Progress M-27M ist abgestürzt: Der außer Kontrolle geratene Raumfrachter ist in die Erdatmosphäre eingetreten und verglüht. Um 4 Uhr mitteleuropäischer Sommerzeit war die Frachtkapsel über dem Südpazifik niedergegangen, mögliche Trümmer erreichten zehn Minuten später die Oberfläche. Bestand Gefahr? Wir haben ins darüber mit dem ESA-Experten Holger Krag unterhalten.

Ein Interview

Wie vollständig verglüht so ein Weltraumgegenstand?

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Holger Krag: Größere Objekte wie Progress oder Satelliten und Raketenoberstufen am Stück verglühen nicht vollständig. Zwischen zehn und 40 Prozent der Masse können den Wiedereintritt überleben.

Ab welcher Größe verglühen die Flugobjekte nicht mehr?

Das ist nicht von der Größe, sondern vom Material und der Masse abhängig. In der Raumfahrt wird viel Aluminium verwendet, was einen niedrigen Schmelzpunkt hat. Davon findet man normalerweise nichts mehr am Boden. Bei Kupfer und damit vielen Kabeln ist es ähnlich. Dagegen findet man öfters Tanks oder Düsen, da diese häufig aus Titan bestehen.

Wie oft kommt es vor, dass Trümmerteile auf die Erde treffen?

Das kommt überraschend häufig vor. Der Raumfrachter Progress ist wegen seiner Größe eine Ausnahme, aber wir haben mehr oder weniger ein Mal pro Woche einen unkontrollierten Eintritt von größeren Objekten. Täglich treten kleinere Fragmente in die Erdatmosphäre ein.

Tanks aus Titan können die Erdatmosphäre unbeschadet durchdringen. Dabei handelt es sich um größere Gegenstände, oder?

Sie können so groß wie ein Fußball oder Medizinball sein. Wie das konkret bei Progress aussieht, kann Ihnen nur ein Ingenieur beantworten, der am Bau beteiligt war.

Aber die meisten Objekte verglühen in der Atmosphäre und kommen nicht auf der Erdoberfläche an.

Das stimmt so nicht. Etwa 40 bis 50 Mal pro Jahr kommt das vor. Es passiert aber nichts, weil die Erde viel geringer bevölkert ist, als wir uns das vielleicht vorstellen. Außerdem sind ungefähr drei Viertel der Oberfläche mit Wasser bedeckt. Pro Jahr treten 100 Tonnen an Materialien ein, zehn bis 40 Tonnen erreichen die Oberfläche. Aber das Allermeiste wird nicht gefunden.

Wie läuft das Verglühen ab?

Die Objekte treten fast horizontal mit einer Geschwindigkeit von 27.000 Kilometern pro Stunde in die Atmosphäre ein, weil die Umlaufbahn immer niedriger wird. In 80 Kilometer Höhe sind die Objekte schon stark abgebremst und werden so heiß, dass sie aufbrechen, verglühen und beständige Teile freisetzen. In 40 Kilometern Höhe ist fast die gesamte Geschwindigkeit abgebaut und so fallen die Trümmer direkt hinunter.

Wenn Sie alle Daten beisammen haben, können Sie dann eine Flugbahn errechnen und damit abschätzen, wo Fragmente des Objekts aufschlagen?

Ja, das haben wir die ganze letzte Woche gemacht. Die Prognose von Donnerstagnachmittag hat gezeigt, dass wir für Nordamerika und Europa Entwarnung geben konnten. Über Nacht kam dann die Bestätigung, dass das Objekt über dem Südpazifik in die Atmosphäre eingetreten ist. Mögliche Trümmerteile kamen zehn Minuten später zwischen Australien und Südamerika runter.

Doktor Holger Krag ist Leiter der ESA-Abteilung für Weltraum-Trümmer in Darmstadt.
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