• Israel hat am Dienstag so viele Neuinfektionen wie noch nie seit Beginn der Corona-Pandemie vermeldet.
  • Zugleich fällt auf, dass aktuell viele der dort Hospitalisierten bereits geimpft sind.
  • Was besorgniserregend klingt, erweist sich aber bei genauerem Hinsehen eher als Zeichen dafür, wie gut die Impfstoffe wirken.
Eine Analyse

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Die Corona-Pandemie hat Israel wieder voll im Griff. Angesichts der steigenden Infektionszahlen beschloss die EU am Montag die Wiedereinführung von Einreisebeschränkungen.

Am Dienstag vermeldete das Gesundheitsministerium in Jerusalem einen neuen Höchststand bei der Zahl der täglichen Corona-Neuinfektionen: Binnen 24 Stunden wurden fast 11.000 Neuinfektionen registriert. Mit 185 Toten in der vergangenen Woche starben in Israel in etwa genauso viele Menschen am Coronavirus wie in Deutschland – bei neunmal weniger Einwohnern.

"Ich erwarte, dass die Morbidität weiter ansteigen wird, aber ich hoffe, dass es sich nicht um einen neuen Ausbruch handelt", sagte der Direktor des israelischen Gesundheitsministeriums, Nachman Ash, dem TV-Sender Keshet 12.

Israel wurde schon als "Impf-Weltmeister" gesehen – wie ist der aktuelle Anstieg der Zahlen zu erklären? Und warum ist der Anteil der Geimpften unter den Hospitalisierten so hoch?

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Absturz des Impf-Weltmeisters Israel?

Israel war eines der Länder, in denen die Impfungen weltweit als erstes begannen. Grundlage war ein Abkommen mit den Pharmakonzernen Pfizer und Biontech, die Israel rasch mit Millionen Impfdosen belieferten und dafür die Zusicherung erhielt, Daten zur Wirksamkeit der Impfung zur Verfügung gestellt zu bekommen.

Die Infektions- wie auch die Hospitalisierungszahlen sind aktuell vor allem wegen der ansteckenderen Delta-Virusvariante wieder stark angestiegen. Die Regierung bietet deswegen – und weil Studien zufolge die Wirksamkeit der Impfung mit der Zeit etwas nachlässt – inzwischen allen Einwohnern ab zwölf Jahren eine Auffrischungsimpfung an. Bereits seit Ende Juli verabreicht das Land als erstes weltweit dritte Impfungen gegen das Coronavirus, über zwei Millionen Menschen sind bereits dreifach geimpft.

Dennoch: Die Impfquoten sind mit denen in Deutschland vergleichbar. Etliche Länder, darunter Länder wie Portugal, Island, Spanien oder Kanada haben den einstigen "Impf-Weltmeister" mittlerweile überholt. Bislang sind rund 60 Prozent der Israelis vollständig gegen das Coronavirus geimpft (Deutschland: 60,6 Prozent), darunter rund 80 Prozent der Erwachsenen. In der Bundesrepublik sind 64,6 Prozent der über 18-Jährigen und 84 Prozent der über 60-Jährigen geimpft.

Schulen machen wieder auf – trotz Zehntausender infizierter Kinder

Die Zahl der aktiven Corona-Fälle hat derzeit in Israel mit etwa 83.000 die gleiche Größenordnung wie auf dem Höhepunkt der dritten Welle (damals waren es rund 88.000). Die Zahl der Patienten, die auf der Intensivstation behandelt werden müssen oder die sogar an COVID-19 sterben, ist jedoch aktuell wesentlich geringer. Zudem wird anders als noch im Winter und im Frühjahr mittlerweile deutlich mehr getestet, dadurch werden auch mehr Fälle erfasst.

Und: Von den 83.000 aktiven Fällen sind laut "Jerusalem Post" 35.000 Schulkinder – also größtenteils Ungeimpfte. Für Kritik sorgt, dass die israelische Regierung dennoch an ihrem Plan festhält, dass die 2,4 Millionen Schüler ab Mittwoch wieder zur Schule gehen sollen.

Fakt ist aber auch: Ein Großteil der in Israel Hospitalisierten ist geimpft. Mitte August betrug ihr Anteil sogar 60 Prozent, mittlerweile sind aber die Ungeimpfen in der Mehrzahl. Wirken also die Impfstoffe nicht? Nein, das Gegenteil ist der Fall, wie Experten betonen.

Das "Simpson-Paradoxon" in Israel

Der hohe Anteil an Geimpften in israelischen Krankenhäusern ist "eine natürliche Folge, wenn man den am meisten gefährdeten Menschen Vorrang bei der Impfung einräumt. Geimpfte Personen werden dann unverhältnismäßig stark aus der gefährdeten Bevölkerung stammen", erklärt der US-Mathematiker Jordan Ellenberg in einem Gastbeitrag für die "Washington Post".

Wie gut sich dieses sogenannte "Simpson-Paradoxon" in Israel beobachten lässt, hat Jeffrey Morris, Professor für Biostatistik an der Perelman School of Medicine der University of Pennsylvania, in einem ausführlichen Blogbeitrag bereits Mitte August vorgerechnet.

Im Kern geht es in seiner Analyse um das große Altersgefälle bei den Impfraten in Israel. (Gleiches gilt im Übrigen auch für Deutschland.) Zugleich haben Ältere von Natur aus ein höheres Risiko, bei einer Erkrankung im Krankenhaus behandelt zu werden. Wenn nun nur die rohen, sprich ungewichteten, Zahlen verwendet werden, sehe die Wirksamkeit von Impfstoffen bei hohen Impfquoten scheinbar niedrig aus, schreibt der Datenspezialist.

Der Grund dafür ist reine Wahrscheinlichkeitsrechnung: Je mehr Menschen geimpft sind, desto höher ist auch der Anteil der geimpften Personen, die hospitalisiert werden. Bei einer fiktiven Impfquote von 100 Prozent wären auch 100 Prozent der Hospitalisierten geimpft – auch wenn die absoluten Zahlen nur sehr gering sind. Denn auch eine vollständige Impfung bietet keinen hundertprozentigen Schutz. Das heißt, selbst bei einer Impfquote von 100 Prozent werden Menschen an Corona erkranken.

Wie gut eine Impfung vor einem Krankenhausaufenthalt wegen COVID-19 schützt

Morris hat ausgerechnet, wie gut Geimpfte in Israel vor einem Krankenhausaufenthalt wegen COVID-19 geschützt sind. Dafür verglich er die Zahlen der hospitalisierten Geimpften und Ungeimpften und setzte sie ins Verhältnis zu ihrem tatsächlichen Bevölkerungsanteil.

Demnach war bei Geimpften die Wahrscheinlichkeit 67,5 Prozent geringer, schwer an COVID-19 zu erkranken. Mit Blick auf die unterschiedlichen Impfquoten gerade bei über 50-Jährigen, verringerte sich Morris zufolge die Wahrscheinlichkeit in dieser Altersgruppe sogar um 85,2 Prozent.

Morris verzeichnete zudem zum Zeitpunkt seiner Erhebung in Israel "praktisch keine schweren Durchbruchsinfektionen bei Personen ohne signifikante Vorerkrankungen".

Das Fazit des Biostatistikers: "Unterm Strich gibt es sehr deutliche Hinweise darauf, dass die Impfstoffe eine hohe Wirksamkeit zum Schutz vor schweren Erkrankungen haben, sogar bei der Delta-Variante."

Verwendete Quellen:

  • Jerusalem Post: Israel registers almost 11,000 COVID cases, marking new record
  • Der Spiegel: Die irreführende Statistik der geimpften Krankenhauspatienten
  • Washington Post: Coronavirus vaccines work. But this statistical illusion makes people think they don't.
  • Covid-19 Data Science: Israeli data: How can efficacy vs. severe disease be strong when 60% of hospitalized are vaccinated?
  • Focus Online: Immer mehr Geimpfte in Kliniken: Was Israels Impf-Paradoxon für uns bedeutet
  • Meldung der Nachrichtenagentur AFP

Israel: Über 60-Jährige sollen dritte Corona-Impfung bekommen

Angesichts steigender Infektionszahlen will Israel als erstes Land über 60-Jährigen eine dritte Impfdosis gegen das Coronavirus geben. Das teilte der Regierungschef Naftali Bennett am Donnerstagabend mit.
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