• Die bundesweite Notbremse soll zentral dazu beitragen, die Corona-Zahlen in Deutschland wieder zu senken.
  • Über das Instrument wird aber gestritten - und gelten wird es frühestens nächste Woche.
  • Währenddessen spitzt sich die Situation in den Kliniken weiter zu.
  • Der Präsident der Intensivmediziner Marx warnt: "Wir haben keine Zeit mehr."

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Angesichts der sich weiter zuspitzenden Corona-Situation haben die Intensivmediziner vor einer "dramatischen Lage" in deutschen Krankenhäusern gewarnt.

"Wir haben zwar noch einige Betten in einigen Regionen frei, aber es gibt Ballungsgebiete wie Köln, Bremen und Berlin, wo es richtig knapp wird", sagte der Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi), Gernot Marx, im Podcast "Leben in Zeiten von Corona" der Zeitung "Mannheimer Morgen".

Hohe Neuinfektionszahlen wirken sich auf Intensivkapazitäten in zwei Wochen aus

Von den 30.000 am Donnerstag gemeldeten Infizierten würden in spätestens vierzehn Tagen rund 300 bis 600 schwer erkranken und müssten auf Intensivstationen behandelt werden, warnte Marx. "Jeden Zweiten, den wir beatmen müssen, können wir nicht zurück ins Leben bringen."

Er appellierte an die Politik, so schnell wie möglich die bundesweite Corona-Notbremse zu verabschieden. "Wir haben keine Zeit mehr, es geht um jeden Tag, es geht schlichtweg um Menschenleben", warnte er.

Er könne verstehen, dass viele Menschen müde seien und nichts weiter möchten, als wieder in die Normalität zurück, sagte der Mediziner. "So schwer es jedem einzelnen fällt, auch mir, wir müssen die Mobilität reduzieren und Kontakte vermeiden."

Bundestag berät über Änderung des Infektionsschutzgesetzes

Der Bundestag berät am Freitagvormittag (9:00 Uhr) in erster Lesung über die geplante Änderung des Infektionsschutzgesetzes gegen die dritte Corona-Welle.

Der Entwurf der Bundesregierung für das neue Infektionsschutzgesetz sieht bundeseinheitliche Regelungen für eine Verminderung der Kontakte vor, darunter nächtliche Ausgangssperre ab 21 Uhr sowie Schließungen von Geschäften vor. Grenzwert soll eine Sieben-Tage-Inzidenz von hundert auf 100.000 Einwohner sein.

Noch am Nachmittag sollen die geplanten Schritte in einer öffentlichen Anhörung im Gesundheitsausschuss beraten werden. Die Verabschiedung des Gesetzes ist für Mittwoch vorgesehen.

SPD-Fraktion fordert Änderung des Gesetzesentwurfs: "Ausgangssperren zu pauschal"

Über die bundesweite Corona-Notbremse wird vor den Beratungen im Bundestag kontrovers diskutiert. Der SPD-Rechtspolitiker Johannes Fechner schloss eine Zustimmung seiner Bundestagsfraktion zum Gesetzesentwurf in der aktuellen Form aus.

"Wenn es keine Änderungen an dem Gesetzesentwurf in seiner jetzigen Form gibt, wird die SPD-Fraktion nicht zustimmen", sagte Fechner der "Rheinischen Post". "Die Ausgangssperren sind zu pauschal gefasst, da muss es weitere Ausnahmen geben. Es muss beispielsweise möglich bleiben, mit der Partnerin oder dem Partner abends noch spazieren zu gehen oder draußen Sport zu machen."

Lindner: Pläne der Regierung "verfassungsrechtlich problematisch"

FDP-Chef Christian Lindner nannte die Planungen am Donnerstagabend in der ZDF-Talkshow "Maybrit Illner" "nicht sachgerecht und verfassungsrechtlich problematisch". Maßnahmen, die sinnvoll wären, würden auf dem Tisch liegen. "Und ausgerechnet, wieder mit heißer Nadel gestrickt, kommt die Regierung mit einem Gesetz, das die offensichtlich pauschal nicht wirksame Ausgangssperre zum Gegenstand hat."

Zudem schließe es Möglichkeiten aus, auf Basis von Tests Öffnungsschritte zu gehen, und nehme als alleinige Orientierungsmarke "diese 100er-Inzidenz".

"In vielen Ländern haben Ausgangsbeschränkungen offensichtlich gewirkt"

Vize-Kanzler Olaf Scholz (SPD) warb bei "Maybrit Illner" für die bundesweite Regelung und verwies auf einen besseren Überblick für die Menschen bei einheitlichen Regeln: "Für die Bürgerinnen und Bürger ist es gut, wenn da Klarheit existiert."

Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) sagte den Zeitungen der Funke Mediengruppe zu den Ausgangsbeschränkungen: "In vielen Ländern mit hohen Inzidenzwerten - Portugal, Irland oder Frankreich - haben Ausgangsbeschränkungen ganz offensichtlich gewirkt. (...) Die Lebenswirklichkeit zeigt: Menschen gehen abends aus dem Haus, um andere zu besuchen. Und das ist wieder eine zusätzliche Kontaktaufnahme, die eine Infektionskette in Gang setzen kann."

Umfrage: Mehrheit der Deutschen hält Ausgangssperren für richtig

Laut einer Befragung von infratest dimap im Auftrag des ARD-Deutschlandtrends hält eine Mehrheit der Deutschen die Ausgangssperren in Gebieten mit hoher Inzidenz für richtig.

51 Prozent sprachen sich demnach dafür aus, 46 Prozent dagegen. Die Anhänger von CDU/CSU, SPD, Grünen und Linken sprachen sich mehrheitlich für eine Ausgangssperre aus, die Anhänger von FDP und AfD lehnten diese ab.

Auch der Präsident der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt, hält die bundesweite Notbremse für sinnvoll. "Was die Gesetzespläne zur Notbremse angeht, das meiste davon ist sinnvoll und leider unerlässlich", sagte Reinhardt der "Passauer Neuen Presse".

Zur Situation in den Krankenhäusern sagte Reinhardt: "Überschritten ist die Belastungsgrenze noch nicht, aber viele Kliniken sind kurz davor. Das gilt sowohl für die normalen Stationen, besonders aber für die Intensivabteilungen. Insgesamt bedeutet das für die Krankenhäuser, dass man wieder mehr und mehr andere Eingriffe und Behandlungen zurückfahren muss, um Kapazitäten für Corona-Patienten zu schaffen."

Gesundheitsministerin bittet ehemalige Ärzte und Pflegekräfte um Mithilfe

In Mecklenburg-Vorpommern appellierte Gesundheitsminister Harry Glawe (CDU) am Donnerstagabend an ehemalige Ärzte, Krankenschwestern und Pfleger, in den Kliniken bei der Patientenversorgung mitzuhelfen.

"Wir brauchen qualifiziertes Personal, um die Herausforderungen der nächsten Wochen bewältigen zu können." Es helfe bereits, wenn sich ehemalige Medizin-Fachkräfte für zwei oder drei Wochen oder einen Monat zur Hilfe bereiterklärten. In dieser Zeit könnten sich die Kollegen erholen, die momentan im Dienst seien, sagte der Minister. Auch müssten andere dringende Operationen abgearbeitet werden. (jwo/afp/dpa)

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