Beim Rosenmontagsumzug sollte ein Wagen zum "Charlie Hebdo"-Anschlag durch Köln ziehen. Doch das Festkomitee stoppte den Bau: "Alle Besucher sollen sorglos Karneval feiern" war die Begründung aus Köln. Die Entscheidung erhält von vielen Seiten Kritik. Wie ist die Entscheidung aus moralischer Sicht zu beurteilen? Wir haben mit Ethik-Professor Nikolaus Knoepffler gesprochen.

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Hat sich Köln mit der Entscheidung gegen den Wagen ethisch korrekt verhalten? Es ging ja offiziell um die Sicherheit der Menschen.

Nikolaus Knoepffler: Zunächst einmal ist Ethik keine Einbahnstraße. Es ist umstritten, was angemessen oder nicht angemessen ist. Doch wenn man von einem gemeinsamen Verständnis von Menschenwürde, dem Respekt vor anderen Menschen, Meinungsfreiheit und Selbstbestimmung ausgeht, könnte man sagen, dass das Festkomitee sich vernünftig verhalten hat.

Sie wollen das fröhliche Karnevalsfest nicht durch Sicherheitsfragen überlagern lassen. Das ist ein starkes Argument, wieso sie bei einem solchen Umzug auf ihre Meinungsfreiheit verzichten.

Im Gegensatz zu Köln haben sich Mainz und Düsseldorf nicht gegen die Thematisierung von "Charlie Hebdo" bei den Karnevalsveranstaltungen ausgesprochen. Allgemein gefragt: Darf ein Terroranschlag mit mehreren Toten die thematische Grundlage für Karnevalseinlagen sein?

Wir wissen ja nicht genau, wie die Umsetzung dieses Themas aussehen wird. In einer Gesellschaft wie der unseren, die sich als eine offene Gesellschaft versteht, in der die Meinungsfreiheit ein Grundrecht ist, sollten wir darauf vertrauen, dass die Verantwortlichen das richtige Gespür für die Thematik entwickeln. Ich will damit sagen, dass es auch zu rechtfertigen ist, wenn das Thema seinen Platz im Karneval findet.

Nach der Entscheidung des Kölner Festkomitees wurde der Vorwurf laut, dass dem Terror gerade so mehr Platz gegeben werde. Könnte man sagen, dass das Festkomitee in Köln vor dem Terror einknickt?

Aus der Außenperspektive lässt sich sagen: Städte wie Mainz und Düsseldorf haben die Sicherheitslage für sich so eingeschätzt, dass sie nicht glauben, dass das Karnevalsfest dadurch getrübt wird. Die Kölner haben eine andere Bewertung vorgenommen. Ich finde, es gibt für beide Bewertungen gute Gründe. Natürlich kann man sich immer fragen, ob man damit vor Terrorandrohungen nicht nachgibt, aber andererseits ist es in unserer Gesellschaft so, dass bestimmte Möglichkeiten der Meinungsfreiheit auf großen Widerstand treffen. Es ist gut nachvollziehbar, wenn der Kölner Karneval das Risiko nicht eingehen will.

Dennoch: Viele Menschen sprechen sich für den "Charlie Hebdo"-Wagen aus, und können die Entscheidung des Kölner Komitees nicht nachvollziehen. Wird dieser Terrorakt aus gesellschaftlicher Sicht in einen Zusammenhang gebracht, der nicht mehr angemessen ist?

Meine Meinung ist, dass man mit der Aufnahme dieses Themas nichts gewinnen kann. Es sind so viele Opfer involviert, es handelt sich um so einen tiefen, weltanschaulichen Graben, dass ich nicht weiß, wie man das humoristisch umsetzen kann.

Für mich ist das Thema so verletzlich, in vielerlei Hinsicht, dass ich es für riskant halte, es bei einem solchen lustigen Umzug aufzunehmen. Der Karneval ist ja in gewisser Hinsicht selbst Satire. Und Satire auf Satire passt genauso schlecht, wie Satire zu einem Terroranschlag passt. Meiner Meinung nach kann ein "Charlie Hebdo"-Wagen nicht wirklich funktionieren.

Nikolaus Knoepffler, geboren 1962, ist Professor für Angewandte Ethik an der Friedrich-Schiller-Universität Jena sowie Leiter des Ethikzentrums Jena. Außerdem ist er Mitglied der Zentralen Ethik-Kommission für Stammzellforschung der Bundesregierung.
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