Friedliches Demonstrieren ist auch in der Coronakrise zulässig und wichtig. Doch dass sich unter den Protestierenden Verschwörungstheoretiker und Rechtsextreme breit machen, verurteilt die Bundesregierung. Das stößt auch anderen auf.
Die Bundesregierung hat nach den jüngsten Protesten gegen ihre Corona-Strategie das Recht auf friedliches Demonstrieren betont, aber das Verbreiten von Verschwörungstheorien verurteilt.
Sie kritisierte am Montag zugleich Übergriffe auf Polizisten und Journalisten scharf. Bundeskanzlerin
Demos ohne Rücksicht auf Abstandsregeln
"Aufeinander Rücksicht nehmen, das ist ganz wichtig", sagte sie in Berlin. Das sogenannte Corona-Kabinett beschloss ein 750-Millionen-Euro-Programm für die Herstellung und Entwicklung von Impfstoffen gegen das Coronavirus.
Am Wochenende hatten Tausende Menschen in vielen Städten Deutschlands gegen die Beschränkungen des privaten und öffentlichen Lebens im Kampf gegen die Corona-Pandemie demonstriert. Die geltenden Abstandsregeln wurden oft missachtet, Schutzmasken nicht getragen.
Wie schon in den Wochen davor waren unter den Teilnehmern unter anderem Verschwörungstheoretiker, Impfgegner, Rechtspopulisten und politisch schwer einzuordnende Menschen. Es kam zu Angriffen auf Polizisten und in einem Fall auch auf Journalisten. Schon bei früheren Protesten waren Fernsehteams attackiert worden.
Regierungssprecher
An manchen Orten kämen einige hundert, an anderen einige tausend Teilnehmer. "Daraus kann man unmöglich hochrechnen auf das Verhalten und die Überzeugungen von 83 Millionen Menschen in Deutschland."
Regierung sorgt sich um "hohe Aggressivität"
Seibert betonte: "Friedliche Demonstrationen sind auch in dieser Zeit wichtig, um auch divergierende Meinungen öffentlich darstellen zu können."
Lebhafte Debatte sei das Zeichen eines freien Landes. Etwas ganz Anderes seien abstruse Behauptungen, hasserfüllte Stereotype oder Theorien, die einen Sündenbock oder "Weltbösewicht" suchten.
"Wer das verbreitet, der will sein verschwörungstheoretisches Süppchen kochen, mit dem er offensichtlich bei anderen Gelegenheiten nicht so recht zum Zuge gekommen ist. Wer so etwas verbreitet, der will unser Land spalten und die Menschen gegeneinander aufbringen."
Auch die "hohe Aggressivität" bei manchen Demonstrationen mache der Regierung Sorgen, sagte Seibert. "Wer Polizisten oder Journalisten angreift, der kann sich nicht verstecken hinter dem Recht auf freie Meinungsäußerung und friedliche Versammlung."
Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) rief im "Handelsblatt" die Teilnehmer von Demonstrationen dazu auf, sich gut zu überlegen, in welche Gesellschaft sie sich begäben. "Mich erfüllt mit großer Sorge, wenn normale Bürger zusammen mit Rechtsextremisten, Demokratiefeinden und Verschwörungstheoretikern demonstrieren."
Perfektes Thema für Verschwörungstheoretiker
Nach den Worten des Chefs des Bundeskriminalamts, Holger Münch, haben Verschwörungstheoretiker das Thema Coronavirus "dankend aufgenommen". Mit dem Aufkommen von Demonstrationen hätten vor allem Akteure aus dem rechten Spektrum versucht, die Proteste des bürgerlichen Lagers, das von den Corona-Maßnahmen belastet sei, zu kapern, sagte Münch.
"Die Wahrscheinlichkeit, dass das zu einem wirklich ernsthaften Problem werden kann, steigt mit der Abnahme der Akzeptanz der Maßnahmen einerseits oder der Frage, ob wir ein wirklich großes wirtschaftliches Problem gerade für viele Bundesbürger bekommen."
Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, warnte: "Rechtsradikale nutzen die durch die Corona-Krise entstandenen Ängste, um antisemitische Verschwörungsmythen und ihr radikales Weltbild zu verbreiten - im Internet aber auch auf sogenannten Hygiene-Demos."
Wer daran teilnehme, müsse sich bewusst machen, an wessen Seite er demonstriere. "Mit Antisemiten und Rechtsradikalen darf man sich nicht gemein machen."
Nach einer Videoschalte des CDU-Präsidiums hieß es am Montag aus der Partei, Demonstrationen ohne Distanz untereinander und ohne Distanzierung von mitlaufenden Extremisten seien besorgniserregend.
Habeck: Mehr Transparenz bei Entscheidungen
FDP-Generalsekretärin Linda Teuteberg sagte, die Debatte über die Öffnungsstrategie sei wichtig. "Und gleichzeitig gilt für uns: Dabei ist Abstand zu halten von jeglichen Gegnern unserer freiheitlichen Demokratie, von allen obskuren Verschwörungstheoretikern."
Der Grünen-Vorsitzende Robert Habeck verlangte, den Bürgern die Gründe für Entscheidungen und die Lage besser zu erklären. Erst mit dem vergangenen Wochenende sei auf der politischen Tagesordnung angekommen, was sich "da möglicherweise wieder zusammenbraut".
AfD-Fraktionschef Alexander Gauland betonte, es gehöre zur Meinungsfreiheit, dass man auch Ansichten aushalten müsse, die einem nicht passten. "Nicht die Demonstrationen führen zur nun wieder beklagten Spaltung der Gesellschaft, sondern die pauschale Schmähung der Teilnehmer als Rechtsextremisten, Spinner, Wirrköpfe oder Verschwörungstheoretiker."
Nach der Sitzung des Corona-Kabinetts berichtete Forschungsministerin Anja Karliczek (CDU), dass der Bund rund 500 Millionen Euro in den Ausbau von Studienkapazitäten für die Impfstofferprobung und 250 Millionen Euro in das Aufstocken von Produktionskapazitäten in Deutschland investieren wolle.
Dies solle unter anderem bevorstehende Impfstoffstudien gleich mit größerer Probandenzahl ermöglichen, was aufwendig und kostenintensiv sei. (dpa/fte)
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