Seit mehr als drei Jahren begleitet uns Corona. Doch wie präsent ist das Virus noch? Die Maßnahmen laufen am Karfreitag aus - ist das aus wissenschaftlicher Sicht sinnvoll?

Ein Interview

Zum 7. April 2023 fallen sämtliche Corona-Maßnahmen weg. Wie aber geht es mit dem Virus weiter und mit welchen Gefahren müssen wir leben? Professor Ulf Dittmer, Direktor der Virologie an der Uniklinik Essen, hat uns die häufigsten Fragen beantwortet.

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Herr Dittmer, erleben wir in Deutschland gerade die Corona-Endemie?

Ulf Dittmer: Ich denke, wir befinden uns gerade in dem Übergang zwischen Pandemie und Endemie. Es gibt schon noch wirklich großflächige Infektionen in vielen Ländern der Welt. Somit kann man das nicht als endemisch bezeichnen. Dann würde es sich um ganz lokal begrenzte Ausbrüche handeln, so dass es zum Beispiel in der nächsten Stadt keine Fälle gibt. Soweit sind wir momentan noch nicht.

Runtergebrochen auf Deutschland: Gibt es Unterschiede in den Bundesländern oder handelt es sich insgesamt doch eher um einen großflächigen Ausbruch?

Wir haben keine aktuellen Zahlen mehr. Insofern ist das für Deutschland kaum zu beantworten. Nach allem was man doch noch an Überblick hat, ist es so, dass alle Regionen noch von Infektionen betroffen sind. Glücklicherweise sehen wir nur noch ganz selten schwere Verläufe.

Inwiefern hat sich das Coronavirus in letzter Zeit verändert? Stehen Magen-Darm-Symptome aktuell mehr im Vordergrund? Sie werden bei Kindern häufig beobachtet.

Bei Kindern haben wir mit der Alpha-Variante 2021 erstmals eine Veränderung gesehen. Davor verliefen die Infektionen bei ihnen häufig gar nicht symptomatisch. Erst Alpha hat sehr stark auch Kinder infiziert. Von dem Zeitpunkt an haben wir bei ihnen relativ viele Magen-Darm-Beschwerden gesehen und das auch häufiger als bei Erwachsenen.

Wie begegnen Erwachsene zurzeit dem Coronavirus?

Bei Erwachsenen ist zu beachten, dass sich nicht nur das Virus verändert hat, sondern dass fast jeder durch Erkrankung, Impfung oder beides eine Immunität gegen Sars-CoV-2 aufweist. Über 95 Prozent haben in vielen Studien dadurch Antikörper. Das verändert die Infektionen natürlich auch. Was wir jetzt ganz viel sehen, sind klassische Erkältungssymptome.

Steht nun mit dem Wegfall der Corona-Maßnahmen alleine die Eigenverantwortung im Vordergrund und ist das tragbar?

Gesellschaftlich wären jetzt denke ich, keine weiteren Maßnahmen mehr durchsetzbar. Natürlich führt dieses Vorgehen dazu, dass wir weiterhin Infektionen und Infektionsketten haben. Normalerweise werden die Viren für Atemwegserkrankungen vom Frühling verdrängt. Dass sehen wir auch jetzt bei der Grippe und dem RS-Virus.

Bei Corona deutet sich allerdings jetzt schon an, dass es sich daran nicht so ganz halten wird. Wir werden die Infektionen auch im Frühjahr und vielleicht bis in den Frühsommer hineinsehen. Der einzige übrig gebliebene Appell ist, dass Erkrankte mit Symptomen nicht unter viele Menschen gehen sollten oder wenn doch, für den Fremdschutz einen Mundschutz tragen. Wer krank ist, sollte große Menschenansammlungen meiden.

Ist der Wegfall der Corona-Maßnahmen aus wissenschaftlicher Sicht tragbar oder wäre die Empfehlung eine andere?

Es ist insofern tragbar, als dass wir keine dramatische Situation in den Krankenhäusern mehr sehen. Fast alle Infektionen laufen jetzt relativ harmlos ab. Sie verursachen aber immer noch einen immensen wirtschaftlichen Schaden. Dadurch, dass sehr viele Menschen weiterhin krank sind und teilweise nicht zur Arbeit kommen. Den beurteilen wir als Mediziner in der Regel aber nicht. In den Krankenhäusern ist die Situation entspannt.

Bund versetzt Corona-Warn-App bald in den "Schlafmodus"

Der Bund will die Corona-Warn-App ab 1. Juni in einen "Schlafmodus" schicken. Unter anderem wird dann die Warnfunktion für positive Tests abgeschaltet. Die App war seit Beginn der Pandemie knapp 50 Millionen Mal installiert worden. (Photocredit: Shutterstock/bear_productions)

Also hat sich das gesundheitliche Risiko durch Corona nun so entwickelt, wie wir es jährlich von der Grippe kennen?

Ja genau, jetzt passt dieser Vergleich. Wenn wir die Zahl von eher harmlosen Erkrankungen und schweren Infektionen aufgrund der Immunität durch Impfung oder Infektion vergleichen, ist das Verhältnis heute ähnlich. Allerdings kommt er weniger in Bezug auf die Saisonalität hin. Das Coronavirus hält sich hartnäckiger.

Sind in Zukunft schlimmere Varianten zu erwarten, deren Verlauf erneut für viele Menschen potenziell tödlich ist?

Was das Virus uns mit den bisherigen Varianten deutlich gemacht hat ist, dass es teilweise dem Immunsystem entgehen kann, indem es sich leicht verändert. Das führt dazu, dass mit einer neuen Variante wieder Infektionswellen auftreten können. Da aber die erlangte Grundimmunität dazu führt, dass wir in der Regel nicht mehr schwer erkranken, bleibt es bei Infektionen mit milderen Krankheitssymptomen. Solche Wellen sind auch für den kommenden Sommer denkbar.

Kann es auch zu einer neuen Variante kommen, die so verändert ist, dass sie die Impfungen unterwandert und für viele Menschen doch wieder tödlich endet?

Das ist ziemlich unwahrscheinlich. Vor allem, weil viele Menschen inzwischen geimpft sind und dann infiziert waren oder umgekehrt. Sie haben eine sehr breite Immunantwort gegen viele Komponenten des Coronavirus. Das kann Sars-Cov-2 nicht alles ändern und wieder schwere Verläufe verursachen. Gerade wer geimpft war und sich dann infiziert hat, ist sehr gut geschützt.

Wie wird es mit der Corona-Impfung weitergehen? Werden wir weiter neue Impfstoffe und regelmäßige Auffrischungsimpfungen brauchen?

Diese Frage können wir noch nicht abschließend beantworten. Es ist so, dass wir mit der schnellen Veränderung des Virus mit der Veränderung der Impfstoffe immer ein bisschen hinterherhinken. Ist die Impfung gerade um eine Variante ergänzt, ist eigentlich schon die nächste da. Dann fragt man sich, wie viel eine Auffrischung bringt.

Es gibt jetzt auch Studien, in denen ein viel breiterer Impfstoff angewandt wird. Er enthält nicht nur das Spike-Protein als Informationsschnipsel für das Immunsystem, sondern führt zu einer Immunantwort auf verschiedene Corona-Bestandteile, Proteine. Solche Impfstoffe könnten für den kommenden Winter für Risikogruppen noch einmal sinnvoll werden. Ich denke aber nicht, dass jeder sich noch einmal impfen lassen muss.

Wie groß sehen Sie die Gefahr durch andere Zoonosen? Könnte sich bald ein Virus ausbreiten, dass Menschen noch gefährlicher trifft als das Coronavirus?

Die Vogelgrippe ist zurzeit leider sehr besorgniserregend. Es gibt europa- und weltweit zurzeit einen gigantischen Ausbruch unter verschiedenen Vogelarten. Das hat aktuell ein Ausmaß erreicht, wie wir es seit 10 bis 20 Jahren nicht mehr gesehen haben. Darunter sind Millionen infizierte Wildvögel, auch Arten, dich sich sonst nicht mit diesem Virus anstecken. Studien zeigen, dass die Vogelgrippe auch schon auf Säugetiere übergesprungen ist, zum Beispiel wurde sie in einer spanischen Nerzfarm nachgewiesen.

Es gibt aber auch Infektionen von Seehunden. Infizierte Säugetiere sind der erste Schritt, dass so ein Virus auch auf Menschen übertragen werden könnte. Das ist ein bedrohliches Szenario und macht uns Gedanken. Die Vogelgrippe ist in der Regel deutlich tödlicher als jedes Grippe- oder Coronavirus. Bei Menschen kann es eine schwere Form der Lungenentzündung hervorrufen. Die Virologie hat das im Auge und es ist wichtig, dass wir auf so was mit einer entsprechenden Impfstoffentwicklung vorsorglich vorbereitet sind. Diese findet auch jetzt schon statt.

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Werden dazu auch Handlungs- und Aktionspläne entwickelt? Wäre die Menschheit besser vorbereitet, als dies bei Corona das Fall war?

Es gibt ein Überwachungsprogramm. Auch wird kontrolliert, ob solche Viren in die Nutztierhaltung eindringen. Wie gut das in weltweit allen Ländern der Fall ist, lässt sich kaum sagen. Zudem laufen Studien, um einen Impfstoff verfügbar zu haben, sollte das Virus auf den Menschen überspringen. Das ist aus meiner Sicht entscheidend. Ganz so unvorbereitet wie zu Beginn der Coronapandemie wäre man sicher nicht.

Welche Masken oder Maßnahmen sinnvoll sind, weiß man heute besser als vor der Pandemie. Ich hoffe, dass mit steigenden Temperaturen auf der Nordhalbkugel auch die Fälle von Vogelgrippe zurückgehen. Verschwinden wird das Virus aber nicht, da die Viren zwischen den beiden Erdhalbkugeln hin und her pendeln. Zudem legen die Zugvögel gigantische Entfernungen zurück, so dass auch das Virus immer weltweit verteilt wird.

Über den Experten
Professor Dr. Ulf Dittmer ist Direktor des Instituts für Virologie am Universitätsklinikum Essen und Präsident der Gesellschaft für Virologie e.V.. Während der Pandemie hat er die Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 und die Immunantwort gegen das Virus im menschlichen Körper untersucht.
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