- Kanzlerin Angela Merkel (CDU) plädiert stets für schärfere Maßnahmen, doch die Länderchefs halten dagegen: Einen harten Lockdown nach ihren Vorstellungen gibt es bislang nicht.
- Warum aber verhängt die Kanzlerin keinen Total-Lockdown, ordnet bundesweite Ausgangssperren an und macht den öffentlichen Nahverkehr dicht?
Nächtliche Ausgangssperren, die Pflicht zum Arbeiten im Homeoffice, eine generelle Quarantäne für Menschen mit Schnupfen, strengere Kontaktbeschränkungen schon deutlich früher - wenn es nach
Ob beim Corona-Gipfel mit den Länderchefs oder in internen Präsidiumssitzungen der CDU: Stets plädierte die Kanzlerin für härtere Maßnahmen. Warum aber setzt die Kanzlerin einen Total-Lockdown nicht durch, legt den öffentlichen Nahverkehr still?
Im Infektionsschutzgesetz nicht erwähnt
"Die Bundeskanzlerin kann keinen Total-Lockdown anordnen", sagt Politikwissenschaftler Klaus Stüwe von der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt. Das Amt des Bundeskanzlers werde im Infektionsschutzgesetz nicht einmal erwähnt. Zwar könne die Kanzlerin die Pandemiebekämpfung koordinieren und Anregungen machen, sie habe aber keine Art "Notstandsrechte".
"Die Bundesregierung hat zwar im Rahmen des Infektionsschutzgesetzes gewisse Kompetenzen, aber hier ist in erster Linie der Gesundheitsminister zuständig, nicht die Kanzlerin", erklärt Stüwe.
Und der Gesundheitsminister heißt bekanntermaßen
Regieren mit Verordnungen
Welche Kompetenzen aber hat die Bundesregierung überhaupt? "Wenn der Deutsche Bundestag eine 'epidemische Lage von nationaler Tragweite' feststellt, dann wird die Bundesregierung damit ermächtigt, zum Beispiel Verordnungen zur Sicherstellung der Versorgung mit Impfstoffen zu erlassen", erläutert Stüwe.
Die Verordnungen selbst würden also nicht im förmlichen Gesetzgebungsverfahren vom Bundestag verabschiedet, nicht einmal der Bundesrat müsse in diesem Fall beteiligt werden.
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Die FDP-Fraktion hatte vor diesem Hintergrund Ende Januar eine Stärkung des Parlaments gefordert. Aktuell würden Einschränkungen des Grundrechts über Verordnungsermächtigungen und damit durch die Exekutive vorgenommen, heißt es in einem Gesetzentwurf der Fraktion.
Die Ergebnisse der Bund-Länder-Runden könnten nur nachvollzogen werden. Die Sitzungen sind nicht öffentlich, vorab sind die Pläne intransparent. Die FDP fordert deshalb, dass die Bundesregierung verpflichtet wird, eine Zustimmung des Bundestages einzuholen, wenn sie beabsichtigt, im Rahmen der Bund-Länder-Koordinierung bundeseinheitliche Maßnahmen zu treffen.
Kritik an der Bundesregierung
Zustimmung zu der Initiative kam beispielsweise von der Linksfraktion, die mit einer höheren Akzeptanz der Beschlüsse in der Bevölkerung bei mehr Transparenz argumentierte.
Ganz außen vor ist der Bundestag allerdings nicht: Denn die Bundesregierung ist verpflichtet, den Bundestag regelmäßig mündlich über die Entwicklung der epidemischen Lage zu informieren. Außerdem kann sich der Bundestag in Form von Regierungsbefragungen und Fachdebatten in den Sitzungswochen beteiligen.
"Dies ist dann insbesondere für die Opposition eine Gelegenheit, die Bundesregierung zu kontrollieren und die Verordnungen zu kritisieren", so Stüwe.
In einer Aussprache über den Stand der Pandemie und den Beginn der Impfungen Mitte Januar rügten Vertreter der Opposition beispielsweise, die Bundesregierung habe in der Krise falsche oder fragwürdige Entscheidungen getroffen und zuletzt beim Start des Impfprogramms wieder Fehler gemacht.
Ministerpräsidentenkonferenz ist kein offizielles Gremium
Aktuell stehen aber nicht Debatten im Bundestag im medialen Fokus, sondern vor allem die Ministerpräsidentenkonferenz. "Die Ministerpräsidentenkonferenz ist kein offizielles Gremium. Sie ist vom Grundgesetz gar nicht vorgesehen, sondern hat sich in der politischen Praxis als ein gemeinsames Koordinierungsinstrument von Bund und Ländern gebildet", merkt Stüwe an.
Auch in dieser Woche kommen Kanzlerin und Länderchefs in jener Konstellation wieder zusammen. Denn am Sonntag (14. Februar) endet der derzeit geltende Lockdown samt seiner Maßnahmen wie beispielsweise der Shutdown des Einzelhandels, Kontaktbeschränkungen oder die Teil-Schließung von Schulen und Kindergärten.
"Die Regierungschefs von Bund und Ländern informieren sich hier gegenseitig und stimmen sich, soweit dies möglich ist, über ein gemeinsames Vorgehen bei bestimmten Fragen ab", erklärt Stüwe.
Verfassungsrechtliche Zuständigkeiten oder gar eigene Kompetenzen habe die Ministerpräsidentenkonferenz aber nicht. Wenn sie Beschlüsse fasse, müssten diese erst von den 16 Ländern beziehungsweise vom Bund umgesetzt werden.
"Bundeskanzlerin kann nur zuschauen"
"Dabei ist es durchaus möglich, dass mehrere Länder ausscheren oder sich nicht an Abmachungen halten", sagt der Experte. Die Bundeskanzlerin könne dann nur zuschauen - sie habe im Zuständigkeitsbereich der Bundesländer keinerlei Eingriffsmöglichkeiten.
Im Zuständigkeitsbereich der Länder liegt im föderalen deutschen politischen System beispielsweise die Bildungspolitik, auch der Katastrophenschutz ist vorwiegend Aufgabe der Länder.
"Das wichtigste Thema auf der Tagesordnung wird natürlich die mögliche Verlängerung des Lockdowns sein", sagt Stüwe über das kommende Treffen. Auch um die Frage, wie man mehr Berechenbarkeit und Verlässlichkeit bei den Impfstofflieferungen erreichen könne, wird seiner Meinung nach heiß diskutiert werden.
Begrenzte verfassungsrechtliche Rolle
Laut ARD-Deutschland lehnt die Bevölkerung Sonderrechte für gegen Corona-Geimpfte durch alle politischen Lager ab. In puncto Lockdown-Verlängerung und Beschleunigung der Impfkampagne herrscht jedoch Uneinigkeit. Sowohl zwischen den politischen Parteien als auch den Bundesländern.
Dass Merkel härtere Maßnahmen nicht durchsetzt, hat also einen einfachen Grund: Die verfassungsrechtliche Rolle der Bundeskanzlerin ist begrenzt.
"Sie hat auch in einer Krisensituation - wenn man einmal vom Verteidigungsfall absieht - keine Notstandsbefugnisse", sagt Stüwe. In anderen Ländern ist das anders.
In den USA ist der Präsident beispielsweise mit deutlich weitreichenderen Befugnissen ausgestattet. Denn während es in Deutschland mit Bundeskanzler und Bundespräsident zwei höchste Ämter gibt, ist der amerikanische Präsident Staatsoberhaupt und Regierungschef zugleich.
"Nicht Merkels politischer Stil"
"Zudem ist unsere föderative Ordnung so gestaltet, dass die Kompetenzen im Bereich des Gesundheitsschutzes zwischen dem Bund und den Ländern aufgeteilt sind", verdeutlicht Stüwe. Angela Merkel agiere also keineswegs nur taktisch, wenn sie nicht härtere Maßnahmen anordnet.
"Sie darf das gar nicht tun. Dies entspräche im Übrigen auch nicht ihrem politischen Stil", meint Stüwe. Sie sei nie eine Regierungschefin gewesen, die auf ihre Richtlinienkompetenz pochte oder gar autoritär aufgetreten sei.
"Angela Merkel ist vielmehr eine Koordinationskanzlerin: Verhandeln und Verständigung herbeiführen ist ihre große Stärke. Sonst wäre sie nicht seit 16 Jahren im Amt geblieben", so der Experte.
Verwendete Quellen:
- WAZ: Jens Spahn spricht über eigene Fehler - und Lockdown-Dauer
- Bundestag: Kritik an FDP-Vorstoß für mehr Parlamentsrechte in Pandemie-Zeiten vom 28.01.2021
- Bundestag: Opposition kritisiert Corona-Krisenmanagement der Bundesregierung vom 13.01.2021
- ARD Deutschlandtrend: Mehrheit gegen Erleichterungen für Geimpfte (Stand: 04.02.2021)
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