1993 wird in der thüringischen Kleinstadt Sondershausen ein 15jähriger Junge von drei Mitschülern ermordet. Diese hatten sich in ihrer Freizeit mit Satanismus beschäftigt und in einer Black-Metal-Band gespielt. Die Tat löst Diskussionen über die Gefahren einer Faszination für das Okkulte bei Jugendlichen aus. Die damalige Schüler-Band, der die Täter angehörten, besteht bis heute und ist eine international vernetzte rechtsextreme Band geworden.

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Sondershausen, eine Kleinstadt im Norden Thüringens im Jahr 1993: Die DDR ist noch nicht lange Vergangenheit, viele Menschen finden es schwer, sich an die neue Zeit zu gewöhnen. Die Jugend hat dabei weniger Probleme, die Wende bietet für sich nun auch viele neue Möglichkeiten – etwa im Bereich Musik: War es früher in der DDR schwer, an härtere Musik wie Hard Rock oder Heavy Metal zu kommen, ist dies im wiedervereinigten Deutschland nun ohne größere Probleme möglich.

Der fünfzehnjährige Sandro B., an sich ein aufgeweckter und kontaktfreudiger Junge, interessiert sich in letzter Zeit auch für Sachen, die aus dem Westen stammen: Er fühlt sich zu dunkler Musik hingezogen und hört gerne den düsteren Sprechgesang von Dark-Wave-Bands. Die Kleinstadt empfindet er zunehmend als einengend, seine Eltern erscheinen ihm zu streng, er hat immer wieder melancholische Phasen. Halt gibt ihm vor allem die Brieffreundschaft mit einem Gleichgesinnten aus Bayern.

Faszination Satanismus

Eine große Faszination empfindet er zudem für eine Gruppe von Jugendlichen in der Stadt, die sich betont düster geben und von sich selbst behaupten, Satanisten zu sein. In einem alten Steinbruch in der Nähe finden geheime Treffen statt, wo okkulte Rituale durchgeführt werden sollen. Den Mittelpunkt der Gruppe, zu der auch Mädchen gehören, bilden die beiden Gymnasiasten Sebastian S. und Hendrik M., die ihr Image als Satanisten in der Kleinstadt besonders pflegen.

Sie haben mit ein paar Freunden auch eine eigene Musikgruppe namens Absurd gegründet. Der Stil ist Rock mit Punk-Einflüssen, Sebastians kreischender Gesang macht jedoch deutlich, was das Vorbild ist: Black Metal, die bisher härteste und satanisch geprägte Sparte innerhalb des Metals.

Die meist auf Englisch verfassten Texte von Absurd handeln von Tod und Verderben, Schauergeschichten und dem Teufel. Die Inspiration stammt aus Schauerliteratur (etwa Stephen King) sowie aus Horrorfilmen wie "The Evil Dead", "Hellraiser" oder "The Church". In einem der wenigen deutschsprachigen Lieder wird etwa beschrieben, wie ein Werwolf bei Nacht seine Opfer zerfetzt: "Im Wald hört niemand der Opfer Schrei, wieder ist die graus'ge Tat vollbracht", singt Sebastian dort.

Sebastian lässt auch kaum eine Gelegenheit aus, in der Schule oder im örtlichen Jugendclub, wo die Band probt, über Satanismus zu sprechen. Beim Erfurter Kirchentag 1992 kann er einen großen Auftritt hinlegen, indem er zum Entsetzen der Anwesenden über die Anbetung Luzifers und das Opfern von Tieren spricht.

Sandro sucht den Anschluss an die zwei Klassen über ihm stehenden Schüler, diese halten jedoch nicht viel von ihm, vielmehr finden sie ihn lästig und machen sich über ihn lustig. Sandro, der ihren Satanismus bald als aufgesetzt empfindet, wendet sich schließlich wieder von ihnen ab. Vielmehr macht er sich nun über sie und ihre Musik lustig. Dabei kommen ihm zwei Dinge zugute, die er weiß: Dass Hendrik einen fleißigen Handel mit kopierten Horrorfilmen betreibt und dass Sebastian ein Verhältnis mit einer verheirateten Katechetin hat. Sandro macht ihnen gegenüber immer wieder Anspielungen darauf, sodass man sich entschließt, etwas dagegen zu tun.

Im Wald ermordet und vergraben

Die Gruppe, die sich inzwischen auf Hendrik, Sebastian und einen Jungen namens Andreas K. reduziert hat, lockt Sandro am Abend des 29. Aprils mit einem von einem Mädchen verfassten Brief zum Rondell, dem im Wald gelegenen Kriegerdenkmal der Stadt. Sandro ist zunächst überrascht, statt dem Mädchen nun Sebastian und seine Freunde zu sehen, erklärt sich aber dennoch bereit, mitzukommen – um zu reden. Sie begeben sich zu der Datsche von Hendriks Vater, die auch von den Jungen als Proberaum benutzt wird.

Dort stellen sie Sandro zur Rede. Diesem wird das Ganze bald unheimlich und er will gehen, wird jedoch zurückgehalten. Man verletzt ihn mit einem Messer und fesselt ihn – schließlich passiert es: Sandro wird mit einem Stromkabel erdrosselt. Wie genau die Tat abgelaufen ist, bleibt bis heute ungeklärt.

Die Täter verstecken den Leichnam zunächst in einem leerstehenden Schuppen in der Nähe, später vergraben sie den toten Sandro in einer Baugrube. Inzwischen gilt der Junge offiziell als vermisst. Seine Eltern haben rasch den Verdacht, dass die Gruppe um Sebastian etwas damit zu tun hat. Als man schließlich Sandros T-Shirt mit Blutspuren findet, ist es Gewissheit geworden, dass der Junge einem Verbrechen zum Opfer gefallen ist.

Geplanter Mord oder Unfall?

Als Sebastian verhört wird, gesteht dieser sogleich die Tat. Mit ruhiger Stimme erklärt er einem Beamten sachlich, wie es abgelaufen ist und meint dabei auch, dass es kein bestimmtes Motiv gegeben habe, es jedoch schon länger beschlossene Sache gewesen sei, dass man Sandro beseitigen müsse. Zudem, so betont er, habe für ihn persönlich festgestanden, dass er irgendwann einmal einen Menschen umbringen würde.

Als die drei Jugendlichen dann vor Gericht stehen, widerruft Sebastian aber seine Aussage. Wie seine beiden Freunde stellt er die Tat nun auch als Unfall dar. Man wollte Sandro lediglich verängstigen, dabei habe man ihn aber ungewollt erdrosselt. Das Gericht glaubt am Ende weder diese Geschichte noch Sebastians ursprüngliche Darstellung: Sowohl gegen einen von langer Hand geplanten Mord als auch einen Unfall spreche zu vieles. Man geht vielmehr davon aus, dass es ein Mord war, der Entschluss dazu aber erst sehr kurzfristig gekommen sei.

Sicher ist man hingegen aber, dass die ausgiebige Beschäftigung mit Satanismus sowie Horror- und Gewaltfantasien zu einer Geringschätzung des Lebens und einer damit verbundenen Abstumpfung geführt habe. Die Jungen werden wegen gemeinschaftlichen Mords verurteilt. Sebastian und Hendrik, die laut Beobachtern eine durchgehende Gleichgültigkeit an den Tag legen, müssen acht Jahre ins Gefängnis. Der als Mitläufer eingestufte und während den Verhandlungen sichtlich mitgenommene Andreas hingegen nur sechs.

Jugendlicher Trotz oder religiöser Ernst?

Obwohl der Mord keinerlei rituellen Hintergrund besessen hat, wird er bald deutschlandweit als "Satansmord" bekannt. Die Medien greifen nun das Thema Satanismus unter Jugendlichen immer wieder auf, oftmals auch sehr reißerisch. Es soll ein regelrechter satanischer Untergrund in Deutschland bestehen, heißt es. Dieses Bild wird dadurch verstärkt, dass es durch das Bekanntwerden der Tat zu einer Reihe von Schändungen an Friedhöfen und Kirchen in Thüringen und Sachsen kommt.

Was die Rolle des Satanismus angeht, bilden sich unter den Experten zwei Lager: Das eine geht davon aus, dass es sich dabei um reine Provokation, gewissermaßen jugendlichen Protest gehandelt habe, vielleicht sogar eine Marketing-Strategie zur Erhöhung des Absatzes von Absurd-Kassetten gewesen sei. Das andere Lager hingegen glaubt, dass den Beteiligten die ganze Sache durchaus sehr ernst war.

Auch wird in den Medien immer wieder die hohe Arbeitslosigkeit in der Region als ein Grund für das grausame Geschehen genannt. Von einer drohenden Perspektivlosigkeit konnte jedoch bei keinem der Täter die Rede sein. Alle kommen aus gesicherten Verhältnissen: So ist Hendriks Vater Landtagsabgeordneter, Sebastians Mutter Lehrerin. Womöglich hat auch die Sozialisierung in der stark atheistisch orientierten DDR ihren Teil dazu beigetragen, dass Jugendliche anfällig für scheinbare Alternativen zu den beiden christlichen Kirchen geworden sind.

Black Metal aus dem Gefängnis heraus

Im Gefängnis, wo die drei Jugendlichen zunächst gemeinsam untergebracht werden, können sie in einer Anstaltskapelle weiterhin musikalisch aktiv sein. Im Hintergrund läuft Absurd mit seinen gewohnten Black-Metal-Themen jedoch weiter – es gelingt ihnen sogar, mehrere Lieder heimlich aufzunehmen, die aus dem Gefängnis geschmuggelten Aufnahmen werden noch während der Haftzeit veröffentlicht.

"Massengräber füllen sich, holde Pest, wir grüßen dich!", textet und singt Sebastian im gewohnten Stil. Besonders makaber: Das Cover einer Kassette zeigt dabei den Grabstein Sandros, der Text im Inlay glorifiziert seine Ermordung.

Aus Satanisten werden Neonazis

Dies weist auf eine weitere Folge des Aufenthalts im Gefängnis hin: Waren die Mitglieder von Absurd bislang eher links und anarchistisch eingestellt, findet nun eine politische Umorientierung zur Gegenseite hin statt. In Briefen finden sich plötzlich antisemitische Andeutungen, Sebastian selbst bezeichnet sich nun als "rechtsautonom".

Dies ist vor allem überraschend, nachdem die Jugendlichen in Sondershausen wiederholt Probleme mit Rechtsextremen hatten – sowohl Sebastian als auch Hendrik hatten selbst körperliche Übergriffe erfahren. Bei einem der Auftritte der Gefängnisband wird auch eine Art "Gefängnishymne" gespielt, bei der es sich um eine textlich veränderte Fassung eines Rechtsrock-Titels handelt. In einem der Lieder, die Sebastian alleine aufnimmt, besingt er die Vernichtung von Israel.

Das alles fällt der Gefängnisleitung offenbar nicht auf. Die drei Verurteilten, die man schließlich doch getrennt unterbringt, können ihr Abitur nachholen und werden wegen guter Führung und günstiger Sozialprognosen frühzeitig wieder entlassen. Während Andreas den Weg zurück in ein bürgerliches Leben findet und danach auch musikalisch nicht mehr in Erscheinung tritt, führen Sebastian und Hendrik ihre Band weiter – nun mit einem rechtsextremen Konzept, der Satanismus ist Vergangenheit.

Es bleiben nach wie vor Fragen offen

Sebastian verlässt die Band bald darauf jedoch, Hendrik muss schon bald erneut ins Gefängnis. So wird die Band die nächsten Jahre von anderen Personen weitergeführt und vernetzt sich mit gleichgesinnten Bands im Ausland. Bis heute erscheinen Veröffentlichungen unter dem Namen Absurd.

In den letzten Jahren ist auch Sebastian nochmals in den medialen Fokus geraten, als bekannt wurde, dass er über Jahre hinweg in Thüringen als Erzieher tätig war. Die Mutter des ermordeten Sandro hatte sich darüber entsetzt gezeigt und die Frage gestellt, wie es zu einer solchen Personalentscheidung hatte kommen konnte.

Auch wenn die Tat inzwischen dreißig Jahre zurückliegt und wieder weitgehend vergessen ist, bleiben nach wie vor Fragen offen. Sowohl der genaue Ablauf der Tat ist ungeklärt und auch, welche Rolle genau Satanismus hierbei gespielt hat, wird wohl nicht mehr sicher beantwortet werden können.

Verwendete Quellen:

  • Michael Moynihan u. Didrik Søderlind: Lords of Chaos. The Bloody Rise of the Satanic Metal Underground (New Edition), Feral House, Los Angeles 2003.
  • Liane von Billerbeck u. Frank Nordhausen: Satanskinder. Der Mordfall von Sonderhausen und die rechte Szene, 3. Auflage, Ch. Links Verlag, Berlin 2001.
  • bild.de: "Satansmörder" darf weiter für Schulamt arbeiten
  • thueringer-allgemeine.de: Tatort Thüringen Spezial: "Sandros Mördern kann ich nicht vergeben"
  • thueringer-allgemeine:de: Mörder arbeitete in Saalfeld als Erzieher
  • news.de: Saalfeld in Thüringen: Satansmörder arbeitet als Erzieher im Schulhort
  • Der Satansmord – Tod eines Schülers, ARD-Dokumentation der Reihe "Die großen Kriminalfälle" vom 31. Mai 2001.
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