Ein junges Startup aus Deutschland will mit einem voll in eine Lenker-Vorbaueinheit integrierten Display das Nebeneinander von Radcomputer, Licht und Klingel beenden. Finanziert unter anderem durch freizügige Inhalte der Gründerin auf OnlyFans. ROADBIKE hat mit dem Entwicklerduo gesprochen – und präsentiert exklusiv technische Details des Flitedeck Smartbars.
ROADBIKE: Sabrina und Matthias, um euch zunächst mal ein bisschen kennenzulernen: Wer seid ihr, was ist euer beruflicher und radsportlicher Hintergrund?
Sabrina: Wir haben uns während des Studiums kennengelernt und sind beide Maschinenbau- und Fahrzeugtechnikingenieure mit einem Schwerpunkt auf Elektrotechnik. Unsere Bachelorarbeiten haben wir jeweils bei Porsche Motorsport geschrieben und anschließend einige Zeit in der Automobilbranche gearbeitet, unter anderem in Deutschland bei BMW Motorsport und Porsche Motorsport sowie in London, wo wir autonom fahrende Elektrorennwagen entwickelt haben.
Matthias: Was den Radsport angeht, so bin ich schon seit frühester Jugend Straßenrennen gefahren. Ganz so ambitioniert bin ich mittlerweile nicht mehr, sitze aber immer noch regelmäßig als Hobby und Ausgleich vom Berufsleben im Sattel. Ich bin auch überzeugt, dass mich der Radsport viel gelehrt hat fürs Unternehmertum: Werte wie Disziplin, Beharrlichkeit, Ausdauer oder die Fähigkeit, mit Rückschlägen umzugehen…
Sabrina: Ich bin über Matthias zum Rennradfahren gekommen. Matthias hat damals – 2019 im März – spontan einen Mallorca-Trip gebucht und mich mit einem Rennradurlaub überrascht. Obwohl ich zuvor noch nie wirklich Rennrad gefahren bin, war unsere erste Tour gleich mal knapp 100 Kilometer lang im wunderschönen Mallorca – und seitdem bin ich hin und weg, und Rennradfahren gehört als fester Bestandteil meines Lebens als Ausgleich dazu. 2020 habe ich dann auch angefangen, auf Instagram als Rennrad-Influencerin Content zu posten.
Die Automobilbranche habt ihr verlassen, um in die Fahrradindustrie zu wechseln. Warum?
Matthias: Wie bei vielen Menschen war die Corona-Pandemie auch bei uns ein Einschnitt. 2020 haben wir bewusst entschieden, die Automobilbranche zu verlassen und uns selbstständig zu machen. Wir haben eine Social Media Agentur gegründet, die wir bis heute betreiben. Unsere Kunden sind Personen und Unternehmen, die wir dabei unterstützen, über Social Media Aufmerksamkeit, Reichweite und Erlöse zu generieren. Manche Kunden stammen auch aus der Fahrradindustrie.
Sabrina: Schon 2019 in London hatten wir aber auch die Idee für ein eigenes Rennradprodukt. Dieses tritt nun in eine neue, ganz wichtige Phase ein: Anfang Februar startet die Pre-Order-Phase, und 2026 soll das Produkt dann auf den Markt kommen.
Um was handelt es sich dabei?
Sabrina: Um die weltweit erste vollständig integrierte, smarte Lenker-Vorbau-Einheit, die modernste Technologie, intuitive Bedienung und minimalistisches Design kombiniert. Unser Ziel: das Radfahren, smarter, sicherer und vernetzter zu machen. Beim Pendeln mit dem Rad in London hat mich immer unfassbar genervt, dass ich am eigentlich ja sehr ästhetischen und cleanen Rennradlenker einen Radcomputer, eine Klingel und ein Fahrradlicht montieren muss. Alles hat unterschiedliche Ladezustände, nichts ist wirklich miteinander vernetzt. Und diebstahlsicher sowieso nicht. Mit unserem Wissen als Entwicklungsingenieure und ambitionierte Radfahrer dachten wir: Das muss doch besser und auch aerodynamischer gehen! So entstand die Idee, eine komplett integrierte Lösung zu entwickeln.
Matthias: Wir haben dann eine sehr umfangreiche Machbarkeitsanalyse durchgeführt und zudem mit vielen Lieferanten, Produzenten und anderen Gründerinnen und Gründern gesprochen. Viele waren sehr begeistert von unserer Idee, auch drei der bekanntesten Fahrradhersteller. 2021 haben wir ein Patent angemeldet, eine GmbH gegründet und uns die Rechte an dem Namen Flitedeck gesichert. Das ist der Produkt- und Brandname unseres Lenkers.
Das erinnert an den Shimano Flightdeck-Radcomputer, der von den Hebeln aus bedient werden konnte…
Matthias: …der aber seit Jahren nicht mehr hergestellt wird. Abgesehen von der etwas anderen Schreibweise hat Shimano seine Nutzungsrechte auf den Namen seinerzeit auslaufen lassen, und die Einspruchsfrist auf die Sicherung unseres Produktnamens ist zwischenzeitlich auch abgelaufen.
Was kann euer Flitedeck?
Sabrina: Das Cockpit integriert nahtlos und formschön einen Farbtouchscreen, dessen Display mehr als doppelt so groß ist wie der neue Wahoo Elmnt Ace und knapp dreimal so groß wie ein Garmin. Die Auflösung ist in Full-HD. Der Flitedeck kann mit Sensoren für Geschwindigkeit, Herzfrequenz und Leistung gekoppelt werden und zeigt dann die entsprechenden Werte an. Die Software ist eine Eigenentwicklung. Darüber hinaus können Karten samt Navigationshinweisen angezeigt werden, und ein StVzO-konformes Frontlicht eines renommierten Lichtherstellers mit Abblend- und Fernlicht ist ebenfalls in den Lenker integriert. Ähnlich wie bei manchen Radcomputern wird auch ein Klingelton integriert sein, um Fußgänger auf sich aufmerksam zu machen. Alles wird mit einem einzigen Akku betrieben. Weitere Features und Funktionen werden mit dem Pre-Order-Start veröffentlicht.
Matthias: Wir werden eine App anbieten, mit deren Hilfe man das Display komplett selbständig konfigurieren kann. Also welche Ansicht, welche Werte, welche Größe etc. Wichtig ist auch die nahtlose Integration von Drittanbieter-Apps wie zum Beispiel Apple Health. Damit das System immer up-to-date bleibt und sich langfristig für unsere Kundinnen und Kunden rechnet, wird es regelmäßige Software-Updates geben.
Schon gegenwärtige Touchscreens mit sehr viel kleinerem Display spielen oft verrückt, wenn es regnet.
Matthias: Unser Flitedeck wird Regen und Schweiß smart erkennen können und dann die gewählte Ansicht einfrieren, zudem kann die Sensibilität des Touchscreens individuell angepasst werden. Auf Knöpfe zur Bedienung wollen wir, falls möglich, verzichten. In meinen Augen sind das nur Stellen, wo potenziell Wasser und Schmutz eindringen kann.
Nimmt das Display nicht manche Griffoption am Lenker weg, gerade am Oberlenker?
Sabrina: Dafür sorgen wir, dass das nicht passiert. Klar, wer ganz weit mittig greifen will, kann das nicht mehr, ohne das Display leicht zu verdecken. Aber es wird ausreichend Platz am Oberlenker geben – auch für große Hände.
Was wird der Flitedeck wiegen, wie lange ist die Akku-Laufzeit?
Sabrina: Das Gewicht für eine komplette Lenker-Vorbau-Einheit inklusive Display, Akku und Licht wird – je nach Vorbaulänge und Lenkerbreite – ab etwas über 800 Gramm liegen. Das ist leichter als bei klassischen Cockpits mit separatem Radcomputer, Halter, Licht und Klingel. Der Akku ermöglicht eine Betriebsdauer von 20 bis 30 Stunden – je nachdem, wie hell man das Display einstellt.
Wie robust ist das System? Kann man das eigene Rennrad nur noch mit Samthandschuhen anfassen?
Matthias: Abgesehen davon, dass man auch mit klassischen Carboncockpits sorgsam umgehen sollte: Wir waren mit dem ersten Prototyp in den Dolomiten – schnelle Abfahrten, teils ruckelige Straßen, hohe mechanische Kräfte auf den Unterlenkerbögen. Wir waren sehr positiv überrascht, wie leistungsfähig schon der erste Wurf war. Und seither geht die Entwicklung ja weiter. Unser Anspruch ist, dass das Flitedeck keinerlei Abstriche in puncto Lenkersteifigkeit, Ergonomie, Gewicht und Bedienung bedeutet – im Gegenteil! Ein Fokus liegt gerade auf der intuitiven Bedienung.
Sabrina: Darüber hinaus wollen wir auch attraktive Servicebedingungen bieten: Wir bieten einen Reparaturservice und für den Fall der Fälle auch Crash-Replacement an. Dabei kommt uns zugute, dass das Flitedeck voraussichtlich zu 100 Prozent in der EU hergestellt sein wird. Sprich: kurze Wege und hohe Qualität. Ein Premiumprodukt!
Zu welchem Preis?
Sabrina: Wir starten jetzt in die Pre-Order-Phase. Ab Anfang Februar können Endverbraucher das Flitedeck vorbestellen. Zu Beginn wird es einen Early-Drop-Sonderpreis geben: 1600 Euro. Später einen regulären Pre-Order-Preis in Höhe von 1999 Euro. Wenn das Produkt einmal am Markt ist, wird der reguläre Preis über 2000 Euro liegen. Ganz genau können wir das noch nicht sagen.
Matthias: Das mag auf den ersten Blick teuer klingen. Aber: Wer aktuell eine hochwertige Lenker-Vorbau-Einheit aus Carbon, einen Premium-Radcomputer von Garmin, Wahoo und Co. und eine vernünftige Lampe kauft, zahlt auch kaum weniger. Zudem haben wir im Vorfeld sehr viel über Social Media mit der Rennradcommunity kommuniziert und diese übrigens auch bei der Produktentwicklung miteingebunden, zum Beispiel bei der Frage, ob und wenn ja, wie viel Flare der Unterlenker haben soll, welche Abmessungen des Cockpits angeboten werden sollen und so weiter. In dem Kontext haben wir auch den Preis evaluiert, und auch in manchem Onlineforum wurde schon über den Preis diskutiert, ohne dass wir uns eingemischt hätten. Vor dem Hintergrund dieser Rückmeldungen können wir sagen: Unsere Preisvorstellungen bewegen sich in dem Bereich, den viele offensichtlich für angemessen halten, beziehungsweise für ein in Deutschland entwickeltes High-End-Produkt höchster Qualität zu zahlen bereit wären.
Apropos Kosten und Finanzen: Ihr geht sehr offen damit um, dass ein nicht unwesentlicher Teil eures Kapitals aus Aktivitäten von Sabrina bei OnlyFans kommt. Auf deinem LinkedIn-Profil heißt es schon in deiner Selbstbeschreibung: Funding my own cycling startup through adult content [finanziere mein eigenes Fahrrad-Startup mit Inhalten für Erwachsene]. Was hat es damit auf sich?
Sabrina: Uns ist Unabhängigkeit sehr wichtig. Wir sind komplett eigenfinanziert, haben keine Fördergelder in Anspruch genommen, müssen uns nicht von Investoren hineinreden lassen. Dafür gibt es mehrere Gründe: Erstens unsere eigene Philosophie und unser Wunsch nach finanzieller und konzeptioneller Freiheit – wir wollen unabhängig sein, die volle Kontrolle behalten, schnell und flexibel handeln, uns auf die Produktinnovationen konzentrieren, statt Kompromisse eingehen zu müssen, um Investoren zufriedenzustellen. Zweitens sind solche Förderanträge unglaublich bürokratische Prozesse, die sehr viel Zeit verschlingen bei völliger Unsicherheit, ob man am Ende auch über Kapital verfügen kann. Drittens sind derzeit viele Investoren allgemein sehr zurückhaltend, Risikokapital für Hardware-Lösungen in die Hand zu nehmen. Wir haben uns gesagt: Nutzen wir die Zeit doch lieber und verdienen direkt Geld mit etwas, das uns und unserer Community Spaß macht. Das Geld fließt dann in Flitedeck – so haben alle Seiten was davon.
Matthias: Durch unsere Expertise in Sachen Social Media haben wir sehr schnell eine große Reichweite für Sabrina aufbauen können. Nimmt man Facebook, X und Instagram zusammen, hat sie über 300 000 Follower. Mit einer solchen Reichweite alleine könnte man gut leben, aber über den täglichen Finanzbedarf hinaus kein Kapital zusammentragen, um ein Business zu starten. Die Reichweite ist aber natürlich Gold wert, wenn sie auf eine weiterführende Erlösquelle verweist. Das ist für uns OnlyFans.
Für die nicht Eingeweihten: Was ist das?
Matthias: Eine Plattform, auf der man – ähnlich wie bei Facebook oder Insta – bestimmten Accounts folgen kann, aber im Gegensatz zu den Genannten zahlt man dafür und erhält im Gegenzug exklusiven Content. Es gibt verschiedene Bezahlmodelle: über monatliche oder jährliche Abonnements, Trinkgelder oder Pay-per-Views. Der Content, der zur Verfügung gestellt wird, ist sehr unterschiedlich, zum Beispiel nutzwertige Fitnesstipps und -trainings, Übungen und Kurse, um Sprachen oder Instrumente zu erlernen, oder erotischer Content.
Sabrina: Ich bin eine sehr offen eingestellte Person und mag ästhetische Erotikfotografie und Videos. Sexy Radsport-Content gibt es auf Instagram relativ viel, bei OnlyFans hingegen eher wenig, da habe ich ein vergleichsweise großes Alleinstellungsmerkmal und treffe offenbar einen Nerv. Wichtig ist mir der Austausch mit der Community, der auch echt ist – da schreibt man nicht mit einem Bot oder einer Agentur, sondern mit mir persönlich, die gesamte Community ist echt. Es wird auch total offen kommuniziert, dass Fans und Abonnenten damit Flitedeck mitfinanzieren, was die wiederum auch total klasse finden, wie wir immer wieder hören. Ich würde sagen: eine Win-win-Situation!
Matthias: Vielleicht finden manche Menschen das verwerflich, aber wir sind total open-minded, es macht Spaß, ist nichts Illegales oder anderweitig off-limit. Wir sind total offen gegenüber den Abonnenten, der Austausch ist super. Und es finanziert unseren Traum!
Wieviel Geld hat euch Flitedeck bisher gekostet?
Sabrina: An konkreten Finanzmitteln haben wir bislang über 250 000 Euro investiert, aber das ist ja nur ein Teil der Medaille. Denn wir haben ja über die Jahre hunderte Arbeitsstunden geleistet, ohne dass wir mit dem Projekt bisher Geld verdient haben. Arbeitszeit, die natürlich an anderer Stelle fehlt, wo wir Geld hätten verdienen können. Was wir so insgesamt investiert haben, kann man gar nicht beziffern.
Wie realistisch ist, dass Flitedeck wirklich eines Tages als physisches Produkt auf den Markt kommt?
Matthias: Wir sind fest davon überzeugt und werden den Weg mit voller Kraft weitergehen. Als Nächstes steht die Produktion weiterer Prototypen an, die bereits sehr nah an der Serie sein werden. Die Produktentwicklung soll dann bis Ende 2025 abgeschlossen sein, dann folgen die verschiedenen Zertifizierungsprozesse, die bei der Markteinführung von neuen Produkten und bei elektronischen Entwicklungen vorgeschrieben sind. 2026 soll dann die Marktreife erreicht sein, und das Produkt physisch für die Radsportwelt vorliegen. Spyshots vom Flitedeck sind derzeit im Umlauf und haben schon großes Interesse geweckt. Gerade in Spanien und Portugal, aber auch den Benelux-Staaten, Frankreich, Italien und Brasilien sind wir viral gegangen. All das zeigt uns: Wir sind auf einem guten Weg, ein sinnvolles und nachgefragtes Produkt zu entwickeln.
Wie geht es dann langfristig weiter?
Sabrina: Kurzfristig sehen wir das Flitedeck als Aftermarket-Produkt, das wir direkt an Endkunden verkaufen. Aber es wissen auch schon alle wichtigen Radhersteller Bescheid, einige haben Interesse angemeldet. Als aktuelles Highlight können wir uns darüber freuen, dass ein Premiumhersteller, der auch ein UCI-WorldTour-Team ausstattet, die erste offizielle Radmarke mit Flitedecks sein wird. Wer genau das ist, können wir bald verraten. Und wir haben allgemein schon mit einigen WorldTour-Teams gesprochen und positives Feedback erhalten. Langfristig wird Flitedeck hoffentlich sowohl als Aftermarket-Produkt zum Nachrüsten, als auch direkt in Rädern zahlreicher Hersteller erhältlich sein. Jetzt steht aber erstmal die vielleicht wichtigste Etappe auf dem bisherigen Weg an: der Start der Pre-Order. Der Shop auf unserer Website wird Anfang Februar freigeschaltet.
Vielen Dank für das Gespräch und viel Erfolg. © Bike-X
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