• Die Zahl der PCR-Tests bringt hierzulande viele Medizin-Labore an ihre Grenzen. Einige können 24- und selbst 48-Stunden-Fristen nicht mehr einhalten.
  • Das verlängert Quarantänen, aber auch das Infektionsgeschehen wird unklarer.
  • Können andere Länder in Europa wirklich mehr PCR-Tests verarbeiten? Ein Blick auf die Zahlen.
Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen der Autorin und des zu Wort kommenden Experten einfließen. Hier finden Sie Informationen über die verschiedenen journalistischen Textarten.

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Der Berufsverband der Labore in Deutschland versendet jede Woche eine Mitteilung zu den PCR-Tests in der Corona-Pandemie - zuletzt klang sie besonders eindringlich. "Wir brauchen jetzt Lösungen zur Vermeidung der Überlastung der Labore", sagte der stellvertretende Vorsitzende der Akkreditierten Labore in der Medizin (ALM), Jan Kramer.

Die Betonung liegt auf "jetzt", denn mit mehr als zwei Millionen untersuchten PCR-Proben pro Woche kommen die Labore recht nah an die rund 2,8 Millionen heran, die als maximale Kapazität vom Robert-Koch-Institut (RKI) angegeben werden. Und der Höhepunkt der Neuinfektionszahlen scheint noch lange nicht erreicht.

Sprecher Laborverbund: "Wir geraten in eine kritische Situation"

In manchen Laboren ist die Grenze zur Überlastung aber jetzt schon erreicht, wie uns auch der Sprecher des Laborverbundes Bioscientia, Hendrik Borucki, bestätigt. "Wir geraten gerade in eine kritische Situation", sagte er im Gespräch mit unserer Redaktion.

An einigen Standorten der insgesamt 20 Labore, die Bioscientia deutschlandweit betreibt und die zusammen rund 25.000 PCR-Proben pro Tag verarbeiten können, könne man nicht mehr garantieren, dass die Proben innerhalb von 24 Stunden ausgewertet werden. Vereinzelt seien schon 48 Stunden nicht mehr zu halten. "Das war vergangene Woche noch ganz anders", sagt Borucki.

Die Steigerungsraten bei den eingereichten PCR-Tests sind enorm: In der zweiten Januarwoche wurden in Deutschland rund 40 Prozent mehr Proben untersucht als in der Woche davor. Auch die Positivrate steigt stark, sie liegt nun bei knapp 25 Prozent. "Wenn das so weitergeht und die Positivrate vielleicht demnächst auf 30 bis 40 Prozent steigt, bräuchten wir 250.000 bis 300.000 PCR-Tests, um 100.000 Neuinfektionen zu messen", sagt Borucki.

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Längere Quarantäne belastet Krankenhäuser zusätzlich

Die 100.000er-Marke pro Tag wurde bereits mehrmals überschritten. Nach diesem Wochenende liegt die Zahl der Neuinfektionen zwar "nur" bei 63.393 (Stand: 24. Januar 2022), was aber laut RKI 86 Prozent mehr sind als vor einer Woche. Es ist zu erwarten, dass auch diese Woche wieder über 100.000 Neuinfektionen pro Tag gemeldet werden, auch die Positivrate wird wohl weiter steigen.

Alle Fälle zu erfassen, wird damit illusorisch. Das RKI schreibt deswegen auch in seinem jüngsten Wochenbericht, dass es künftig neben der Inzidenz weitere Kennzahlen unter anderem aus Arztpraxen zurate ziehen wird, um die Verbreitung des Virus in der Bevölkerung besser einschätzen zu können.

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Offenbar rechnet also auch das RKI damit, dass die PCR-Tests das Geschehen nicht mehr werden abbilden können - oder es schon jetzt nicht mehr können. Für die Pandemie bedeutet das, dass ein unvollständiges oder stark verzögertes Bild des Infektionsgeschehens entsteht. Für Einzelne kann es bedeuten, dass sie etwa eine Reise nicht antreten können, weil das negative Testergebnis nicht rechtzeitig da ist. Oder - deutlich gravierender - dass ein geimpfter Infizierter seine Quarantäne nicht vorzeitig beenden kann, obwohl er oder sie vielleicht keine Symptome mehr hat. Diese Person fehlt zum Beispiel bei der Arbeit im Krankenhaus, bei der Polizei, bei der Feuerwehr oder eben im Labor.

Mehr Schnelltests bedeuten Entlastung - aber auch mehr Risiko

Damit solche Bereiche nicht kollabieren, sollen PCR-Proben jetzt nach Berufsgruppen priorisiert werden. Menschen, die bei ihrer Arbeit Kontakt mit vulnerablen Menschen haben, also zum Beispiel die Belegschaft von Krankenhäusern und Pflegeheimen, sollen das im Testzentrum angeben. Ihre Proben werden dann bevorzugt analysiert.

Hendrik Borucki vom Bioscientia-Verbund hält das für eine gute Maßnahme, die allerdings nicht automatisch zu einer Entlastung der Labore führen wird. Was hingegen zu einer Entlastung führen könnte, ist die Möglichkeit, dass zum Freitesten aus der Quarantäne auch bestimmte Antigen-Schnelltests verwendet werden können - es also nicht immer ein PCR-Test sein muss.

"Momentan merken wir da aber noch keine Entlastung", sagt Borucki, der außerdem zu bedenken gibt, dass die Schnelltests geringe Viruslasten nicht so zuverlässig nachweisen wie PCR-Tests. Das Risiko besteht, dass jemand, der sich mit einem Schnelltest freigetestet hat, noch kleine Virusmengen in sich trägt. Wer mit vulnerablen Gruppen zu tun hat, sollte dieses Risiko eigentlich nicht eingehen.

Dennoch: Die Labore brauchen Entlastung. Und die Schnelltest-Regelung wird wohl ein paar Hunderttausend PCR-Tests weniger pro Woche bringen.

Einfach weiter Material und Personal aufzustocken, ist für die Labore nämlich nicht so einfach möglich. Die ALM schreiben in ihrer Pressemitteilung, dass der Markt für Fachkräfte quasi leergefegt sei; und was Geräte angeht, sagt Hendrik Borucki: "Leistungsfähige PCR-Maschinen sind ein rares Gut auf dem Weltmarkt und in manchen Laboren ist es auch eine Platzfrage, ob da noch eine Maschine mehr rein kann."

EU-Zahlen zu Testkapazitäten nur bedingt vergleichbar

Dass andere Länder in Europa erheblich mehr Kapazitäten haben sollen, wie teilweise berichtet wird, stellt Borucki dabei infrage. Zwar wies zum Beispiel Frankreich für die zweite Januarwoche 11,3 Millionen Tests aus. Allerdings waren 70 Prozent davon Antigen-Schnelltests. Die Zahl der PCR-Tests würde damit bei 3,4 Millionen liegen - was immer noch rund 600.000 mehr wären als in Deutschland maximal möglich. Dennoch ist zu vermuten, dass auch die PCR-Testkapazität in Frankreich mit den aktuell mehr als 360.000 neuen Fällen überfordert ist.

Was die Zahlen aus Österreich und Großbritannien betrifft, weist Borucki darauf hin, dass in diesen Ländern viel im Pool getestet wird. Es ist durchaus möglich, dass etwa ein Pool aus zehn Tests, der natürlich weniger aufwendig zu überprüfen ist als zehn Einzeltests, als zehn Tests gezählt wird. Damit wären die Zahlen nicht mehr ohne Weiteres vergleichbar.

Das betont auch das Bundesministerium für Gesundheit (BMG). "Im Gegensatz zu den anderen Ländern werden mit der Erfassung der SARS-CoV-2-Testzahlen durch das RKI ausschließlich Daten über PCR-Testungen und Kapazitäten der Labore erfasst und zusammengeführt", teilte das BMG auf Anfrage am Montag mit. Es komme auf EU-Ebene daher zu einer Untererfassung der tatsächlich in Deutschland durchgeführten SARS-CoV-2-Tests.

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Verwendete Quellen:

  • Telefoninterview mit dem Sprecher des Laborverbundes Bioscientia, Dr. Hendrik Borucki
  • Bundesministerium für Gesundheit (BMG) per Mail auf Anfrage am 24. Januar 2021
  • Bericht des Robert Koch-Instituts zur PCR-Testzahlen und -Kapazitäten (Stand: 20. Januar 2022)
  • Aktueller Wochenbericht des Robert Koch-Instituts (Stand: 20. Januar 2022)
  • Pressemitteilung der Akkreditierten Labore in der Medizin (ALM) vom 18. Januar 2022
  • dpa-Meldung vom 19. Januar 2022 zur Priorisierung bei PCR-Tests
  • Liste des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfARM), zugelassen Antigen-Schnelltests für Testzentren
  • Testzahlen aus Großbritannien und Frankreich
  • Reuters-Graphik für Frankreich
  • ORF-Bericht über Gurgeltests
  • ZDF-Bericht zur PCR-Test-Situation
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