Der Fischotter ist der große Heimlichtuer unserer Tierwelt. Noch nicht mal seine Bestandszahlen sind bekannt, weil er stets im Verborgenen bleibt. In Bayern tut er auch gut daran, dort ist seine Schonzeit unter Beschuss. Anderswo baut man ihm Brücken und liest in seinen Spuren.

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Wer Fischotter liebt, muss ein geduldiger Mensch sein. Die Tiere zeigen sich in freier Wildbahn nur höchst selten. Zum Glück aber gibt es Zeichen, die sie verraten. Unsere heimischen Wassermarder sind groß, mit Schwanz bis zu 1,30 Meter lang, und werden bis zu zwölf Kilo schwer. Sie können gar nicht anders, als Spuren zu hinterlassen.

Etwa in einem Flusslauf: Steigen dort plötzlich zahlreiche Luftblasen auf? Bilden sie lange Ketten an der Wasseroberfläche, bevor sie zerplatzen? Darunter könnte just in diesem Moment ein Fischotter vorbeischwimmen, auf der Jagd nach kleineren Fischen. Beim Tauchgang entweichen Luftblasen seinem dicken Pelz und zeigen an, wo er sich aufhält. Wer sie rechtzeitig entdeckt und dann riesiges Glück hat, könnte sogar beobachten, wie der Jäger kurz darauf zum Vorschein kommt. Dann hat er einen größeren Fang gemacht, etwa eine Forelle, die er an Land tragen und am Ufer fressen muss. Nur kleinere Beute kann er unter Wasser verschlucken. Dabei ist er nicht besonders wählerisch. Bleibt der Fischfang ohne Erfolg, begnügt er sich auch mit Fröschen, Schnecken, wassernahen Kleinsäugern oder Krebsen.

Fischotter sind Meister der Tarnung. Dabei leben sie vereinzelt sogar in Großstädten – etwa in Hamburg oder in München. Was ihren Lebensraum betrifft, sind sie gar nicht so empfindlich. Sie brauchen fischreiche, saubere Gewässer und naturbelassene Ufer mit vielen Versteckmöglichkeiten. Und Ruhe. Wo sich viele Menschen aufhalten, finden sich keine Fischotter ein, auch wenn sonst alle Bedingungen stimmen. Sie haben allen Grund, uns zu fürchten. Früher wurden sie so scharf bejagt, dass sie in manchen Teilen Deutschlands noch immer als ausgestorben gelten, wie beispielsweise in Rheinland-Pfalz. Und eigentlich auch im Saarland. Doch dort tapste vor wenigen Monaten ein Fischotter mehrfach ins Bild einer Wildtierkamera. Oder waren es gleich mehrere, die sich je einmal ablichten ließen? Das gilt es noch herauszufinden.

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Trittsiegel, Kotproben, Otterpfade: Alles kann ein Hinweis sein

Niemand weiß, wie viele Fischotter in Deutschland wieder heimisch geworden sind. Bis Mitte des 20. Jahrhunderts waren sie hierzulande fast ausgerottet. Sie wurden wegen ihres Fells gejagt und weil man sie als Nahrungskonkurrenten ansah, die dem Menschen den Fisch wegfraßen. Seit 1968 stehen sie in Deutschland unter strengem Schutz und dürfen nicht bejagt werden. Trotzdem geht es mit den Beständen nur schleppend wieder aufwärts, die meisten Nachweise gibt es im Norden und Osten der Republik.

Allerdings: "Es gibt kein deutschlandweites, flächendeckendes und quantitatives Fischotter-Monitoring", sagt Andreas Lampe von der Stiftung Lebensraum Elbe, der seit 2007 dem Otter auf der Spur ist, aber noch keinen einzigen in freier Wildbahn gesehen hat. Die Tiere haben keine festen Bauten und wechseln ihre Verstecke, sodass man sich nicht auf die Lauer legen kann, um sie zu beobachten. Tagsüber schlafen sie tief verborgen im Gebüsch oder in einem Erdbau, den häufig andere Tiere gegraben haben. Sie werden erst in der Dämmerung aktiv und halten sich vor allem unter Wasser auf.

Bleibt also die Spurensuche: Ihre Pfotenabdrücke, die sogenannten Trittsiegel, bilden ein charakteristisches Muster im Lehmboden oder im Schnee. Sie sehen ein bisschen aus wie kleine Hände mit fünf Fingern. Fischotter sind Einzelgänger, nur zur Paarung finden sie für kurze Zeit zusammen. Ihre Reviere sind groß, erstrecken sich oft zwanzig Kilometer und mehr entlang eines Flusslaufs. Wer ihre Spuren zu lesen weiß, kann die schmalen Otterpfade entdecken, die sie auf ihren Streifzügen anlegen.

Artgenossen gleichen Geschlechts dulden sie nicht in ihrem Territorium. Fischotter müssen also anderen Fischottern zeigen, wer wo lebt – und verraten so ihr Dasein. Eines ihrer sichtbarsten Signale ist der Kot, den sie gern an erhöhten Stellen platzieren, etwa auf Baumstümpfen. Er ist oft mit Fischschuppen durchsetzt und hat einen eigentümlichen Geruch. Für Andreas Lampe, den Otter-Spotter, ist das Aroma unverwechselbar: "Es riecht ganz eindeutig nach grünem Tee."

Es ist seltsam, dass der Otter so selten gesichtet wird

Im Grunde ist es seltsam, dass ein so aktives Lebewesen nicht häufiger entdeckt wird. Denn es ist ständig auf der Jagd, anders könnte es seinen hohen Nahrungsbedarf nicht decken. Seine muskulösen Hinterpfoten mit den Schwimmhäuten treiben den Fischotter pfeilschnell durchs Wasser. Mit den Barthaaren, den Vibrissen, erspürt er selbst in schlammigen Flussläufen die Bewegungen seiner Beute. Während seiner Tauchgänge, die bis zu acht Minuten dauern können, verschließt er Nase und Ohren gegen eindringende Nässe.

Dank seines dichten, wasserabweisenden Pelzes bleibt die Haut des Fischotters selbst beim Tauchen trocken. Aalglatt liegt das Fell am Körper an, triefend vor Nässe, darunter ist der Otterleib geschützt. Das Tier braucht nicht mal im Winter eine dickere Fettschicht, um seinen Körper warm zu halten.

Aber tritt er nicht wenigstens mal auf den Plan, wenn er Nachwuchs großzieht? Wenn die Jungtiere ausschwärmen, um ihre Welt zu entdecken? Keine Chance, selbst dann hält er sich bedeckt. Niemand weiß, wann ein Fischotter Junge bekommt, er hat keine feste Wurfzeit, sondern bringt irgendwann im Jahr ein bis drei Junge zur Welt. In bestens geschützten Verstecken, etwa in Bauten mit Unterwassereingang. Dort leben die Jungen in ihren ersten Wochen abgeschirmt von der Außenwelt. Kommen sie dann zum Vorschein, geschieht das im Schutz der Dämmerung.

Wenn überhaupt, beobachten nur Wildtierkameras ihre Ausflüge, bei denen sie manchmal noch wasserscheu sind und ihr Element nur zögerlich kennenlernen wollen. Rund ein Jahr lang versorgt die Mutter ihren Nachwuchs und bringt ihm alles bei, was ein ausgewachsener Fischotter können muss. Erst nach zwei Jahren sind die Jungtiere geschlechtsreif und suchen sich ein eigenes Revier. Dann ziehen sie durchs Land, stets im Verborgenen, aber mit einer Fülle von Spuren im Gepäck.

Verhängnisvoll: Die Scheu des Otters vor Brücken

Manchmal wird ihnen eine merkwürdige Eigenart dabei zum Verhängnis: Fischotter wollen nicht unter Brücken hindurchschwimmen. Lieber verlassen sie ihren Bachlauf und versuchen, an Land weiterzukommen, wo sie Straßen kreuzen und oft von Autos erfasst werden. Abhilfe schaffen können sogenannte Bermen. Das sind Uferwege, die unter Brücken angelegt werden und meist aus Steinaufschüttungen oder aus Beton bestehen.

Reicht der Platz nicht aus, helfen dem Fischotter auch Stege, seine Brückenscheu zu überwinden und ungefährdet weiterzukommen. So bauten vor Kurzem zwei Tierschutzinitiativen in Hamburg dem Otter Laufwege aus Holz unter einer Brücke hindurch – im dicht besiedelten Stadtteil Wandsbek. Acht Otter sollen sich dort mittlerweile angesiedelt haben. Zu Gesicht bekommen hat sie noch niemand. Nur ihre Losungen, mit denen sie ihr Revier markieren, zeigen, dass sie da sind.

Solche Kotproben sind es auch, mit denen ermittelt wird, wie viele Tiere in einem Gebiet leben. Man kann sie genetisch analysieren und damit die Individuenzahl bestimmen. "Erst dann", sagt Andreas Lampe, "lassen sich Populationsgrößen gesichert nachweisen."

Explodieren in Bayern die Fischotter-Bestände?

Weiter südlich indes wäre man den Fischotter gern wieder los. Die Mitglieder des Landesfischereiverbands Bayern halten das Tier keineswegs für eine vom Aussterben bedrohte Art, zumindest nicht in ihrem Bundesland. Sie sprechen sogar von einer "Bestandsexplosion". Was ist da los?

Ein handfester Mensch-Tier-Konflikt schwelt hier seit längerer Zeit. Der Fischotter ist für Teichwirte quasi der Problembär ihrer Gewässer. Er hat einen hohen Nahrungsbedarf und frisst rund ein Kilo Fisch pro Tag. Fällt er in Fischzuchtteiche ein, ist er durchaus imstande, erhebliche wirtschaftliche Schäden anzurichten. Manche Teichwirte haben die Karpfen- und Forellenzucht inzwischen eingestellt. Sie sehen ihre Arbeit zunichte gemacht durch ein Tier, das kommt und räubert, wie es will. Und dem man nicht anders Herr werden könne als durch den Abschuss.

Laut der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft wurden bislang 209 einzelne Fischotter in der Oberpfalz und in Niederbayern identifiziert, auf der Grundlage genetischer Untersuchungen. Die Zahl wurde in einer Studie auf das gesamte Gebiet hochgerechnet, was einen geschätzten Bestand von 463 bis 661 Fischottern ergeben hat. Die Studie stammt von zwei Forschenden der Universität Graz und wurde im Auftrag der Landesanstalt vorgenommen. Einsehen kann man sie nicht. Sie wurde nicht veröffentlicht.

Die Biologin Lea-Carina Mendel von der Deutschen Wildtier Stiftung in Hamburg hält die Zahlen für plausibel. "Allerdings ist das immer noch eine Hochrechnung", sagt sie. "Für eine genaue Einschätzung ist eine flächendeckende Bestandsaufnahme des Fischotters notwendig." Auch sage ein punktuell hoher Bestand noch nichts über die Fischotterdichte in der Fläche aus. "Klar ist", so Mendel, "dass es Fischotter in den genannten Regionen seit mehr als zwanzig Jahren gibt. Eine plötzlich eintretende, rasante Zunahme des Fischotterbestands in einem kurzen Zeitraum ist ökologisch betrachtet gar nicht möglich."

Ende der Schonzeit? Abwarten

Doch seit dem 1. Mai soll nun in Bayern Schluss sein mit der Schonzeit für Fischotter – zumindest auf dem Papier. Es gibt eine neue Regelung. Nach dieser könnten die Tiere ganzjährig getötet werden, wenn sie in Fischteichen wildern, die sich nicht einzäunen lassen. So hat es das Bayerische Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten am 25. April in einer Pressemitteilung verkündet.

Dabei stehen Fischotter unverändert auf der Roten Liste als gefährdete Art. Und von einem "günstigen Erhaltungszustand", wie die EU ihn in ihrer FFH-Richtlinie fordert, kann man erst sprechen, wenn man gesicherte Daten hat. Die aber liegen aktuell noch nicht vor, es gibt ja nur Hochrechnungen. Der "günstige Erhaltungszustand" sehe überdies vor, so Lea-Carina Mendel, dass die Tiere in allen für sie geeigneten Lebensräumen eine stabile, langfristig sich selbst tragende Population aufgebaut haben. In Deutschland sind sie jedoch selbst in ihrem ursprünglichen Verbreitungsgebiet noch nicht wieder heimisch.

Dass vor diesem Hintergrund die neue Fischotter-Verordnung "ab sofort" umgesetzt wird, daran glaubt noch nicht einmal die bayerische Regierung selbst: "Sowohl der Freistaat Bayern als auch die beiden Umweltverbände gingen in der mündlichen Verhandlung vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof davon aus, dass die Verordnung noch nicht vollziehbar ist", sagt Andreas Spiegel von der Pressestelle des BayVGH.

Damit steht fest: Auch in Bayern ist der Fischotter weiter eine streng geschützte Art. Vor einem Abschuss liegen extrem hohe Hürden. Zudem ist es sehr wahrscheinlich, dass Naturschutzverbände als Nächstes gegen die neue Fischotter-Regelung klagen werden. Denn ob die Tötung der Tiere überhaupt zum gewünschten Erfolg führt und die Zuchtteiche dann nicht mehr heimgesucht werden, ist keinesfalls sicher.

Eine Forschungsarbeit vom Januar dieses Jahres kommt zu dem Schluss: "Europaweit gibt es aktuell keine wissenschaftlich fundierte Untersuchung zur Wirksamkeit der Entnahme einzelner Fischotter auf die Schadenshöhe in Teichwirtschaften. Ebenso fehlt der Nachweis, dass Schadensfälle ursächlich auf bestimmte, einzelne Individuen zurückzuführen sind." Auch das Reviersystem von Fischottern weckt Zweifel daran, dass Abschüsse der Teichwirtschaft helfen. Fischotter sind Einzelgänger. Wird der eine "entnommen", rückt bald der nächste nach. Von seinem toten Vorgänger weiß er ja nichts. Er sieht nur ein leicht zugängliches Nahrungsreservoir, in dem sich seine Beute tummelt.

Verwendete Quellen:

  • Otterspotter.de: Vorkommen und Bestand
  • Deutschewildtierstiftung.de: Fischotter - Ruheloser Fischjäger und Ein Laufsteg für Hamburgs Fischotter
  • Wasser-otter-mensch.de: Fischotter Straßenquerung
  • Frankenkarpfen.de: Fischotterbestand gesichert – Fische hoch gefährdet
  • Lfvbayern.de: Landesfischereitag 2022: Wie geht’s weiter mit dem Fischotter?
  • Lfl.bayern.de: Wie viele Fischotter gibt es in Bayern?
  • Leitfaden zum strengen Schutzsystem für Tierarten von gemeinschaftlichem Interesse im Rahmen der FFH-Richtlinie 92/43/EWG
  • Pressemitteilung des Bayerischen Staatsministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten vom 25.4.23
  • Bund-naturschutz.de
  • Anja Roy, Hans-Heinrich Krüger & Maria Schmalz: Management in wesentlichen Konfliktfeldern um den Fischotter – Übersicht zum aktuellen Wissensstand
Dieser Beitrag stammt vom Journalismusportal RiffReporter. Auf riffreporter.de berichten rund 100 unabhängige JournalistInnen gemeinsam zu Aktuellem und Hintergründen. Die RiffReporter wurden für ihr Angebot mit dem Grimme Online Award ausgezeichnet.

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