Die Stimme verrät einiges über einen Menschen. Etwa über seine körperlichen Merkmale und seine Charaktereigenschaften.
Auf den ersten Blick war es ein ganz normales Speed-Dating-Event. Als die 30 Frauen und Männer das Café betraten, bekamen sie ein Namensschild, ein kleines Heftchen und einen Platz an einem Tisch zugewiesen. Nach sechs Minuten Kennenlernzeit sollten sie in das Heftchen eintragen: ja (gerne wieder treffen) oder nein (nicht nochmal treffen). Dann zogen die Herren einen Tisch weiter. Speed-Dating eben. Bei Jas von beiden stellten die Event-Organisatoren binnen 24 Stunden den Kontakt her, bei einem oder zwei Neins nicht.
In Wirklichkeit ging es aber um etwas ganz anderes: Alle Teilnehmenden trugen ein Headset, das an ein Audio-Aufnahmegerät angeschlossen war. Die Geräte zeichneten alles auf, was die Speed-Dater sprachen. Ein Team aus Forschenden von Universitäten in Polen, Großbritannien und Deutschland wollte mit den Audio-Aufzeichnungen folgende Frage klären: Nutzen Menschen die Fähigkeit, ihre Stimmhöhe zu verändern, um einem Wunsch-Partner zu gefallen?
Denkbar wäre es, denn die Stimme hat eine Wirkung. Wer zum Beispiel das Radio anschaltet und die Moderatorin sprechen hört, der hat ein Bild der Sprecherin im Kopf, obwohl er sie nicht sieht. Auch wer im Bus jemanden hinter sich reden hört, hat einen bildlichen Eindruck vom Sprecher. Und wenn wir eine Durchsage im Bahnhof, eine Werbung im Supermarkt oder die Bandansage einer Hotline hören, haben wir ebenfalls eine grobe Vorstellung von der sprechenden Person.
Doch wie genau ist diese Vorstellung? Und: Stimmt es denn, was wir zu hören glauben und entsprechend interpretieren? Dabei geht es zunächst einmal um die grundlegende Frage: Wie entsteht die Stimme eigentlich?
Keine Stimme ist gleich
Damit beim Sprechen und Plaudern, beim Singen und Lachen, beim Schreien und Flüstern in unserem Mund Töne entstehen, sind drei Körperregionen wesentlich: die Lunge, der Kehlkopf sowie der Nasen-, Rachen- und Mundraum. Jeder Ton nimmt seinen Anfang in der Lunge. Durch die Luftröhre presst das kräftige Organ Luft bis zum Kehlkopf, genauer: zu Schleimhautfalten in der Mitte des Kehlkopfes. Zwischen diesen sogenannten Stimmlippen liegt eine schmale Öffnung, die Stimmritze. Wie schmal genau dieser Spalt ist, steuern an den Stimmlippen anliegende Stimmbänder und die Kehlkopfmuskulatur. Es gilt: Je enger die Stimmlippen geschlossen sind, umso schmaler der Spalt und umso weniger Ausatemluft gelangt aus der Lunge durch sie hindurch.
Strömt Luft an den Stimmlippen vorbei, beginnen sie zu schwingen – ein Ton entsteht. Das ist ähnlich, wie wenn man bei einem aufgeblasenen Luftballon die Luft nach und nach durch den auseinandergezogenen Gummihals quietschend entweichen lässt. Je nachdem, wie stark man den Luftballon-Hals auseinanderzieht, ändert sich der Ton, von hoch bis tief. Und je nachdem, in welcher Stellung die Stimmlippen sich gerade befinden, unterscheidet sich der im Hals entstehende Ton. Nasen-, Rachen- und Mundraum fungieren als Resonanzraum und verstärken diesen Grundton. Durch die Bewegungen von Zunge, Mund und Gaumensegel wird er moduliert. So entstehen Laute, mit denen wir Silben, Wörter und Sätze bauen können.
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Wie hoch die Stimme ist, hängt etwa von der Länge der Stimmlippen ab: je kürzer die Stimmlippen, desto höher die Stimme. Männer haben einen größeren Kehlkopf und damit auch längere Stimmlippen, die langsamer schwingen und so einen tieferen Grundton produzieren. Im Schnitt liegt dieser bei etwa 120 bis 130 Hertz. Bei Frauen liegt die Frequenz des Grundtons im Bereich von 200 bis 220 Hertz. Auch die Klangfarbe hängt von der Kopf- und Halsform ab – nämlich von der Größe und Form des Rachenraums, der Mund- und Nasenhöhle, von den Zähnen, der Zunge und den Lippen. Aus der Einzigartigkeit des Aussehens eines Menschen folgt also unmittelbar die Einzigartigkeit seiner Stimme.
Sag mir, wie du aussiehst
Dieser Zusammenhang ist die Ursache dafür, dass sich anhand der Stimme ziemlich genaue Rückschlüsse auf den Sprecher ziehen lassen. Welche das sind, weiß Katarzyna Pisanski, Psychologin und Stimmforscherin am Labor für Sprachdynamik des Centre national de la recherche scientifique (CNRS) im französischen Lyon. Sie untersucht Ursprünge, Entwicklung, Mechanismen und Funktionen der akustischen Kommunikation.
"Das Merkmal, das wir am besten an der Stimme erkennen können, ist das Geschlecht. Wir schaffen das mit 99-prozentiger Sicherheit", sagt Pisanski. "Bei der Einschätzung verlassen wir uns auf die Höhe der Stimme, denn nach der Pubertät sind Männerstimmen im Schnitt um 75 Prozent tiefer als Frauenstimmen. Außerdem sind wir sehr gut im Einschätzen des Alters. Man erkennt sehr leicht, ob ein Kind, ein Teenager oder ein Erwachsener spricht", so Pisanski. "Besonders gut gelingt die Unterscheidung kurz vor und nach der Pubertät. Aber auch sonst kann man anhand der Stimme das Alter auf etwa fünf Jahre genau einschätzen."
Das liegt daran, dass der Sprechapparat des Menschen sich mit dem Alter ändert, vor allem während der Pubertät. Der Kehlkopf und die Stimmbänder wachsen, die Stimme wird tiefer. Bei Jungs geschieht das zwar deutlich stärker, doch auch Mädchen bekommen eine tiefere Stimme. Hinzu kommt: Mit dem Alter verknorpelt die Stimmritze zunehmend, Rücken-, Atem- und Sprechmuskulatur verlieren an Elastizität. Das führt dazu, dass ältere Menschen ihre Stimme weniger genau kontrollieren können; die Stimme wird oft zittrig oder beginnt leicht zu knarzen.
Ein weiteres Merkmal, das sich recht gut anhand der Stimme erkennen lässt, ist die Körpergröße. Fragt man nach, woran jemand die Einschätzung der Körpergröße des Sprechers festgemacht hat, wird das oft auf die Höhe der Stimme zurückgeführt. Nur: zwischen Stimmhöhe und Körpergröße gibt es gar keinen Zusammenhang. Wohl aber hängt die Größe mit einem anderen Merkmal zusammen: den Formanten. Das sind Frequenzbereiche, in denen die Stimme durch die Resonanzräume in Rachen, Nase und Mund besonders gut verstärkt wird. Sie führen zur einzigartigen Klangfarbe einer Stimme, auch Timbre genannt. "Größere Menschen haben längere Vokaltrakte, sie haben deswegen tiefere Formanten, ein tieferes Timbre", erklärt Pisanski. "Und das erkennen wir, auch wenn wir es nicht genau benennen können."
Noch ein physisches Merkmal ist die Kraft. "Menschen können an der Stimme erkennen, ob jemand stark oder schwach ist", sagt der Stimmforscher Greg Bryant. Der Kognitionspsychologe ist Professor in der Abteilung Kommunikation an der University of California. Bei der Körperkraft gilt ähnliches wie bei der Körpergröße: Viele Menschen führen ihre Einschätzung irrtümlich auf die Stimmhöhe zurück. Doch die korreliert nicht mit der Körperkraft. Allerdings wissen die Forscher hier nicht, worauf das Urteil beruht.
"Es ist nicht die Höhe der Stimme, aber irgendeinen Zusammenhang muss es geben", sagt Bryant. "Wir denken, es ist die Lautstärke. In unseren Studien waren diejenigen, die am lautesten rufen können, auch die stärksten." Um das mit Sicherheit sagen zu können, sind aber noch weitere Studien nötig. So untersucht Bryant gerade, ob Menschen an der Stimme erkennen können, wie laut jemand brüllen kann, ohne dass er gerade brüllt.
Stimme ist Emotion
Sie klingen aber auch, wie sie sich gerade fühlen. Die sechs Basisemotionen – Freude, Angst, Trauer, Überraschung, Wut und Ekel – können Menschen in den Stimmen Fremder sehr gut erkennen (siehe Infokasten), ebenso wie einige Persönlichkeitsmerkmale.
Emotionen in der Stimme erkennen
- In der Psychologie gibt es das weit verbreitete Konzept der Basisemotionen, das vor allem durch die Forschung des US-amerikanischen Psychologen Paul Ekman in den 1970er-, 1980er- und 1990er-Jahren geprägt wurde. Als Basisemotion beschreiben Psychologen seither jene grundlegenden Gefühlszustände, die alle Menschen auf der Welt gleich erleben, benennen, erkennen und äußern, zum Beispiel in ihrer Mimik. Zu den Basisemotionen gehören: Freude, Angst, Trauer, Überraschung, Wut und Ekel. Allen Basisemotionen ist gemeinsam, dass sie sich gut an der Stimme erkennen lassen.
- Freude: Man spricht mit einer höheren Stimme, die Sprachmelodie wird abwechslungsreicher.
- Angst: Die Höhe der Stimme steigt und die Stimmlage variiert kaum. Die Stimme spiegelt wenig Energie, die Sprechgeschwindigkeit nimmt zu, und zwischen den Wörtern werden häufiger Pausen eingelegt.
- Trauer: Die Stimme ist tiefer und zeigt wie bei der Angst wenig Variationen.
- Überraschung: Man spricht schneller und mit höherer Stimme.
- Wut: Die Menschen sprechen schneller und mit höherer Stimme.
- Ekel: Die Stimme wird tiefer. Die Variation nimmt ab, die Sätze werden kürzer.
Die Psychologin Julia Stern von der Universität Bremen hat dazu im Sommer 2021 mit Kollegen Studienergebnisse veröffentlicht, die auf Daten von über 2.000 Versuchsteilnehmern basieren. Sie belegen: je tiefer die Stimme, desto extravertierter der Sprecher. Stern bestätigte damit die Ergebnisse älterer Studien, die zeigen, dass Menschen an der Stimme einer Person erkennen, wie extravertiert sie ist. Auch, wie emotional stabil jemand ist, lässt sich erhören. Für die anderen drei Dimensionen des Persönlichkeits-Konzepts der sogenannten Big Five – Offenheit, Gewissenhaftigkeit und Verträglichkeit – gelingt das nicht.
Aber es gibt noch einige andere Eigenschaften, die mit der Stimmhöhe zusammenhängen. Eine davon ist Dominanz: Hier gilt wie bei der Extraversion, dass der Sprecher umso dominanter ist, je tiefer seine Stimme klingt.
Etwas komplizierter wird es bei der Glaubwürdigkeit, denn hier erbrachten die Studien gemischte Ergebnisse. Frühere Arbeiten zeigten, dass Zuhörer eine höhere Stimme als glaubwürdiger wahrnehmen. Jüngere Studien hingegen weisen eher auf das Gegenteil hin. Wie sich das unter einen Hut bringen lässt? "Ich glaube, es hängt vom jeweiligen Kontext ab, denn da waren die Studien nicht wirklich vergleichbar", sagt Katarzyna Pisanski. "Je nachdem, was Menschen über diejenigen, die sie hören, zu wissen glauben, passen sie ihr Urteil an."
Der Maßstab für Glaubwürdigkeit, den wir zum Beispiel bei einem Politiker anlegen, sei ein anderer als der bei Freunden und der Familie. "Politiker lenken ein Land, Freunde und Familie helfen und unterstützen uns im Alltag – das sind zwei verschiedene Dinge", sagt Pisanski. "Es macht Sinn, dass bei einem Politiker eine tiefe Stimme mit Glaubwürdigkeit in Zusammenhang gebracht wird, denn eine tiefe Stimme assoziieren wir mit Kompetenz, Intelligenz und Führungskraft. Wir vertrauen diesem Menschen also als Führungspersönlichkeit – aber nicht unbedingt in dem Sinne, in dem wir einem Freund Vertrauen entgegenbringen."
Höhe bestimmt Attraktivität
Und es gibt noch eine weitere Eigenschaft, deren Zusammenhang mit der Stimme gut untersucht ist: die Attraktivität. "Frauen finden tiefe Männerstimmen attraktiver", sagt Pisanski, die an der eingangs erwähnten Speed-Dating-Studie beteiligt war. "Und lange Zeit beobachteten Stimmforscher, dass Männer höhere Frauenstimmen attraktiver finden." Sie interpretierten, dass die hohe Stimme für Jugend und Fruchtbarkeit steht. Tatsächlich wird die weibliche Stimme mit der Menopause tiefer. Die Forscher schlossen daraus: Je höher die Stimme, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass die Frau noch Kinder gebären kann – was gemäß einem evolutionären Erklärungsansatz das Hauptziel des Mannes ist.
"In der Speed-Dating-Studie haben wir allerdings beobachtet, dass Männer tiefere Frauenstimmen attraktiver finden", sagt Pisanski. Sie ist nicht die einzige Stimmforscherin, die in ihren Studien festgestellt hat, dass sich der Zusammenhang zwischen der Attraktivität einer Frauenstimme und ihrer Höhe umzukehren scheint. Immer mehr Studien erbrachten ähnliche Ergebnisse. "Das könnte daran liegen, dass sich die Einschätzung der Männer geändert hat", sagt Pisanski. "Mehr und mehr Männer finden reifere, selbstsichere, kompetente und unabhängige Frauen attraktiver, was sie wiederum mit einer tieferen Stimme assoziieren."
Ob das wirklich stimmt, müssen die Stimmforscher noch weiter untersuchen. Die Speed-Dating-Studie lieferte darauf einen Hinweis: Saßen die Teilnehmer – Männer wie Frauen – jemandem gegenüber, den sie attraktiv fanden und dem sie gefallen wollten, dann sprachen sie tiefer.
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