Frankreichs Präsident Emmanuel Macron unterbindet die Verbreitung von Mohammed-Karikaturen nicht. Stattdessen geht er gegen islamistische Aktivitäten in Frankreich vor - und zieht damit viel Ärger in der muslimischen Welt auf sich. Der Psychologe Ahmad Mansour erklärt: Tatsächlich nutzt Macrons Ansatz Muslimen vielmehr, als dass er schadet.

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In der muslimischen Welt ist der Aufruhr wegen der Aussagen von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron über Mohammed-Karikaturen und Meinungsfreiheit noch nicht verebbt. Unter anderem in Pakistan, Bangladesch, Indien, der Türkei und im Libanon gab es jüngst wieder Demonstrationen, bei denen unter anderem Bilder des französischen Staatschefs verbrannt wurden.

Auch in europäischen Großstädten organisierten muslimische Vereinigungen Proteste. Bei einer Demonstration unter dem Leitsatz "Keine Toleranz für Respektlosigkeit gegenüber dem Propheten" kam es in London zu Handgreiflichkeiten zwischen Demonstranten und der Polizei. In Berlin fanden in den vergangenen Tagen ebenfalls mehrere Protestaktionen statt, bei denen die Teilnehmer eine Entschuldigung von Macron verlangten.

Hintergrund ist die brutale Ermordung von Samuel Paty. Ein 18 Jahre alter Islamist mit tschetschenischen Wurzeln enthauptete den Geschichtslehrer in einem Pariser Vorort. Gegen Paty war zuvor im Internet Stimmung gemacht worden, weil er im Unterricht das Thema Meinungsfreiheit behandelt und dabei Mohammed-Karikaturen aus der Satirezeitschrift "Charlie Hebdo" gezeigt hatte.

Patys Ermordung reiht sich in Folge mehrerer Anschläge

Die Ermordung Patys war im Jahr 2020 bereits die fünfte Terrorattacke mit islamistischem Hintergrund in Frankreich. Das Attentat in der französischen Küstenstadt Nizza zwei Wochen später wird ebenfalls als islamistischer Terrorakt eingestuft. Der Angreifer tötete in einer katholischen Kirche drei Menschen mit einem Messer.

Der französische Präsident verurteilte die Taten scharf und verteidigte in Ansprachen die säkularen Werte der französischen Gesellschaft. Bereits nach der Ermordung Patys kündigte er ein Maßnahmenpaket an, das dazu dienen soll, die Radikalisierung von Muslimen in Frankreich einzudämmen. Es sieht unter anderem vor, dass Imame nicht aus dem Ausland bestellt, sondern in Frankreich ausgebildet werden. Außerdem soll der Heimunterricht für Kinder stärker beschränkt werden.

Kurz danach wurden mehrere Razzien im radikalislamischen Milieu in Frankreich durchgeführt. Eine Moschee im Pariser Vorort Pantin wurde geschlossen, weil der verantwortliche Imam den Unterricht des getöteten Lehrers Paty im Internet angeprangert und die Adresse der Schule veröffentlicht hatte.

Gegen Gewalt, aber nicht für Meinungsfreiheit

Unmittelbar nach der Gewalttat distanzierten sich mehrere Vertreter muslimischer Organisationen und Regierungsmitglieder mehrheitlich islamisch geprägter Länder von der Ermordung Patys. Gleichzeitig löste Macrons Kommentar zu der Tat heftige Reaktionen aus.

Insbesondere die Tatsache, dass Macron das Recht der Bürger verteidigte, Religionen zu kritisieren und ihre Vertreter zu karikieren, löste eine Welle der Wut aus. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan etwa legte Macron nahe, seinen Geisteszustand überprüfen zu lassen und rief zum Boykott französischer Waren auf.

Die Mehrheit der Muslime lehne Gewalt ab, ist Ahmad Mansour überzeugt. Der Berliner Psychologe und Autor engagiert sich seit vielen Jahren im Bereich der Demokratieförderung und der Extremismusprävention bei muslimischen Jugendlichen.

Schürt Macron die Gewalt?

Laut Mansour haben sich die Islam-Vertreter von der Gewalttat zwar distanziert. "Sie waren aber nicht in der Lage, den Islamismus als Motiv zu erwähnen, und sie waren in keiner Weise in der Lage, hinter der Meinungsfreiheit zu stehen und zu sagen, das, was dieser Lehrer getan hat, ist Teil unserer Demokratie und das ist völlig in Ordnung", kritisiert Mansour.

Dass Frankreichs Präsident genau dies getan hat, missbilligten zahlreiche Kommentatoren auch in Deutschland. Dass Macron sich nicht auf die Verurteilung der Gewalttat beschränkte, sondern gleichzeitig eine Reform des Islams anmahnte, wurde als unzulässige Generalisierung und Aggression interpretiert.

Laut Mansour ist es jedoch nicht zielführend, Macron oder den Franzosen eine Mitschuld an den aktuellen Spannungen zu geben. "Stellen sie sich vor, Sie würden den Opfern von Hanau oder von Halle eine Mitschuld an den rassistischen, antimuslimischen oder antisemitischen Haltungen geben. Das geht nicht. Terroristen sind die Verantwortlichen und die Opfer sind Opfer – und nicht umgekehrt", betont er.

Der Gewalt die Grundlage entziehen

Wenn man erst dann handeln wolle, wenn ein Problem in Gewalt ausartet, sei es meist zu spät. Man müsse die Ursachen des Problems identifizieren und dagegen vorgehen, fordert Mansour. Beim Attentat in Hanau habe eine Einzelperson Menschen getötet. "Aber die rassistische Ideologie, die der Tat zugrunde liegt, ist leider weit verbreitet."

Ähnlich verhalte es sich auch beim islamistischen Terror: "Der politische Islam, so wie er heute in vielen Ländern praktiziert wird, ist zwar nicht mit Terrorismus gleichzusetzen, aber er schafft die Basis, auf der die Islamisten ihre Ideologie aufbauen", ist Mansour überzeugt.

Es herrsche nicht nur bei Extremisten vielfach ein Islamverständnis vor, das die Welt in schwarz und weiß, in Opfer und Feinde einteile. Jegliche Kritik an der Religion werde darin als Angriff und als Kränkung empfunden. Die religiösen Texte würden nicht in ihrem historischen Zusammenhang betrachtet, sondern wörtlich verstanden. Schließlich herrsche eine einfache Rhetorik und Angstpädagogik vor. "Das sind alles Inhalte, die man auf jeden Fall reformieren muss", so Mansour.

"Ich bin absolut der Meinung – und das sage ich als Moslem: Das wird unsere Religion stärken", betont der Psychologe. "Das wird für viele Jugendliche Widersprüche auflösen und ihnen ermöglichen, gleichzeitig Europäer, Franzosen, Deutsche, Demokraten und Muslime zu sein."

Prävention als Schlüssel

Es gehe darum, eine Art und Weise zu finden, friedlich zusammenzuleben und miteinander Probleme zu lösen. Und der Weg dahin führe über Präventionsarbeit: "Wir können nicht früh genug anfangen. Wir müssen unbedingt ganz früh in den Schulen arbeiten und dabei schneller sein als die Radikalen", betont der Experte.

Konkret bestehe die Aufgabe darin, Menschen mündiger zu machen, sie zum Nachdenken zu bewegen und die Empathieentwicklung zu stärken. Eltern müssten in Aufklärungskampagnen eingebunden werden. "Unsere Integrationskurse müssen viel besser sein und die Leute auf ein Leben in einer demokratischen Gesellschaft vorbereiten, die auch Meinungsfreiheit als heilig schätzt - und nicht nur Religion."

Verwendete Quellen:

Nach US-Wahl 2020: Trump-Anhänger versuchen in Detroit in Wahllokal einzudringen

Laut Hochrechnungen hat Joe Biden bei der US-Wahl im Staat Michigan gewonnen. Zuvor hatten Dutzende Trump-Unterstützer einen Auszählungsstopp der Stimmen gefordert. In Detroit mussten Polizisten eingreifen, um die wütenden Protestierenden davon abzuhalten, in den Auszählungsbereich vorzudringen. (Teaserbild: picture alliance / newscom)
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