Die Ökologin Sonja Jähnig spricht im Interview über den aktuellen Stand von Hochwasserschutz-Maßnahmen - und den offenbar fehlenden Willen, Hochwasserschutz und Gewässerschutz als wichtige Aufgabe zu begreifen.

Ein Interview

Ganz grundsätzlich: Welche Art Maßnahmen werden im Hochwasserschutz eingesetzt?

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Sonja Jähnig: Man unterscheidet zwischen technischem und naturbasiertem Hochwasserschutz. Zum technischen Hochwasserschutz gehören Bauwerke entlang des Gewässers wie Deiche. Der naturbasierte Hochwasserschutz arbeitet mit dem, was die Natur bereitstellen kann. Wir versuchen den Flüssen mehr Raum in ihren natürlichen Überschwemmungsgebieten zu geben, etwa über den Anschluss von Auen und die Bereitstellung von anderen Flächen, die überflutet werden können. Dazu gehört auch, Böden zu entsiegeln, um urbane Räume Richtung Schwammstadt zu entwickeln.

Was ist eine Schwammstadt?

  • Schwammstädte (engl.: "Sponge-City") sind ein Stadtplanungskonzept, bei dem Regenwasser lokal aufgenommen und gespeichert wird, anstatt durch die Kanalisation abgeleitet zu werden. Die Städte nehmen quasi Wasser auf wie ein Schwamm.

Wie ist es aktuell um den naturbasierten Hochwasserschutz in Deutschland bestellt?

Nach den großen Hochwasserschäden des Jahres 2013 hatten Bund und Länder ein Nationales Hochwasserschutzprogramm (NHWSP) beschlossen, um den natürlichen Hochwasserrückhalt zu koordinieren und zu beschleunigen. Damit könnten die Hochwasserstände auf weiten Strecken um 10 bis 50 Zentimeter gesenkt werden. Hauptsächlich wurden aber leider technische Lösungen geplant. Der Hochwasserschutz soll zu zwei Dritteln durch neue Polder und nur zu einem Drittel durch naturnahen Hochwasserrückhalt wie Deichrückverlegungen erreicht werden. Naturnahe Maßnahmen dürften aber nachhaltiger und langfristig wirtschaftlich effizienter sein.

Das ist mehr als zehn Jahre her. Wie viel von dem, was auf dem NHWSP-Papier steht, ist bereits umgesetzt?

Es geht leider nur sehr zögerlich voran. Von den 168 raumbedeutsamen Teil- und Einzelmaßnahmen des NHWSP befinden sich 66 in der Konzeptionsphase, 46 sind in der Vorplanung, 18 in der Genehmigungs- beziehungsweise Vergabephase und 26 in der Bauphase. Es sind sehr wenige, die aktuell umgesetzt werden.

Ihr Institut, das Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) schreibt auf seiner Webseite, dass einige Länder mit ihrem Hochwasserschutz deutlich besser aufgestellt sind als Deutschland - etwa die Niederlande. Woran liegt das?

Verschiedene Faktoren sind dafür verantwortlich. In Deutschland haben wir eine Kleinteiligkeit zwischen den verschiedenen Bundesländern, dadurch gehen Absprachen nur schleppend voran. Länder wie die Niederlande haben dagegen zentralisierte Behörden, die für landesweiten Hochwasserschutz verantwortlich sind. Dies ermöglicht einheitliche Standards und effiziente Ressourcennutzung.

Zudem haben die Niederlande schon frühzeitig auf Hochwasserbedrohungen reagiert und kontinuierlich investiert. Das sehenswerte Watersnoodsmuseum über die verheerende Flut 1953 in Ouwerkerk zeigt nachdrücklich, wie sehr das Bewusstsein für Hochwasserrisiken in der niederländischen DNA verankert ist. Das trägt zur langfristigen Unterstützung für Präventionsmaßnahmen bei, oder?

Ja, diese Kultur des Risikobewusstseins haben wir hierzulande nicht. Ich glaube, was außerdem fehlt, ist der Wille, den Hochwasserschutz und Gewässerschutz überhaupt als wichtige, große Aufgabe zu begreifen. Auch bei dem Hochwasser im Juni in Süddeutschland konnte man das sehen. Diskutiert wurde nicht über Maßnahmen und hochwassersichere Einzugsgebiete, sondern über: eine Versicherung. Etwas, das meiner Meinung nach in der öffentlichen Diskussion zweitrangig wäre.

"Business as usual" also?

Ja. Und man sieht in Deutschland, dass auch wieder in betroffenen Hochwassergebieten gebaut werden kann. Ich verstehe, dass sich Menschen einem Platz verbunden fühlen. Sie haben da vielleicht ihr Leben lang gewohnt. Aber man müsste dann zumindest anfangen, dort keine neuen Häuser mehr zu bauen.

Glauben Sie, dass diese Beharrungskräfte an der Verwurzelung der Menschen liegt oder hat das auch andere Gründe?

Die Leute sind sicher verwurzelt. Aber wenn die Politik klar kommunizieren würde, dass wir das jetzt aus folgenden Gründen anders machen wollen, würde es sicher einen Teil der Menschen dazu bewegen, über einen Wiederaufbau an einem anderen Ort nachzudenken. Aber dabei entstehen auch Konflikte und dann macht ein Bürgermeister oder eine Bürgermeisterin das vielleicht nicht mit der nötigen Deutlichkeit klar.

Wie holt man verschiedene Interessengruppen ins Boot, auch solche, die Flächen abgeben müssen?

Das schauen wir uns gerade im Rahmen des Projekts DANUBE4all an, an dem wir als Forschende vom IGB teilnehmen. Hier entwickeln wir einen Aktionsplan zur Renaturierung der Donau. Dabei werden höchst unterschiedliche Interessen beachtet: die der Bewohner wie auch wirtschaftliche Interessen, aber auch die Verbesserung des ökologischen Zustands und der biologischen Vielfalt, die Vernetzung der Ökosysteme, die Verringerung des Hochwasser- und Dürrerisikos und die Verbesserung der Sedimentkontinuität. Das Projekt hat Leuchtturmcharakter, soll also auch auf andere Regionen übertragen werden.

Welcher Punkt verdient in der öffentlichen Kommunikation mehr Aufmerksamkeit?

Natürlich möchte man den bestmöglichen Schutz bereitstellen für die Menschen und die Infrastruktur. Was in meinen Augen eine große Rolle spielt, ist aber auch der Aspekt der Unsicherheit. Also in welchem Ausmaß brauchen wir den Hochwasserschutz und wie muss ich eigentlich diese Maßnahmen gestalten, damit sie zukunftssicher sind? Wir nennen das "Future Proof". Situationen können sich eben auch verändern.

In Deutschland erleben wir bereits mehr Extremwetter-Ereignisse als früher – Hitzewellen und Dürren, daneben Starkregen und Überschwemmungen. Wie hängen diese zusammen?

Die Klimatologinnen und Klimatologen gehen davon aus, dass ein klimawandelbedingter Anstieg der Temperatur mehr Niederschläge als Konsequenz hat, da warme Luft mehr Wasserdampf aufnehmen kann. Insgesamt läuft das Wasser zu schnell ab, weil Flüsse begradigt wurden und zu viele Flächen ringsum versiegelt sind, sodass die Grundwasserspeicher nicht aufgefüllt werden. Noch eine Konsequenz: Dieses Wasser fehlt dann in der Landschaft, wenn es länger keinen Niederschlag gibt.

Also könnte man sagen: Naturnaher Hochwasserschutz ist auch ein Schutz gegen Dürre?

Ja, das kann man so zusammen begreifen. Wasser, das langsamer abläuft, kann besser die Grundwasserspeicher auffüllen. Aber Starkregen kann auch gezielt ins Grundwasser geleitet und dort gesammelt werden. Das kann dann den Wasserhaushalt stabilisieren und nur so können diese Ökosysteme dann ihre wertvollen Leistungen für Mensch und Natur erbringen.

Was fehlt Ihnen in der aktuellen Debatte?

Die Kommunikation müsste sich ein Stückchen weg vom Credo "Hochwasser ist schlecht und eine Gefahr" bewegen. Flussnahe Auenlandschaften sind in ihrer Ökologie auf regelmäßige Überschwemmungen und Hochwässer angewiesen – wenn man diese Auenlandschaften wieder schafft, gewinnt man nicht nur für den Hochwasserschutz, diese Systeme tragen auch besser zur Klimaregulierung oder Wasserfiltration bei oder bieten mehr Erholungsmöglichkeiten. Ich glaube, dadurch könnte sich die Perspektive verschieben.

Über die Gesprächspartnerin

  • Prof. Dr. Sonja Jähnig hat eine Professur für Aquatische Ökogeographie an der Humboldt-Universität zu Berlin. Am Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) ist sie Leiterin der Abteilung Ökologie der Lebensgemeinschaften und Ökosysteme. Ihre Forschung konzentriert sich auf die Auswirkungen globaler Veränderungen in Flussökosystemen, großskalige Verteilungsmuster der Biodiversität im Süßwasser und der Gesundheit von Flüssen sowie ökologische Funktionen in Flussökosystemen.

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Verwendete Quellen

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