• Die Intensivbetten in den Schweizer Krankenhäusern füllen sich immer schneller, Ärzte rufen nach härteren Maßnahmen.
  • Die Politik zögert: Zwar verschärfen die Eidgenossen die Maßnahmen, ein harter Lockdown bleibt aber aus.
  • Besonders der Umgang mit Skigebieten sorgt in Deutschland für Kritik.

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Viele, die zuletzt aus Deutschland in die Schweiz schauten, dürften sich gewundert haben: Während hierzulande seit Mittwoch (16.) ein harter Lockdown das Land stilllegt, waren in der Schweiz Restaurants, Museen und Skilifte weiterhin geöffnet – und das, obwohl sich bei unseren Nachbarn die Fallzahlen dramatisch entwickelt haben. Nun aber ziehen auch die Schweizer die Bremse: Ab dem 22. Dezember verschärfen sie ihre Regeln deutlich.

Dann müssen auch in der Schweiz Restaurants, Fitnessstudios und Museen schließen, Veranstaltungen jeglicher Art sind verboten. Anders als in Deutschland bleiben Läden und Friseure jedoch geöffnet, machen aber um 19 Uhr dicht.

Lascher sind auch die Regeln in Sachen private Treffen: In Räumlichkeiten dürfen 10 Personen zusammenkommen, im öffentlichen Raum sogar 15. Schulen sind in der Schweiz nicht von den Schließungen betroffen, den Kantonen obliegt, ob sie Skigebiete abriegeln.

Die Kantone Zürich, St. Gallen, Luzern, Schwyz, Nidwalden, Obwalden, Zug sowie Appenzell Innerrhoden kündigten an, ihre Skigebiete ab Dienstag geschlossen zu lassen. Offen bleiben Skigebiete dagegen zunächst in Bern und Wallis. Andere Kantone wie Uri und Graubünden wollten noch bis Montag entscheiden, ob sie die Skigebiete über Weihnachten öffnen.

Besorgniserregender R-Wert

Dabei scheint ein härteres Vorgehen dringend geboten. Denn ein Blick auf die Zahlen zeigt, dass die Situation in der Schweiz sogar noch schlechter als hierzulande ist: Unsere Nachbarn haben den kritischen Referenzwert von 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner in den vergangenen sieben Tagen mittlerweile ebenfalls deutlich überschritten, die 7-Tage-Inzidenz liegt bei den Eidgenossen aktuell bei 347,9 (Stand: 16. Dezember) – und ist damit fast doppelt so hoch wie Deutschland (185). Die Reproduktionszahl R, die angibt, wie viele Menschen ein Corona-Infizierter im Schnitt ansteckt, liegt bei 1,13 (Deutschland 0,97).

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"Die Situation ist beunruhigend", sagte der Schweizer Gesundheitsminister Alain Berset am Montag (14.) auf einer Pressekonferenz mit den kantonalen Gesundheitsdirektoren. Die Lage sei jedoch je nach Region sehr unterschiedlich.

"In der Westschweiz sinken die Zahlen im Moment weiter. Aber in Zürich haben die Ansteckungen in einer Woche um 15 Prozent zugenommen, in der Ostschweiz 13 Prozent, in der Zentralschweiz 12 Prozent", so der Schweizer Politiker.

Laut Situationsbericht zur epidemiologischen Lage in der Schweiz des Bundesamtes für Gesundheit (BAG) lag die Inzidenz in den Kantonen in der vergangenen Woche zwischen 185 Fällen pro 100.000 Einwohner und Woche in Jura und Obwalden und 507 in St. Gallen und Tessin.

Schweizer Politik zögert

Alarmierend: In dem 8,6 Millionen Einwohnerland gab es bislang 395.000 nachgewiesene Fälle – umgerechnet 4,59 Prozent der Bevölkerung. Das ist ein doppelt so hohes Niveau wie in Deutschland (1,75 %) und beinahe so hoch wie in den USA (5,26 %). Die Infektionszahlen in der Schweiz gehören damit im Verhältnis zur Bevölkerungsgröße zu den höchsten in Europa.

Die schlechten Zahlen sind eine Konsequenz aus dem Sonderweg der Schweizer: Zwar verhängten auch sie während der ersten Welle einen Lockdown, nun – in der zweiten Welle – zögert die Politik aber.

Eine liberale Mentalität, ein wirtschaftsfreundlicher Kurs, ein politisches System des Föderalismus und ein Kollektivorgan als Regierung - damit erklärt sich das lasche Vorgehen der Schweizer in der Coronakrise.

Hohe Todesrate als Preis

Der Lockdown "light", mit dem die Regierung nun nur durch massiven Druck umsteuert, folgt auf Maßnahmen, die erst in der vergangenen Woche verschärft wurden. Ein Verbot von öffentlichen Veranstaltungen und Sperrstunden für Restaurants, Bars und Läden galt schweizweit erst ab dem 12. Dezember. Deutschland stand da schon kurz vor dem harten Lockdown, auf den Schweizer Skipisten konnte noch gerodelt werden, Kinos waren offen, Weihnachtsmärkte lockten die Schweizer nach draußen.

Dafür hagelte es Kritik im In- und Ausland. So sagte die Ökonomin Monika Bütler im "Tages-Anzeiger", die hohe Todesrate sei der Preis der liberalen Maßnahmen. In der Schweiz bestehen große kantonale Unterschiede von 0 bis zu 12,3 Todesfällen pro 100.000 Einwohner. In der Schweiz und in Liechtenstein sind es im Schnitt 11,74 Todesfälle (Deutschland: 10,7).

Erklärung für falsche PCR-Tests: Gelangen Corona-Reste in unser Erbgut?

Immer wieder kommt es zu positiven PCR-Tests bei Menschen, die eine Corona-Infektioneigentlich überstanden haben. US-Forscher liefern dafür nun eine mögliche Erklärung. (Teaserbild: picture alliance / Eibner-Pressefoto/Weber)

Mediziner schlagen Alarm

Mehrfach mussten sich die Schweizer den Vorwurf gefallen lassen, sie bevorzugten die Wirtschaft auf Kosten der Gesundheit. Der Schweizer Finanzminister Ueli Maurer hatte im Radio SRF zumindest zugegeben: "Wir sind bewusst ein gewisses Risiko eingegangen, weil wir eine Güterabwägung gemacht haben." Das sei "durchaus okay" gewesen.

Nicht mehr "okay" ist die aktuelle Lage in den Augen der meisten Schweizer Mediziner und Wissenschaftler. Sie schlagen Alarm, die Intensivbetten füllten sich immer schneller und bald sei eine Kapazitätsgrenze erreicht. Gregor Zünd, Direktor des Universitätsspitals Zürich hatte noch am Dienstag bei einer Pressekonferenz gesagt: "Wir können uns nicht vorstellen, dass wir um einen Lockdown herumkommen" und sich deutlich gegen die Erlaubnis zum Skifahren über Weihnachten positioniert.

"Das Risiko einer Ansteckung beim Skifahren während der Weihnachtsferien ist hoch", so Zünd. Es erhöhe das Risiko einer dritten Corona-Welle im Januar. Außerdem belasteten verunglückte Skifahrer die Kapazitäten der Spitäler zusätzlich.

Reisen in die Schweiz "prinzipiell möglich"

Auch wenn Pisten-Fans aus Sicht der Schweizer Mediziner derzeit also unerwünscht sind: Ist Ski-Urlaub in der Schweiz für Deutsche aktuell möglich? Denn hierzulande startet die Skisaison frühestens im neuen Jahr, in Italien und Frankreich sind die Skigebiete ebenfalls dicht.

"Reisen in die Schweiz sind derzeit prinzipiell möglich. Allerdings gelten alle Kantone als Corona-Risikogebiete, die Infizierten-Zahlen sind hoch", schreibt der ADAC auf seiner Website.

Laut Robert-Koch-Institut (RKI) ist die ganze Schweiz Corona-Risikogebiet, das Auswärtige Amt warnt vor Reisen dorthin. Bund und Länder raten generell von nicht zwingend notwendigen Reisen bis mindestens 10. Januar ab – auch wenn sie nicht ausdrücklich verboten sind.

Stichprobenartige Grenzkontrollen

Der ADAC schreibt weiter: "Deutsche Staatsangehörige können uneingeschränkt in und durch die Schweiz reisen. Es finden nur stichprobenartige Kontrollen an den Grenzen statt, lange Wartezeiten sind die Ausnahme." Wenn man in die Schweiz einreisen wolle und vorher in einem Risikoland oder Risikogebiet gewesen sei, müsse man vor Ort in eine 10-tägige Quarantäne, die auch nicht durch ein negatives COVID-19-Testergebnis verkürzt werden könne.

Drücke man sich vor der Selbst-Isolation, drohe eine Geldstrafe von 10.000 Franken (9.300 Euro). Aktuell beurteilt das Schweizer Bundesamt für Gesundheit (BAG) nur Sachsen als Risikogebiet.

Teilbetrieb am Matterhorn

Nicht alle der über 200 Skigebiete in der Schweiz wollen planmäßig öffnen – die jeweiligen Kantone müssen dem außerdem zustimmen. Zermatt/Matterhorn will alle Pisten, Bahnen und sonstige Infrastruktur zur Verfügung stellen und hat vom Kanton Wallis auch schon die Genehmigung dafür erhalten. Wie auch in Graubünden herrscht bereits ein Teilbetrieb. Die Skigebiete Pizol, Flumserberg und Wildhaus im Kanton St. Gallen bleiben jedoch voraussichtlich geschlossen.

Der ADAC informiert: "Gäste, die sich wiederholt nicht an die Maßnahmen des Skigebiets halten, könnten sanktioniert werden. Schlimmstenfalls könnte auch der Skipass gesperrt werden. Mund-Nasen-Schutz ist auch in Seilbahnen, Sesselbahnen und Skiliften Pflicht." Ob ein Ski-Urlaub in diesem Jahr sinnvoll ist, das steht auf einem anderen Blatt Papier.

Verwendete Quellen:

  • Twitter-Profil von Alain Berset
  • Tagesanzeiger.ch: "Die liberalen Maßnahmen haben ihren Preis"
  • Bundesamt für Gesundheit: "Situationsbericht zur epidemiologischen Lage in der Schweiz und im Fürstentum Liechtenstein - Woche 50"
  • SRF.de: "Ueli Maurer: 'Wir haben eine Güterabwägung gemacht'"
  • Robert Koch-Institut: Neuartiges Coronavirus, Fallzahlen Deutschland, Stand 18.12.2020
  • ADAC.de: Schweiz in Corona-Zeiten: Das müssen Reisende wissen
  • ADAC.de: Schweiz in Corona-Zeiten: Winter 2020/2021: Warum Skifahren wegen Corona vorerst ausfällt
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