Die US-Botschaft in Israel soll nach dem Willen von Donald Trump von Tel Aviv nach Jerusalem umziehen. Die islamische Welt ist empört, der türkische Präsident Erdogan wütet. Und auch EU-Politiker warnen vor den Folgen.

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Donald Trump will die US-Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem verlegen und damit Jerusalem als Hauptstadt Israels anerkennen. Für den Nahostkonflikt könnte diese Entscheidung, die der US-Kongress schon 1995 beschloss, fatale Folgen haben.

Der muslimisch geprägte Ostteil der Heiligen Stadt wird seit 1967 von Israel besetzt, die internationale Gemeinschaft erkennt Jerusalem daher nicht als Hauptstadt des Judenstaates an.

Der endgültige Status der Stadt soll eigentlich in Friedensverhandlungen geklärt werden. Dem hat der US-Präsident nun vorweg gegriffen – nicht ganz überraschend. Der 71-Jährige hatte schon im Wahlkampf angekündigt, den "ultimativen Friedensschluss" für den Nahen Osten herbeizuführen.

Aber ist seine jetzige Entscheidung ein Schritt in diese Richtung? Oder droht eine neue Eskalation?

Szenario I: Es kommt zu Gewaltausschreitungen

Schon kurz nach Trumps Erklärung warnte die palästinensische Terrororganisation Hamas: Im Falle der Verlegung der Botschaft, "rufen wir die Palästinenser dazu auf, die Intifada wiederaufleben zu lassen".

Beim letzten Palästinenseraufstand, der im Jahr 2000 begann, starben etwa 3000 Palästinenser und rund 1000 Israelis.

Kerstin Müller, Büro-Leiterin der Heinrich-Böll-Stiftung in Tel Aviv, sagte unserer Redaktion zu diesem Szenario. "Es ist sehr wahrscheinlich, dass wir es mit einer Welle der Gewalt zu tun bekommen – in Jerusalem, im Westjordanland und möglicherweise sogar in der muslimischen Welt. Von Messerattentaten in Israel bis hin zum Flächenbrand in der Region ist alles möglich."

Auch Kristian Brakel, der das Istanbul-Büro der Böll-Stiftung leitet, hält eine Eskalation für wahrscheinlich. "Ich will kein Schreckensszenario an die Wand malen: Aber wenn Sie die Ausschreitungen nach den Mohammed-Karikaturen gesehen haben, dann halte ich so etwas auch jetzt für durchaus vorstellbar."

Fazit: Sollte es zur Verlegung der US-Botschaft kommen, drohen Ausschreitungen und Attentate in Jerusalem und im Westjordanland. Schlimmstenfalls kommt es zum Flächenbrand in der muslimischen Welt.

Szenario II: Die Beziehungen der USA zu muslimischen Ländern verschlechtern sich

Die Reaktionen aus der islamischen Welt zu Trumps Plänen ließen nicht lange auf sich warten.

Saudi-Arabien, ein wichtiger Verbündeter der USA, zeigte sich "ernsthaft und tief besorgt". König Salman warnte Trump in einem Telefongespräch, Muslime in aller Welt würden einen solchen Schritt als Provokation empfinden.

Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan drohte gar mit dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen zu Israel. "Herr Trump, Jerusalem ist die rote Linie der Muslime", sagte er laut Nachrichtenagentur dpa in Ankara und kündigte die Mobilisierung der islamischen Welt an.

Türkei-Experte Brakel hält Letzteres für bloße Rhetorik. Erdogans Kalkül: Punkte bei den eigenen Wählern sammeln. Die türkisch-amerikanischen Beziehungen seien wegen des Prozesses gegen einen türkisch-iranischen Goldhändler in den USA ohnehin stark belastet.

Der Konflikt um Jerusalem lenke von den eigentlichen Probleme eher ab. "Das kommt der türkischen Regierung vielleicht sogar ganz gelegen", vermutet der Türkei-Kenner im Gespräch mit unserer Redaktion.
Zu Verwerfungen mit der islamischen Welt dürfte es wegen der Verlegung der Botschaft trotzdem kommen.

"Trump kündigt damit seinen Schulterschluss mit dem sunnitischen Teil der arabischen Welt auf", erklärt Kerstin Müller. "Das könnte gewaltbereite, islamistische Kräfte weltweit anstacheln." Zudem sei dies eine Propagandavorlage für den schiitischen Iran, mit dem die Trump-Regierung wegen des Atomabkommens eigentlich im Clinch liegt.

Fazit: Trumps Entscheidung wird die Beziehungen der USA zur islamischen Welt kurzfristig belasten und womöglich dauerhaft schädigen. Ob sich enge Verbündete wie Saudi-Arabien tatsächlich von den USA distanzieren, erscheint fraglich.

Szenario III: Die Palästinenser akzeptieren Trumps Entscheidung

1967 hatte Israel den arabisch geprägten Teil Jerusalems besetzt und später annektiert. Es beansprucht die ganze Stadt als Hauptstadt für sich, während die Palästinenser den Ostteil als Hauptstadt eines künftigen, unabhängigen Staates ausrufen wollen.

Dass es tatsächlich noch zu einer Zwei-Staaten-Lösung kommt, ist nach den stockenden Verhandlungen der letzten Jahre jedoch immer unwahrscheinlicher geworden.

Weil Israel sowieso viele wichtige politische Institutionen schon in West-Jerusalem angesiedelt hat, spricht die US-Regierung laut "Spiegel Online" bei ihrer neuen Politik von der "Anerkennung der Realität".

Könnten auch die Palästinenser diese Realität anerkennen und sich mit Trumps Entscheidung abfinden? "Das glaube ich nicht", sagt Kerstin Müller. Der Status Jerusalems und eine mögliche Teilung der Stadt sei nicht nur für die Palästinenser, sondern auch für die gesamte muslimische Welt immer eine "emotional und religiös sehr aufgeladene Frage" gewesen.

Nicht zuletzt hinge daran auch der Status Quo der "Heiligen Stätten", die in Ost-Jerusalem liegen, so Müller. Palästinenserpräsident Mahmud Abbas warnte Trump laut "Zeit Online" "vor den gefährlichen Auswirkungen einer solchen Entscheidung auf den Friedensprozess, die Sicherheit und Stabilität in der Region und der Welt".

Fazit: Die Frage um Ost-Jerusalem ist emotional stark aufgeladen. Es ist praktisch ausgeschlossen, dass Palästinenserpräsident Abbas Trumps Entscheidung einfach so akzeptiert. Die islamistische Hamas wird dies noch viel weniger tun.

Szenario IV: Trumps Entscheidung ist eine Chance für den Friedensprozess

Dem festgefahrenen Friedensprozess durch eine radikale Entscheidung neue Impulse geben, dann neu verhandeln und einen guten Deal machen. Theoretisch klingt das durchaus verlockend, aber praktisch?

"Trump macht damit seine eigene Friedensinitiative, die ja schon sehr schwach war, zunichte", sagt Israel-Expertin Müller. "Im Hinblick auf die Nahostpolitik ist das ein diplomatisches Desaster".

Der Friedensprozess wäre damit wohl fürs Erste am Ende. Zumindest unter Führung der USA, die nun klar eine pro-israelische Position bezogen haben. "Am Ende könnten die USA nicht mal mehr als Vermittler zwischen den Seiten auftreten, was sie bisher immer waren", analysiert Müller.

Ob sie Trumps Entscheidung am Ende nicht doch einen Impuls in die richtige Richtung abgewinnen könne? Die Antwort fällt klar aus.

"Etwas Positives", betont Kerstin Müller, "kann ich nicht erkennen." Anders sieht es die Journalistin und Israel-Kennerin Ruth Kinet. Sie sprach im "Deutschlandfunk" von "einem Schachzug, der endlich wieder Bewegung bringen könnte in einen gefrorenen Konflikt."

Fazit: Die USA haben durch ihre Entscheidung an Autorität eingebüßt, im Friedensprozess zwischen Israelis und Palästinensern zu vermitteln. Ob der Friedensprozess damit tatsächlich am Ende ist, bleibt offen.

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