dürfen sie nicht über ihre Arbeit sprechen, das haben sie so unterschrieben. In dem Fall war die Frau einfach vorsichtig, weil ihr Arbeitgeber nicht mitbekommen sollte, dass sie mit uns redet. Aber es macht was mit den Leuten, wenn sie nie über ihre Arbeit sprechen können. Ich glaube, diese Menschen müssen sich sehr viel Mühe geben, anderen Menschen zu vertrauen. Das sorgt dafür, dass die Leute etwas speziell sind in dem, wie sie kommunizieren oder wie sie sich treffen wollen, was ich aber verstehen kann.
Viele haben auch deswegen mit uns gesprochen, weil sie wollen, dass mehr über Geheimdienste aufgeklärt wird. Die deutschen Behörden sind sehr verschlossen, während beispielsweise der MI6-Chef regelmäßig Interviews zu aktuellen Bedrohungen gibt und erklärt, wie man daran arbeitet – natürlich ohne operative Details zu verraten. Viele Agentinnen und Agenten wollen, dass die Menschen verstehen, was Geheimdienstarbeit eigentlich bedeutet.
Im Vorwort schreiben Sie, dass Frauen im deutschen Nachrichtendienst bis heute im operativen Geschäft und in der Führung unterrepräsentiert sind und sehen das nicht nur im Sinne der Gleichberechtigung kritisch, sondern auch hinsichtlich Sicherheit. Inwiefern stellt das ein Sicherheitsrisiko dar?
Wir haben Männer und Frauen gefragt, die noch heute für Geheimdienste arbeiten, welche Vorteile Agentinnen für den Dienst haben. Interessanterweise sagen alle, dass der andere Blick, den Frauen aufgrund ihrer Sozialisation haben, enorm hilfreich ist. Wenn man die gesamte Gesellschaft schützen will, muss man auch einen Blick auf die gesamte Gesellschaft haben. Wir haben das am Beispiel der RAF aufgearbeitet, die auch viele weibliche Mitglieder hatte. Die überwiegend männlich geprägten deutschen Nachrichtendienste konnten damit nicht umgehen und die Gruppe deswegen auch nicht gut infiltrieren. Man hat die Gruppendynamik und die Denke der RAF einfach nicht verstanden. Hätte es damals mehr Agentinnen gegeben, hätte man der RAF schneller das Handwerk legen können – das sagen männliche Nachrichtendienstmitarbeiter, die damals damit befasst waren. Frauen hätten sicher andere Einblicke geben können.
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