Sind Terroristen, getarnt als Flüchtlinge, eine akute Gefahr für Deutschland? 266 Hinweise auf Terrorverdächtige unter Flüchtlingen sind laut Bundeskriminalamt bislang eingegangen. Nur in 25 Fällen aber gibt es Ermittlungsverfahren. So sehen Experten und Verantwortliche die Situation.

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Sein Bild ging durch die Medien: Farid A. posiert mit einer Waffe in der Hand neben Kalaschnikows, Magazinen und weiterer Kampfausrüstung. Der Algerier soll für die Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) gekämpft haben.

Festgenommen wurde er vergangene Woche im nordrhein-westfälischen Attendorn: Dort war er gemeinsam mit seiner Frau und seinen Kindern in einer Flüchtlingsunterkunft untergebracht – bei den Behörden hatte er sich wohl mit gefälschtem Pass als syrischer Flüchtling ausgegeben.

Ein Einzelfall? Oder ein ernsthaftes Problem? Wie groß ist die Gefahr, dass Terroristen den Flüchtlingszuzug nutzen, um nach Europa einzureisen? 1,1 Millionen Menschen sind 2015 allein nach Deutschland gekommen.

Beim Bundeskriminalamt (BKA) sind seit Beginn der aktuellen Flüchtlingsbewegungen 266 einzelne Hinweise eingegangen – Hinweise darauf, dass ein Asylsuchender mutmaßlicher Unterstützer oder gar Kämpfer einer Terrororganisation sei.

"Wir nehmen das ernst und gehen jedem einzelnen nach", sagt uns eine BKA-Sprecherin. Das Ergebnis bislang: In 25 Fällen haben die Beamten ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Bedeutet: Nur da sehen die Beamten nach ersten Ermittlungen weiteren Handlungsbedarf.

Rechte Hetze und große Verunsicherung

Woran es liegt, dass es wesentlich mehr Hinweise als konkrete Verdachtsfälle gibt, dazu äußert sich die BKA-Sprecherin auf Anfrage nicht. Der Kölner Soziologe Professor Jürgen Friedrichs gibt im Gespräch mit unserer Redaktion mögliche Erklärungen:

Zum einen seien da "diejenigen, die den größten Quatsch in die Welt setzen und dafür beispielsweise in sozialen Netzwerken viele Likes bekommen".

Fremdenfeindliche Hetzer etwa, die einzelne Flüchtlinge verunglimpfen und damit Asylsuchende unter Generalverdacht stellen. Zum anderen herrscht, bestätigt Friedrichs, derzeit große Verunsicherung.

Die Menschen seien hochsensibel – und reagierten möglicherweise einmal über, wenn sich jemand seltsam verhalte.

Er gibt aber auch die schwierige Situation für die Polizei zu bedenken: "Wie sollen die Beamten jemanden identifizieren? Die Leute sind klug genug, sich stark anzupassen und als Flüchtling zu tarnen." Darüber, wie die Polizei nach ersten Hinweisen vorgeht und vor welchen Problemen die Beamten stehen, macht die BKA-Sprecherin keine Angaben.

Der Verfassungsschutz geht mittlerweile davon aus, dass unter den Flüchtlingen IS-Kämpfer und -Sympathisanten sind: Präsident Hans-Georg Maaßen nannte dies vergangene Woche im ZDF "Morgenmagazin" sogar "eine bevorzugte Strategie des IS". Das hätten auch die Terroranschläge von Paris gezeigt.

Dass der IS Terroristen als Flüchtlinge einschleuse, sei "eine Tatsache, der sich die Sicherheitsbehörden gegenübersehen". Bei einer Anhörung im US-Senat wies am Dienstag auch US-Geheimdienstkoordinator James Clapper darauf hin, dass der IS die Situation ausnutze und als Flüchtlinge getarnte Kämpfer nach Europa einschleuse.

Wissenschaftler Hansen: "Keine validen Daten"

"Es gibt dazu bislang keine validen Daten, auf denen eine Einschätzung basieren könnte", sagt Stefan Hansen im Gespräch mit unserer Redaktion. Er ist stellvertretender Direktor und Geschäftsführer des Instituts für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel.

Vermutungen, dass mit den Flüchtlingen auch Terroristen nach Deutschland kommen, seien jedoch "sicher nicht völlig aus der Luft gegriffen".

Für Stefan Hansen ist klar: "Wenn über eine Million Flüchtende pro Jahr kommen, dann sind sehr wahrscheinlich auch Leute dabei, die ideologisch dem Islamismus, beziehungsweise Salafismus anhängen."

Ob der sogenannte "Islamische Staat" aber breit angelegt Terroristen mit den Flüchtlingen mitschicke, das lasse sich zurzeit so nicht sagen. Für denkbar hält es der Leiter der Abteilung Terrorismus- und Radikalisierungsforschung am Kieler Institut schon.

Dennoch gibt er zu bedenken, dass es für Terroristen eigentlich nicht nötig sei, als Flüchtling getarnt den harten Weg über die Balkanroute auf sich zu nehmen.

"Sie können ohnehin zumeist ohne Visa in die Türkei einreisen und gelangen von dort leicht in den Schengenraum."

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