• Mehr als die Hälfte der Bevölkerung hat bereits eine Impfdosis gegen das Coronavirus erhalten, knapp 41 Prozent sind bereits vollständig geimpft.
  • Für einen Gemeinschaftsschutz der Bevölkerung gegen das Coronavirus hält das Robert-Koch-Institut aber eine Durchimpfungsrate von mindestens 85 Prozent für notwendig.
  • Ist das in Deutschland zu schaffen? Ein Teil der Bevölkerung zweifelt noch. Was das für Menschen sind und was sie bewegt, erklären zwei Experten.

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"Bist du schon geimpft?" ist wohl in aller Welt eine der meistgestellten Fragen dieser Zeit. Viele dürften mit "Ja" oder "Bald" antworten, manche aber auch mit "Nein, und ich möchte auch nicht".

Was bewegt die Menschen dazu, sich gegen eine Impfung zu entscheiden? Schließlich hat die Impfkampagne in Deutschland bereits ordentlich Fahrt aufgenommen: 79,7 Millionen Impfdosen wurden bereits verabreicht, 57,6 Prozent der Bevölkerung haben bereits mindestens eine Impfdosis erhalten, 40,8 Prozent der Bevölkerung sind vollständig geimpft.

Impfbereitschaft rückläufig

Damit landet Deutschland zwar nicht an der Weltspitze, sondern hinter den Spitzenreitern wie den Vereinigten Arabischen Emiraten, Israel und Chile, liegt aber im europaweiten Durchschnitt. Ein weiter Weg ist indes noch zu gehen: Für eine Herdenimmunität hält das Robert-Koch-Institut eine Durchimpfungsrate von mindestens 85 Prozent für notwendig.

Ist die deutsche Bevölkerung dazu überhaupt bereit? Die jüngsten Daten des COVID-19 Snapshot Monitoring (Cosmo) der Universität Erfurt deuten in eine andere Richtung: Demnach steht mehr als jeder dritte Befragte einer Corona-Impfung tendenziell ablehnend gegenüber.

Hauptursache: Mangelndes Wissen

Das Team der Universität Erfurt befragt seit Anfang März 2020 regelmäßig rund 1000 Personen zu ihrer Impfbereitschaft. Diese war unter den ungeimpften Befragten zuletzt weiter zurückgegangen. Im Juni gaben 29,7 Prozent der Befragten an, ein Angebot für eine Corona-Impfung in der nächsten Woche "auf keinen Fall" anzunehmen.

Woran liegt das? Warum wollen sich Teile der Bevölkerung immer noch nicht impfen lassen? Clarissa Kurscheid ist Gesundheitsökonomin. Sie sagt: "Dahinter steckt hauptsächlich fehlendes Wissen. Es gibt immer noch keine adäquate Aufklärung, die alle abholt, und es werden immer noch jede Menge Mythen verbreitet."

Kein einheitlicher Typ "Impfskeptiker"

Gemeinsamkeiten unter den Menschen, die sich derzeit nicht impfen lassen wollen, auszumachen, sei äußerst schwierig. "Man kann nicht pauschal sagen, dass sie alle aus einem bestimmten Milieu kommen – beispielsweise einer niedrigen sozialen Schicht angehören oder einem bildungsfernen Umfeld" meint Kurscheid.

Eine ablehnende Haltung gegenüber einer Impfung gehe aber oft mit einer Ablehnung der Staatsmacht einher, sodass man eine niedrige Impfbereitschaft wohl eher an den politischen Rändern finde.

Hürden beim Impf-Zugang

Auch Stefan Dammers, Psychiater und Neurologe, tut sich schwer damit, die Menschen, die sich nicht impfen lassen wollen, zu typologisieren. Er plädiert dafür, genauer hinzusehen: "Vor wenigen Wochen haben wir noch über Impfneid und Impfdrängler debattiert, jetzt geht es um Impfmuffel", sagt er. Wenn man indes die bereits gebuchten Impftermine einberechne, seien bald über 70 Prozent der Bevölkerung mindestens einmal geimpft. "Dazu müssen wir noch die unter 12-Jährigen addieren", erinnert er.

Außerdem gebe es Menschen, die zu einer Impfung bereit seien, aber Hürden beim Zugang hätten. "Ein Termin muss über das Internet oder telefonisch gebucht werden, manche Menschen sind kognitiv nicht dazu befähigt, scheuen sich, einen Aufwand zu betreiben oder haben sprachliche Hürden", sagt Dammers.

Angst, Unwissen, Sorglosigkeit

Bei den Menschen, die dann noch übrigbleiben, glaubt Dammers vor allem drei Beweggründe zu erkennen, warum sie sich nicht impfen lassen: "Menschen handeln entgegen der Vernunft, weil sie zu wenig Informationen haben, Angst haben oder sorglos sind", erklärt der Experte.

So spiele es zum Beispiel eine Rolle, ob man Corona im eigenen Umfeld erfahren habe. "Wenn man im Umfeld selbst keine Erkrankungen erlebt hat, schätzt man die Gefahr vielleicht eher gering", meint Dammers. Zudem gebe es Menschen, die von einem Grundmisstrauen geprägt seien gegen alles, "was von oben kommt".

Misstrauen gegenüber Staatsmacht

"Das kann die politische Regierung, aber auch die Wissenschaft sein", sagt Dammers. All diese Eigenschaften dürften sich nach Einschätzung des Experten auch in anderen Lebensaspekten widerspiegeln. "Man kann aber keinen einheitlichen Persönlichkeitstypus ausmachen", sagt Dammers.

Es gibt wiederkehrende Sätze, die man in Gesprächen mit jenen hört, die eine Impfung ablehnen. Doch sind die Argumente stichhaltig? Experte Dammers sagt: "Nein, es herrscht immer noch zu viel Unwissen, die meisten Argumente stimmen einfach nicht".

Sehnsucht nach Klarheit

Bei der Diskussion um die Impfstoffe handele es sich um eine wissenschaftliche Debatte: "Klare und einfache Ansagen sind nicht immer möglich - auch wenn viele verunsichert sind und sich in einer neuen Situation wie einer Pandemie mehr Klarheit wünschen", sagt Dammers.

Er rät dazu, bei Argumenten in Bezug auf die Impfung ganz genau hinzuschauen, wie berechtigt sie sind. So hätten Vektor-Impfstoffe wie jene von AstraZeneca und Johnson&Johnson sehr selten Probleme mit Thrombosen hervorgerufen. "Das kann man nicht wegreden, auch wenn das Risiko immer noch sehr gering ist", sagt der Experte. Bei den mRNA-Impfstoffen wie Moderna und BioNtech äußerten manche jedoch Bedenken, sie könnten Veränderungen im Erbgut bewirken. "Das ist ganz klar eine Falschinformation", betont Dammers.

Trugschlüsse bei Argumenten

Auch aus Sicht von Expertin Kurscheid fußen die meisten Argumente auf Nicht-Wissen. So sei etwa der Satz "Es sind so viele geimpft, dadurch bin ich sicher" ein Trugschluss. "Um eine Herdenimmunität zu erreichen, muss die Durchimpfungsrate laut Robert-Koch-Institut mindestens bei 85 Prozent liegen. Da (...) kann man es sich nicht erlauben, einfach auf eine Impfung zu verzichten", meint Kurscheid. Die Gefahr, sich ungeimpft zu infizieren, sei nach wie vor groß.

Ähnlich verhält es sich aus Expertensicht mit dem Satz: "Ich gehöre nicht zu einer Risikogruppe, deshalb werde ich nicht schwer an COVID erkranken". Kurscheid sagt dazu: "Es gibt viele Fälle, in denen junge, gesunde Menschen an Corona erkrankt sind. Die Chance, keinen schweren Verlauf zu haben, ist natürlich geringer, wenn man keiner Risikogruppe zuzuordnen ist, aber das darf keine Ausrede sein."

"Impfstoff ausreichend erforscht"

"Häufig hört man auch, dass Menschen noch abwarten möchten, bis der Impfstoff besser erforscht ist", sagt Kurscheid. Dem entgegnet sie: "Der Impfstoff ist durch die europäische Zulassungsbehörde zugelassen worden, er ist durch das Robert-Koch-Institut geprüft und empfohlen, und es gibt genügend Studien, die bereits vor der Zulassung bestätigt haben, dass keine Gefahr von dem Impfstoff ausgeht", betont sie. Es handele sich nicht um ein großangelegtes Massenexperiment, sondern um ein zugelassenes Arzneimittel.

Auch das vermeintliche Argument, "Ich lasse mich nicht impfen, weil ich Angst vor Langzeitfolgen habe", kann Kurscheid entkräften: "Die Angst vor vermeintlichen Langzeitfolgen ist unberechtigt. Es gibt sie bei Impfungen nicht. Wenn es eine Folge gibt, dann direkt nach der Impfung", erklärt die Expertin.

Keine Langzeitfolgen bei Impfung

Viel dramatischer seien die Langzeitfolgen, die eine COVID-Erkrankung mit sich bringen könne: Fatigue, verklebte Lungenflügel, Muskelschwäche.

Kurscheid hat auch schon gehört: "Es gibt so viele Mutationen, da bringt die Impfung gegen eine Variante nichts". Dem entgegnet die Expertin, dass die verschiedenen Impfstoffe nachweislich bei verschiedenen Mutationen wirksam sind – auch wenn eine Studie aus Israel zuletzt Einschränkungen aufgezeigt hat: Der BioNtech-Impfstoff ist in seiner Wirksamkeit bei der Delta-Variante auf 60 Prozent reduziert. "Dennoch minimieren die Impfungen die Risiken einer Infektion und vor allem einer schweren Erkrankung", erinnert Kurscheid.

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Über die Experten:
Prof. Dr. Clarissa Kurscheid studierte BWL und Gesundheitsökonomie und promovierte am Seminar für Sozialpolitik der Universität Köln. Sie ist Geschäftsführerin des privaten Forschungsinstitutes für Gesundheits- und Systemgestaltung (figus) in Köln.
Dr. Stefan Dammers ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie und Facharzt für Neurologie. Er ist Chefarzt der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik am Katholischen Krankenhaus Erfurt.

Verwendete Quellen:

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