Eine Umfrage ergab vor Kurzem, dass sich rund jeder vierte Deutsche einsam fühlt. Dieses Gefühl betrifft nicht nur ältere Menschen, sondern ist vor allem unter Jugendlichen weit verbreitet, wie eine neue Studie zeigt. Expertinnen und Experten sehen dringenden Handlungsbedarf.

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Seit der Corona-Pandemie fühlen sich deutlich mehr Jugendliche und junge Erwachsene einsam. Das zeigt eine Studie, die am Freitag vorgestellt wurde. Demnach ist jeder fünfte Jugendliche in Nordrhein-Westfalen stark einsam. "Einsamkeit ist so was wie eine heimliche Pandemie", sagte NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst bei Vorstellung. Es handele sich um ein "Massenphänomen" unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Das Thema sei als "neue soziale Frage unserer Zeit" für die gesamte Gesellschaft relevant. Wüst mahnte, man müsse der Einsamkeit früh begegnen. "Das Thema gehört in die Mitte der Gesellschaft." Auch die Bundesregierung arbeitet derzeit an einer Strategie.

Die renommierte Einsamkeitsforscherin Maike Luhmann betonte, es sei wichtig, die Aufmerksamkeit auf junge Menschen zu richten. Sie hatte die Untersuchung im Auftrag der Landesregierung mit einem Team durchgeführt.

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Einige Jugendliche und junge Menschen sind sehr einsam

In zwei Stichproben wurden rund 950 Jugendliche zwischen 16 und 20 Jahren befragt. Rund 16 bis 18 Prozent von ihnen sind demnach sehr einsam. Außerdem wurden die Antworten von knapp 1.250 Achtklässler eingeholt. Bei den Achtklässlern zwischen 13 und 15 Jahren sind knapp 4 bis 11 Prozent als stark einsam einzustufen.

Insgesamt waren in den beiden separaten Erhebungen rund 2.200 junge Leute in NRW befragt worden. Addiert man in beiden Altersgruppen noch diejenigen hinzu, die moderat oder manchmal einsam sind, steigen die Zahlen erheblich an. Tendenziell sind etwas mehr Frauen und Mädchen betroffen.

Die Spannen in den Ergebniszahlen ergeben sich, weil nach Geschlecht und in zwei Arten von Einsamkeit - emotional und sozial - getrennt wurde. Vergleichbare bundesweite Daten zeigten ebenfalls gestiegene, hohe Einsamkeitswerte, sagte Luhmann. Es gebe wenig Vergleichsdaten für junge Menschen, aber eine Zunahme in Deutschland sei eindeutig, sagte die Expertin der Deutschen Presse-Agentur.

Einkommensarmut der Eltern ist einer der Faktoren

Ein erhöhtes Risiko haben Jugendliche mit besonderen persönlichen oder psychischen Belastungen und auch junge Menschen, die Diskriminierungserfahrungen gemacht haben, erläuterte die Expertin. Die Pandemie hinterlasse Spuren. Auch Faktoren wie überhoher Konsum digitaler Medien spielten eine Rolle.

Und: "Wir haben festgestellt, dass diejenigen, die angegeben haben, dass sie finanzielle Probleme haben in ihrem Haushalt, auch eher einsam sind", unterstrich Luhmann. "Das ist ein deutschland- und europaweites Phänomen, wenn nicht gar ein internationales."

Sie berichtete: "Aus der Forschung wissen wir, dass Einsamkeit, wenn sie chronisch wird, mit einer ganzen Reihe von negativen Konsequenzen verbunden ist." Folgen könnten sein:

  • gestörter Schlaf
  • soziale Angst
  • Depression
  • sinkende schulische Leistungen
  • weniger Bewegung und Aktivitäten

Es gehe gerade bei jungen Menschen darum, langanhaltende negative Folgen bis hin zu körperlichen und psychischen Erkrankungen zu vermeiden.

Einsam sein ist nicht dasselbe wie Alleinsein

Emotionale Einsamkeit ist das negative Gefühl, dass einem Menschen fehlen, denen man sich nahe fühlt, dass man niemanden hat, dem man sich anvertrauen kann. Bei sozialer Einsamkeit denkt man, zu wenig Kontakte und Freundschaften zu haben, keiner Gruppe zugehörig zu sein. Die Studie zeigte: Die Qualität der Freundschaften wird als wichtiger empfunden als die Quantität. Einsam sein ist nicht dasselbe wie Alleinsein und auch nicht mit sozialer Isolation zu verwechseln.

Einsamkeit ist ein schmerzliches Gefühl, aber nicht per se negativ: "Sie ist auch ein Teil der Lebenserfahrung und kann eine positive Funktion haben, denn junge Menschen müssen lernen, wie sie daraus auch wieder rauskommen", erklärt Luhmann. Soziale Medien könnten einerseits wichtiges Werkzeug sein, um eine Kommunikation zu starten oder Kontakte zu halten. Aber: Gerade bei den Jüngeren, die Handy, Computer und Co. exzessiv nutzen, seien die Einsamkeitswerte erhöht.

Einsam in der Jugend - einsam im Erwachsenenalter

"Die Jugendzeit ist eine Phase der Neuorientierung, der Identitätsfindung, eine sehr turbulente Lebensphase mit vielen Wechseln", schilderte Luhmann. Jeder Wechsel in ein neues Umfeld berge auch das Risiko, dass es nicht klappe mit den Kontakten.

Manche könnten mit ihrer Einsamkeit umgehen, andere reagierten mit unwirksamen oder schädlichen Verhaltensweisen. Psychotherapeutin Franca Cerutti berichtete aus ihrer Praxis, das Einsamkeitsproblem verschärfe sich, sei schambesetzt. Wer sich als Jugendlicher stark einsam fühle, habe damit mutmaßlich auch als Erwachsener zu tun - wenn nicht gegengesteuert wird.

"Wir müssen verhindern, dass aus einsamen Kindern und Jugendlichen einsame Erwachsene werden. Wir müssen uns konkrete Bewältigungsstrategien unserer Jugendlichen anschauen und prüfen, wie wir als Politik und Gesellschaft diese Wege gegen Einsamkeit unterstützen und ausbauen können."

NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst

Wüst bezeichnete die Ergebnisse der Studie als "ein Auftrag an uns alle". "Wir müssen verhindern, dass aus einsamen Kindern und Jugendlichen einsame Erwachsene werden. Wir müssen uns konkrete Bewältigungsstrategien unserer Jugendlichen anschauen und prüfen, wie wir als Politik und Gesellschaft diese Wege gegen Einsamkeit unterstützen und ausbauen können", sagte er.

Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass mehr Wissen vermittelt werden müsse. Weitere Tipps: Soziale und emotionale Kompetenzen stärken, mehr Begegnungsorte schaffen und Jugendliche da ansprechen, wo sie sind - in der Schule und im Internet. (Yuriko Wahl-Immel, dpa/sbi)

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