- Tschechien ist stark von der Corona-Pandemie betroffen.
- In Sachsen und Bayern wächst die Angst vor dem "gefährlichen Nachbarn".
- Auf Berufspendler aus Tschechien kann man aber kaum verzichten.
Jeden Tag fahren Tausende Berufspendler aus Tschechien nach Sachsen und Bayern - auch in der Pandemie. Sie arbeiten als Ärzte und Pfleger im Gesundheitswesen, als Handwerker, bei der Müllabfuhr oder bei Reinigungsdiensten. Doch was wäre, wenn Deutschland seine Grenzen für die Arbeitskräfte aus dem Corona-Hochrisikogebiet Tschechien auf einmal ganz schließen würde?
"Daran möchte ich gar nicht denken", sagt Jan Triska, der im Personalwesen eines deutschen Krankenhauses arbeitet und sich in einer Pendlervereinigung engagiert. "Das wäre eine Tragödie, wenn es dazu kommen sollte." Die Grenzgänger, so berichtet der 34-Jährige aus Aussig an der Elbe (Usti nad Labem), wären in Existenznöten. Viele könnten nicht einfach umziehen - sie hätten Familie und Kinder.
Auch für die Unternehmen und sozialen Einrichtungen in Deutschland sind die Pendler unentbehrlich. Das Gesundheitssystem in Sachsen würde kollabieren, warnt Triska, der als Personalexperte sowohl die Arbeitnehmer- als auch die Arbeitgeberperspektive kennt.
"Wenn man am Klinikum Pirna alle Ärzte, Schwestern und Pfleger aus Tschechien herausrechnen würde, könnte man das Krankenhaus gleich zumachen", sagt Lars Fiehler von der Industrie und Handelskammer (IHK) Dresden.
Homeoffice für viele Pendler nicht möglich
Tatsächlich sind viele Branchen in Sachsen und Bayern auf die Arbeitskräfte aus Tschechien angewiesen. Ganz vorn steht das Gesundheitswesen inklusive Pflege. Aber auch Hotellerie, Gastronomie, Tourismus, Einzelhandel, Industrie oder die Logistikbranche bauen auf tschechische Mitarbeiter.
Vor der Krise lag die Zahl der Pendler nach Angaben der IHK in Sachsen bei über 10.000, inzwischen dürfte es etwa die Hälfte sein. Nach Bayern würden normalerweise mehr als 23.000 Tschechen pendeln. "Momentan können wir davon etwa zehn Prozent abziehen, aber die allermeisten kommen nach wie vor", berichtet Richard Brunner, Leiter der IHK im oberpfälzischen Cham.
Homeoffice sei für Lastwagenfahrer oder Handwerker nun einmal nicht möglich, sagt Brunner. Der Chamer Landrat Franz Löffler (CSU) erklärt, viele Unternehmen in der Grenzregion hätten noch dazu einen Zweigbetrieb in Tschechien. Für sie wäre eine Grenzschließung eine Katastrophe. "Wir haben uns zu einem Wirtschaftsraum entwickelt, das gilt es nicht zu gefährden", warnt Löffler.
Grenzregion ist Brennpunkt der Corona-Pandemie
Doch gleichzeitig wächst in Deutschland die Angst vor dem "gefährlichen Nachbarn" Tschechien. Seit Beginn der Pandemie sind im östlichen Nachbarland mehr als 16.000 Corona-Infizierte gestorben. Im europaweiten Vergleich liegt Tschechien laut der EU-Agentur ECDC mit knapp 982 Neuinfektionen binnen 14 Tagen je 100.000 Einwohner im Spitzenfeld. In Deutschland lag dieser Wert zuletzt bei knapp 266 (Stand: 28. Januar).
Gerade die bayerische Grenzregion zu Tschechien gilt als ein Brennpunkt der Corona-Pandemie in Deutschland. Unter den zehn Kommunen mit den höchsten Inzidenzwerten waren laut Robert Koch-Institut zu Wochenbeginn vier bayerische Kreise - sie grenzen alle an Tschechien. Die Behörden schließen eine Zusammenhang zur Grenznähe nicht aus.
In Sachsen müssen Pendler deshalb zweimal die Woche ein negatives Corona-Testergebnis vorlegen, in Bayern sogar alle 48 Stunden. Für die Grenzgänger ist das eine große Verunsicherung - sie kämpfen teilweise mit Sprachproblemen, müssen mehr Zeit für die ohnehin meist lange Fahrt zur Arbeit einplanen und mit dem Risiko leben, im Zweifelsfall sofort wieder nach Hause geschickt zu werden. "Wir wissen von ersten Kündigungen, weil die Mitarbeiter das nicht mehr ertragen", erzählt Brunner. Außerdem würden sich deutlich mehr Pendler krankmelden.
Um ihnen zumindest die Wartezeiten an der Grenze zu ersparen, testen viele deutsche Unternehmen ihre Mitarbeiter inzwischen selbst. Doch dafür braucht es Fachpersonal und viel Geld. Nur wenige Landkreise wie Hof oder Wunsiedel im Fichtelgebirge stellen Schnelltests kostenlos zur Verfügung und bieten den Firmen Schulungen an. "Wir arbeiten mit Hochdruck an unserer Lage und weiten an vielen Stellen Tests aus. Die Mutationen machen uns natürlich vorsichtiger", erklärt Peter Berek, Landrat in Wunsiedel im Fichtelgebirge (CSU).
Theorien, dass die Grenzgänger aus Tschechien für die hohen Fallzahlen in weiten Teilen Ostdeutschlands und Ostbayerns verantwortlich sein könnten, stoßen bei Experten indes auf Skepsis. "Mir scheint das keine reale Möglichkeit zu sein", sagt der Leiter des Biologie-Zentrums der Akademie der Wissenschaften in Prag, Professor Libor Grubhoffer.
Die Pendler hielten sich überwiegend im unmittelbaren Grenzgebiet auf. "Es ist zweifellos möglich, dass sie an einer sporadischen Einschleppung der Infektion beteiligt sind, aber es dürfte kein Krankheitsimport von grundlegender epidemiologischer Bedeutung sein", erläutert Grubhoffer.
Kleiner Grenzverkehr ist untersagt
Für die Einstufung Tschechiens als Hochrisikogebiet durch die Bundesregierung zeigt der Wissenschaftler dennoch Verständnis. Er sehe darin eine "Abwehrreaktion" gegenüber einem Land, das die Pandemie schlecht bewältigt habe. Dafür sei die Inkompetenz der staatlichen Stellen verantwortlich. "Die Situation wird gerettet durch unser aufopferungsvolles und fähiges Gesundheitspersonal."
Wer kein Pendler ist, steht schon länger vor mehr oder weniger geschlossenen Türen: Sachsen und Bayern haben den sogenannten kleinen Grenzverkehr zum Einkaufen untersagt. Und in umgekehrter Richtung hat Tschechien einen fast völligen Einreisestopp für Ausländer verhängt - aus Angst vor einer weiteren Einschleppung der neuen Virusmutationen. Es scheint paradox: Die Bundesrepublik gilt im Hochrisikogebiet Tschechien selbst als Risikogebiet. © dpa
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.