Über Spätfolgen einer Corona-Infektion oder -Impfung weiß die Wissenschaft bisher wenig. Die CDU/CSU-Fraktion fordert mehr Mittel für Forschung, Aufklärung sowie die Behandlung von Betroffenen. Doch wie so häufig hakt es beim Geld.
Das Coronavirus hat Catrin zum ersten Mal im Februar 2021 erwischt – und nie wieder losgelassen. Sie litt unter Atemnot, Seh- und Konzentrationsstörungen. Es folgten eine Impfung und zwei weitere Infektionen. Jedes Mal kamen die Symptome zurück oder verschlimmerten sich, jedes Mal musste sich die 49-Jährige "ins Leben zurückkämpfen". Seit mehr als zwei Jahren ist sie jetzt krankgeschrieben. Im Herbst könnte eine Wiedereingliederung starten. Vielleicht.
Während die allermeisten Menschen eine Corona-Infektion schnell auskurieren, kämpfen andere über Wochen, Monate oder sogar Jahre mit Spätfolgen. Die Symptome sind unterschiedlich – und die Zahl der Betroffenen ist unklar. In ganz Europa könnten nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation fast 36 Millionen Menschen länger anhaltende Beeinträchtigungen nach einer Infektion davontragen.
Das hat nicht nur Folgen für das Leben und die Gesundheit jedes Betroffenen. Wenn Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer lange ausfallen, kann sich das auch in der Volkswirtschaft niederschlagen. Doch viele Fragen zum Thema sind weiterhin ungeklärt – und viele Betroffene fühlen sich schlecht versorgt. "Es gibt zu wenig Spezialambulanzen, man muss lange auf Termine warten", sagt Catrin. Sie gehört zur Initiative "Nicht genesen", die auf die Situation von Menschen aufmerksam macht, die lange unter den Folgen einer Corona-Infektion oder -Impfung leiden.
Sepp Müller (CDU): "Wir brauchen Grundlagenforschung"
In dieser Woche steht das Thema im Bundestag auf der Tagesordnung: Die Abgeordneten beraten abschließend über zwei Anträge der CDU/CSU-Fraktion. Darin fordert die Union eine ganze Reihe von Maßnahmen. "Wir brauchen Grundlagenforschung, wir brauchen eine Aufklärungskampagne und wir brauchen vernetzte Therapiezentren", sagt der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Sepp Müller im Gespräch mit unserer Redaktion.
In der Debatte geht es um unterschiedliche Leiden, deren Symptome sich zum Teil ähneln, die aber auseinander zu halten sind:
- Long Covid bezeichnet dem Robert-Koch-Institut zufolge Beeinträchtigungen, die über die akute Corona-Krankheitsphase von vier Wochen hinausreichen.
- Post Covid: Dieser Zustand liegt vor, wenn die Beschwerden länger als 12 Wochen anhalten. Zu diesen Beschwerden kann zum Beispiel eine langanhaltende Müdigkeit gehören (Fatigue-Syndrom).
- Post-Vac-Syndrom: Hierbei handelt es sich um gesundheitliche Beeinträchtigungen, die in sehr seltenen Fällen nach einer Corona-Schutzimpfung auftreten. Die Symptome ähneln denen von Long- und Post-Covid.
- ME/CFS steht für Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue-Syndrom. Es handelt sich um eine schwere neuroimmunologische Erkrankung, bei der Patienten schwere Schmerzen, Schlaf- oder Konzentrationsstörungen entwickeln. Sie war schon lange vor der Pandemie bekannt, hat in den vergangenen Jahren aber eine verstärkte Aufmerksamkeit erfahren. Denn sie kann auch eine Folge von Post Covid sein.
Neben verstärkter Forschung, Aufklärung und besserer Behandlung fordert die Union die Bundesregierung auch auf, sich für eine Verankerung dieser Themen im Medizinstudium einzusetzen. "ME/CFS findet in der ärztlichen Ausbildung nicht genügend statt. Es treffen noch immer zu viele Menschen auf zu wenig Ärztinnen und Ärzte, die sich mit dem Thema hinreichend auskennen. Das gilt auch für Long- und Post Covid sowie das Post-Vac-Syndrom", sagt Sepp Müller.
Gesundheitsministerium: "Nehmen Anliegen sehr ernst"
Handlungsbedarf sieht auch das Bundesgesundheitsministerium mit
Allerdings sei man bereits tätig, teilen die zuständigen Ministerien mit: Insgesamt habe man für die Long-Covid-Forschung bisher 22,5 Millionen Euro bereitgestellt, so eine Sprecherin des Bundesforschungsministeriums. Das Berliner Universitätsklinikum Charité erprobt gerade ein Versorgungskonzept für ME/CFS-Betroffene. Ein wichtiges Ziel sei ein "deutschlandweites Netzwerk zur Erforschung und Sicherstellung einer bedarfsgerechten Versorgung" rund um Long-Covid und ME/CFS, teilt das Bundesgesundheitsministerium mit.
Allerdings ringt das Gesundheitsministerium eigenen Angaben zufolge um "erhebliche Mittel" aus dem Bundeshaushalt. Lauterbach selbst hat im vergangenen Januar in der "Rheinischen Post" angekündigt, in den kommenden Jahren 100 Millionen Euro in die Versorgunsgsforschung zu stecken. "Davon ist im kommenden Bundeshaushalt aber nichts zu sehen. Die Ausgaben für die Forschung in dem Bereich muss die Bundesregierung verstetigen", kritisiert CDU-Politiker Müller.
Abstimmung am Donnerstag im Bundestag
Die anderen Oppositionsparteien AfD und Linke haben sich hinter die Anträge der Union gestellt. Auch die Abgeordneten der regierenden Ampel-Fraktionen SPD, Grüne und FDP teilen die Anliegen: Das Thema sei dringend, der Handlungsbedarf groß.
Trotzdem ist zu erwarten, dass die Ampel die Anträge in dieser Woche im Bundestag ablehnt. Viele der vorgeschlagenen Maßnahmen seien unmöglich umzusetzen. Über die Aufnahme von ME/CFS in die medizinischen Lehrpläne entscheide zum Beispiel nicht der Bundesgesetzgeber, heißt es in der Stellungnahme der SPD-Fraktion im Gesundheitsausschuss.
CDU-Politiker Sepp Müller sieht die Regierung und die Ampel-Fraktionen trotzdem in der Pflicht, bei dem Thema nicht locker zu lassen. Schließlich habe man keinen fertigen Gesetzentwurf vorgelegt, sondern zunächst die Regierung zum Handeln aufgefordert. "Unsere Hand ist ausgestreckt. Die Ampel-Fraktionen können auf uns zukommen", sagt er.
Verwendete Quellen:
- Gespräch mit Sepp Müller
- Stellungnahmen des Bundesministeriums für Gesundheit und des Bundesministeriums für Bildung und Forschung
- Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG): ME/CFS: Der aktuelle Kenntnisstand
- Robert-Koch-Institut: Informationsportal des RKI zu Long COVID
- Rheinische Post: "Bedenklich, was wir bei Menschen beobachten, die mehrere Corona-Infektionen gehabt haben"
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