Das Jahr hat gerade erst begonnen und Deutschland und Österreich vermelden bereits einen Wetterrekord nach dem nächsten. Historische Schneehöhen, Neuschnee-Mengen und auch Lawinen-Tote. Ist das Schneechaos in den Alpen eine Folge des Klimawandels? Klimaforscher Prof. Dr. Harald Kunstmann erklärt die Zusammenhänge.
Begeisterte Wintersportfans, weiße Märchenlandschaften - aber auch Bilder von Lawinen-Toten und Tausenden Helfern im Einsatz: Das jüngste Schneechaos hat viele Facetten.
Während Ski-Fahrer jeden Zentimeter Neuschnee dankend registrierten, waren manche Gebiete durch die Schneemassen abgeschnitten, blieben Schulen geschlossen und waren Bahn- sowie Flugverkehr teilweise lahmgelegt.
Gebäude drohten unter der Schneelast zusammenzubrechen, in Balderschwang im Allgäu krachten Schneemassen sogar in den Wellnessbereich eines Hotels. In den Schlagzeilen geben die Unfälle, Lawinenwarnungen und Katastrophenfälle den Ton an.
Aber hatten Klimaforscher nicht vorhergesagt, wir müssten uns von schneereichen Wintern allmählich verabschieden.
"Ja, und die aktuelle Wetterlage passt trotzdem in dieses Bild", sagt Klimaforscher Prof. Dr. Harald Kunstmann von der Universität Augsburg und begründet dieses vermeintliche Paradox.
1. Die verantwortliche Wetterlage
"Die aktuellen extremen Schneemengen erklären sich durch eine anhaltende Nord-Lage. Wir hatten ein Tiefdruckgebiet über Skandinavien und ein Hochdruckgebiet über den britischen Inseln. Das bringt Wind aus den Polarregionen, also aus Norden, in den Alpenraum", erklärt Kunstmann, Lehrstuhlinhaber für Regionales Klima und Hydrologie.
Diese Wetterlage war verantwortlich für die kalten und feuchten Luftmassen. Sie stauten sich am Nordrand der Alpen und führten zu weiterer Abkühlung und Schneefällen.
Das Besondere an der Wetterlage war, "dass sie fast zwei Wochen über so standortfest angehalten hat", ergänzt der Klimaforscher.
Der Deutsche Wetterdienst (DWD) erklärt das ebenfalls mit dem "Gebirgseffekt": "Um Luv- und Lee-Effekte an Gebirgen zu beobachten, muss das Gebirge so hoch und breit sein, dass es als Strömungshindernis die Luft nicht vollständig umströmen lässt, sondern ein Überströmen einsetzen muss. Dazu muss die Luft auf der angeströmten Gebirgsseite aufsteigen, um dann auf der strömungsabgewandten Seite wieder abzusinken. Diese 'erzwungene Hebung' auf der Luvseite ist mit einer Abkühlung verbunden."
Waren die Luftmassen vorher noch nicht "kalt genug" für Schnee, kommt es nun häufig zu Niederschlag.
2. Die Rekorde
Der Dauerschnee hat bereits für die ersten Wetterrekorde gesorgt. Andreas Friedrich, Sprecher des DWD, sagte gegenüber der Deutschen Presse-Agentur: "Wir haben schon an sechs Wetterstationen historische Niederschlagsrekorde." Konkret seien in Reit im Winkl, Kiefersfelden, Siegsdorf, Sigmarszell, Mittenwald und Holzkirchen teilweise mehr als das Dreifache der Niederschlagsmenge des vieljährigen Durchschnittswerts gemessen worden.
Nicht nur in puncto Niederschlagsmengen wurden historische Höchstwerte gemessen, es kam auch zu Schneehöhenrekorden. Beispielsweise wurden in Oberhaching 58 Zentimeter Schnee gemessen, bisheriger Rekord waren 56 Zentimeter aus dem Jahr 1942.
Einordnung der Rekorde ist bedeutend
Auch Kunstmann sagt: "Ja, es wurden viele Rekorde gemessen." Zur genauen Einordnung müsse man aber beachten, dass die Stationen mit den Schneehöhen- und Neuschneerekorden teilweise sehr unterschiedlich lange betrieben werden, ein alpenweiter Vergleich sei daher schwierig.
"Im Berchtesgadener Land wird an manchen Stationen mit neuen Rekorden erst seit 2004 gemessen, während die Kollegen in Österreich auch Rekorde melden für Stationen, die bereits Daten aus dem 19. Jahrhundert haben, wie etwa Seefeld in Tirol", verdeutlicht Kunstmann.
Zudem müsse man die weitere Entwicklung des Winters abwarten: "Am Osterfelder in Garmisch-Partenkirchen gab es zwar eine Rekordschneehöhe für Januar, das Schneemaximum wird häufig aber erst im Februar erreicht, deshalb müsse man für eine endgültige Einschätzung den weiteren Winter noch abwarten", erinnert Kunstmann.
Schnee ist lokales Phänomen
Hinzukomme, dass Schnee ein lokales Phänomen sei. "Rekorde sind oft davon abhängig, wo genau die Luftmassen anströmen und aufgleiten, und welche Temperaturverhältnisse zu diesem Zeitpunkt herrschen", so der Experte. Das mache Schneefall und Schneeverwehungen zu Wettererscheinungen, die in Häufigkeit und Stärke regional beträchtlich variieren.
Nichtsdestotrotz: "Teilweise sind die Rekorde wirklich außergewöhnlich. In Tirol wurden Daten mit einer Jährlichkeit von 100 Jahren gemessen. Solche Schneemengen kommen statistisch also nur alle 100 Jahre vor", meint Kunstmann.
"Sowohl für Berchtesgaden, Garmisch-Partenkirchen und Tirol sind die Schneemassen ungewöhnlich", urteilt Kunstmann. Rekorde für den Alpenraum insgesamt einzuschätzen bleibe aber aufgrund der unterschiedlichen Länge der Beobachtungszeitreihen schwierig.
Ungewöhnlich, nicht außergewöhnlich
Der Deutsche Wetterdienst spricht ebenfalls von "ungewöhnlich", nicht aber von "außergewöhnlich". So bewegten sich zum Beispiel die statistischen Wiederkehrzeiten der gemessenen täglichen Schneehöhen im Berchtesgadener Land im Bereich von zwei und 15 Jahren.
Der DWD schreibt: "Lediglich die Stationen Ramsau-Schwarzeck/Schmuck und Bischofswiesen-Loipl haben Werte um die 200 Zentimeter erreicht, was dort statistisch gesehen im Mittel aller 30-50 Jahre vorkommt."
Die Schneehöhe an der Station Zugspitze bedeute mit 465 cm nur eine statistische Wiederkehrzeit von 5-10 Jahren, die Schneemengen seien teilweise aber an nur zwei bis drei hintereinanderliegenden Tagen gefallen, was deutlich seltener vorkomme.
Rekordzahl an Lawinen-Toten
Auch traurige Rekorde wurden vermeldet. Nach vorläufigen Zahlen des österreichischen Kuratoriums für alpine Sicherheit sind seit November bislang elf Menschen von Lawinen getötet worden - mehr als doppelt so viele wie im langjährigen Durchschnitt.
Auch in Deutschland gab es Todesfälle aufgrund der Schneemassen. Zum Jahresanfang starb eine 20-Jährige unter einer Lawine im Berchtesgadener Land, in Aying wurde ein Neunjähriger von einem Baum erschlagen.
3. Die Rolle des Klimawandels
Nun aber die Frage: Ist der Schnee normal oder ist der Klimawandel schuld? Das Potsdam- Institut für Klimafolgenforschung (PIK) schließt einen Zusammenhang zwischen der aktuellen Schnee-Wetterlage in den Alpen und dem Klimawandel nicht aus.
Experte Kunstmann schließt sich diesem Urteil an, ergänzt aber: "Der Winter passt in unser Bild und zu unserem gegenwärtigen Klimaverständnis, aber man kann nicht von einem einzelnen Winter auf den Klimawandel insgesamt schließen." Erst die langfristige Betrachtung gebe Aufschluss.
Veränderungen der Strömung
Klar sei allerdings, dass im Zuge des Klimawandels die Temperaturen steigen. "Dadurch kann die Atmosphäre mehr Feuchtigkeit aufnehmen, weshalb es insgesamt zu größeren Niederschlagsmengen kommen kann. "Die globale Erwärmung bewirkt aber auch Veränderungen in der großskaligen Zirkulation, die unser Wettergeschehen in Europa bestimmt, inklusive der Häufigkeit und der Dauer zum Beispiel von Nord- Wetterlagen", meint Kunstmann.
"Unser tägliches Wettergeschehen wird von den Temperaturunterschieden zwischen dem Nordpol und den Tropen angetrieben. Je größer der Temperaturunterschied, desto dynamischer kann die Bewegung von Hoch- und Tiefdruckgebieten über den Atlantik zu uns sein."
Durch die Klimaänderungen habe sich der Nordpol aber stärker erwärmt, als die mittleren Breiten, die Polkappen würden abschmelzen. "Durch höhere Temperaturen in der Arktis wird der Temperaturunterschied also kleiner", erläutert der Wissenschaftler. Das dynamische System werde dadurch langsamer und stationärer - die Erklärung für langanhaltende Wetterlagen wie wir sie zuletzt erlebten.
4. Die Prognose
Kunstmann fasst zusammen: "Die persistenten Wetterlagen und die Extreme passen somit ins Bild. Das gilt übrigens auch für den trockenen Sommer 2018. Es wird extremer, und das kann sowohl trockener als auch feuchter sein, entsprechend werden bisherige 'normale' Tage und Perioden etwas seltener."
Die Klimamodelle, mit denen man bis zum Ende des Jahrhunderts rechne, prognostizieren feuchtere Winter. Daher erwarte man im Alpenraum mehr Niederschläge. Dass dies in Form von Schnee geschehe, sei in der Regel zukünftig aber nicht zu erwarten.
"Für Schnee braucht es Niederschlag und gleichzeitig kalte Temperaturen. Im Trend nimmt die Temperatur aber zu, deshalb wird es immer unwahrscheinlicher, dass die Temperatur in den niedrigen und mittleren Lagen für Schnee ausreichen", erklärt Kunstmann.
Häufiger Regen als Schnee
Auch der DWD prognostiziert, dass sich Winterniederschläge in Zukunft intensivieren. In Verbindung mit dem weiteren Anstieg der globalen Mitteltemperatur sei davon auszugehen, dass der Niederschlag häufiger als Regen statt als Schnee falle.
"Starke Schneefälle können aber trotzdem besonders in den höheren Lagen auftreten", so der DWD. "Auch eine Häufung der aktuell zu beobachtenden Kombination aus Stark- und Dauerschneefall im Wechsel mit Tauwetter und Dauerregen ist denkbar."
Mit dem Ski-Fahren wird es folglich doch schwieriger, Sportler müssen sich in höhere Lagen zurückziehen. Sonst hilft wohl nur noch Kunstschnee.
Verwendete Quellen:
- Interview mit Klima-Experte Prof. Dr. Harald Kunstmann
- Br.de: "20-Jährige stirbt unter Lawine im Berchtesgadener Land"
- Merkur.de: "Von Baum erschlagen: Drama um den kleinen Simon in Aying"
- Br.de: "Mann stirbt durch Dachlawine: jetzt elf Lawinentote in den Alpen"
- Br.de: "Lawine trifft Hotel in Balderschwang - massive Schäden"
- tag24.de: "Dauerschnee sorgt für erste Wetterrekorde des Jahres 2019"
- winterchronik.de: "Winter in Deutschland - damals und heute im Vergleich
- DWD.de: "Wetterlexikon"
- DWD.de: "Hydro-klimatologische Einordnung der Stark- und Dauerschneefälle in Deutschland im Januar 2019"
- pik-potsdam.de
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