- Wer vollständig geimpft ist, kann andere wohl nur noch mit einem "sehr geringen" Risiko infizieren. Daher steht die Aufhebung der Einschränkungen für Geimpfte im Raum.
- Shoppen oder Friseur ohne Test – das wäre dann für Teile der Bevölkerung wieder möglich. Viele Nicht-Geimpfte empfinden das als unfair.
- Gerichte könnten bald eine Entscheidung fällen – gelöst ist der Konflikt damit aber nicht.
- Zwei Experten kritisieren die Politik: Sie drücke sich vor ihrer Verantwortung.
Der Impfgipfel am Montag hat nur in wenigen Punkten Klarheit gebracht: Fest steht nun zwar, dass die Impfreihenfolge spätestens im Juni aufgehoben werden soll, unklar ist aber: Wann können Geimpfte ihre Freiheitsrechte wieder ausüben – also beispielsweise ohne Test zum Friseur oder shoppen gehen, ein Restaurant oder Konzert besuchen und wieder mehr Kontakte haben?
Laut Gesundheitsminister
"Wenn ganz klar feststeht, dass von Geimpften keine Gefahr mehr ausgeht, dass sie nicht infektiös sind, dann kann der Staat auch nicht in deren Grundrechte eingreifen", hatte Bundesjustizministerin
Einschränkungen nicht mehr verhältnismäßig
Laut Robert-Koch-Institut ist das Risiko, dass Geimpfte das Coronavirus übertragen, "sehr gering". Das macht die Grundrechtseinschränkungen für diese Gruppe aus juristischer Sicht vermutlich nicht mehr verhältnismäßig. Das müssen sie aber sein und dazu auch einem legitimen öffentlichen Ziel dienen, das sich nicht durch mildere Mittel erreichen ließe.
Doch die juristische Frage ist nur die eine Seite der Medaille. Viele jüngere Menschen haben jetzt das Gefühl, dass sie sich aus Solidarität mit den Älteren monatelang eingeschränkt haben und nun auch noch beim Impfen später dran und damit von einer frühzeitigen Normalisierung ausgeschlossen sind.
Jede Menge Konfliktpotenzial also? "Das Potenzial existiert", meint Huster. "Man wird daher gut kommunizieren müssen, dass es nicht um ein Verteilungsproblem geht, das heißt, den noch nicht Geimpften geht es nicht schlechter, wenn die Geimpften ihre Rechte wieder wahrnehmen können", sagt er.
Man hätte das jetzige Problem gegebenenfalls bereits als Argument gegen die Priorisierung vorbringen müssen, meint der Experte. "Darüber haben wir ja aber leider politisch nie diskutiert, sondern es an die Ständige Impfkommission delegiert", sagt Huster.
Die Politik drückt sich vor der Verantwortung
Das Problem sieht auch Politikwissenschaftler Frank Decker: "Indem die Politik sich zurücknimmt, versucht sie den Gerichten den schwarzen Peter zuzuschieben", sagt er. Die Politik drücke sich um das konflikthafte Thema, weil sie wisse, dass solche Fragen ohnehin vor Gericht landeten.
"Dass verfassungsgerichtliche Entscheidungen anstelle politischer Entscheidungen treten, ist eine allgemeine Tendenz in unserem Regierungssystem", so Decker. Das jetzige Kalkül der Politik sei deshalb, Verantwortung abzuschieben. "Dann kann man später auch einfach sagen: Wir wollten ja eine restriktivere Politik, aber Gerichte haben uns einen Knüppel zwischen die Beine geworfen", sagt Decker.
Er ist sich deshalb sicher: "Man kann und sollte die juristische Situation und Solidarität nicht gegeneinander ausspielen." Solidarität sei dabei auf beiden Seiten gefragt. "Menschen, die bestimmte Freiheitsrechte wieder ausüben können, sollten sie nicht unbedingt bis zum Letzten ausreizen und aggressiv einfordern", meint der Experte.
Ähnlich, wie es auf der Autobahn erlaubt sei, mit 200 km/h zu fahren, man es deswegen aber nicht machen müsse – durch das Gebot der Rücksichtnahme und Solidarität.
"Es gibt aber auch eine Solidaritätspflicht der Nicht-Geimpften gegenüber den Geimpften, ihnen diese Rechte nicht abzusprechen oder zu neiden", sagt Decker. Wenn man beispielsweise hinnehme, dass Geimpfte wieder Restaurants besuchen dürften, zeige man sich auch solidarisch mit den Restaurantbesitzern, die wieder etwas verdienen können.
Wie groß ist das Spaltungspotenzial?
Das Spaltungspotenzial hält Decker allerdings für überschätzt: "Wir verschärften einen Konflikt, der in Wirklichkeit gar nicht so groß ist. Es geht um einen Zeitraum von zwei bis maximal sechs Monaten." Aktuell haben knapp 16,6 Millionen Menschen in Deutschland die erste Impfdosis bekommen, etwa sechs Millionen sind bereits vollständig geimpft. Das sind 23,9 beziehungsweise 7,3 Prozent der Bevölkerung. Die Politik verspricht: Im Sommer soll jedem in Deutschland ein Impfangebot gemacht werden.
"Man muss auch daran denken, dass es praktische Hürden bei den Freiheitsrechten für Geimpfte gibt", so Decker. Geimpfte könnten ihre Freiheitsrechte also vermutlich gar nicht so ausüben, wie sie es gerne würden – weil andere Teile der Bevölkerung noch nicht geimpft seien.
"Wenn Geimpfte von den nächtlichen Ausgangsbeschränkungen ausgenommen werden, wie es jetzt geplant ist, müssen sie sich trotzdem gefallen lassen, dass die Polizei sie kontrolliert“, erinnert Decker. "Man kann ihnen auch weiter zumuten, eine Maske zu tragen", sagt er.
Sein Appell: "Beide Seite daran erinnern, dass es sich um einen kurzen Zeitraum handelt und das Ganze etwas gelassener betrachten." Auch die Politik nimmt er in die Pflicht: "Sie muss an die Menschen appellieren, sich solidarisch zu verhalten und auch Erwartungen an die Bevölkerung formulieren." Akzeptanz könne man nicht verordnen, man müsse die Menschen überzeugen – und das gelingt nur durch eine gute Kommunikation.
Er ergänzt aber auch: "Man kann nicht einfach sagen, die Politik ist schuld. Wenn es schiefläuft mit der Pandemiepolitik, liegt es vielleicht auch daran, dass nicht alle mitmachen."
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Verwendete Quellen:
- Robert Koch-Institut: Digitales Impfquotenmonitoring zur Covid-19-Impfung. Stand 27.04.2021
- Bundesgesundheitsministerium: Zahlen, Fragen, Antworten zur Covid-19-Impfung
- Tagesschau.de: Freiheiten für Geimpfte. Eine Gratwanderung. 27.04.2021
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