An einer Schule in Florida erschießt ein 19-Jähriger 17 Menschen und verletzt Dutzende. Die Tat macht fassungslos, mehr aber noch die Tatsache, dass sich die USA seit Jahrzehnten im Krieg befinden. Ein Krieg gegen den Terror, der Zehntausende das Leben kostete - und der im eigenen Land wütet. Ein Massenmorden "Made in the USA".

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Amerika wird von einem Gegner angegriffen, der sich nicht etwa hinter Bärten, Sturmhauben und religiösem Fanatismus versteckt, sondern stolz und offen seine Herkunft verrät: Made in the USA.

Aktuell sorgt das Blutbad an einer Schule in Florida mit 17 Toten für blankes Entsetzen - wieder einmal, muss man sagen.

Denn wieder einmal bekommen die USA auf grausame Weise den Spiegel vorgehalten: Der Gegner ist man selbst. Täter und Opfer zugleich.

Die Ursache liegt in einem bizarren Selbstverständnis, das in obsessivem Waffenfetischismus so etwas wie nationale Identität erkennen will und zur Verteidigung dieses Irrsinns Tag für Tag, Jahr für Jahr über Leichen geht.

Zehntausende Tote im Krieg "made in the USA"

Von 2001 bis 2015 kamen im Kampf gegen den Terror außerhalb der USA von Afghanistan bis Irak etwa 7.000 amerikanische Soldaten ums Leben, rund 3.400 US-Bürger wurden bei Terrorakten getötet, allein 2.970 am 11. September 2001.

Nach Angaben des "Centers for Disease Control and Prevention" starben in diesen 14 Jahren also circa 10.400 US-Bürger durch Krieg und Terror.

Die Bundesbehörde erfasste in ihrer Statistik aber auch über 30.000 Todesopfer in den USA durch Schusswaffen, darunter rund 12.000 Morde - Jahr für Jahr.

In den Jahren bis 2015 waren es 156.000 Tote auf amerikanischem Boden (mit den Suiziden durch Schusswaffen steigt die Zahl auf über 400.000).

Das unabhängige "Gun Violence Archive" weist für das Jahr 2016 15.079 Todesopfer durch Schusswaffen aus, für 2017 sind es 15.590.

Das "GVA" dokumentiert auch sogenannte "Mass Shootings" ab vier Opfern - Verletzte wie Getötete. 2017 gab es demnach 346 solcher Massentötungen. Im neuen Jahr 2018 liegt diese dunkle Ziffer mit dem Massaker von Parkland schon wieder bei 30 Toten.

Amerika, so scheint es, läuft in den eigenen vier Wänden Amok und begeht moralischen Selbstmord. Das hatte auch Donald Trumps Vorgänger im Weißen Haus erkannt.

Obamas schallende Ohrfeige für die Nation

"Irgendwie ist das zur Routine geworden", meinte ein auffällig frustrierter US-Präsident Barack Obama am Tag nach der Bluttat von Oregon 2015. Es war sage und schreibe der 15. Amoklauf seiner Amtszeit.

"Die Berichterstattung ist Routine, meine Antwort ist Routine", erklärte Obama damals und wählte bemerkenswert ehrliche Worte, die nicht mehr nur als weiterer Weckruf zu deuten waren, sondern als schallende Ohrfeige für eine ganze Nation:

"Wir sind das einzige fortschrittliche Land auf Erden, das diese Art von Massenerschießung alle paar Monate erlebt - wir stumpfen ab!"

Ein Zustand, der durch aggressive Lobbyarbeit vorsätzlich herbeigeführt wird.

Der mächtigste Mann der Welt wirkte schon damals machtlos im eigenen Land, hilflos im Kräftemessen mit der National Rifle Association (NRA) und ihrer menschenverachtenden Ideologie.

NRA-Chef Wayne LaPierre verpackte diese einst in eine zynische Logik von entwaffnender Dummheit: "Das einzige, was einen bösen Menschen mit einer Waffe aufhält, ist ein guter Mensch mit einer Waffe."

Demnach werde das Problem von zu vielen Waffen allein mit noch mehr Waffen gelöst, der Teufel ergo mit dem Beelzebub ausgetrieben.

An dieser wirren Pseudo-Kausalität dürfte sich auch nach dem Amoklauf in Parkland nichts ändern.

Denn vor Parkland war schon Las Vegas - der mit 58 Getöteten schwerste Amoklauf in der Geschichte der USA. Und vor Las Vegas hatte bereits das Massaker von Orlando mit 49 Toten das Land erschüttert. Und vor Orlando waren 20 Kinder in einer Grundschule in Connecticut niedergemäht worden.

Die mörderische Serie von Massentötungen zieht sich wie eine Blutspur durch die jüngere Geschichte der USA. Konsequenzen über die moralische Debatte hinaus gab es eigentlich nie.

Brachialrhetorik gegen Menschenverstand

Denn obwohl nach jedem Blutvergießen in den USA Stimmen laut werden, die restriktivere Waffengesetze einfordern, werden sie letztlich von der zynischen Brachialrhetorik der NRA überbrüllt.

Wenn Menschen mit Verstand in einer öffentlichen Debatte mahnend den Zeigefinger heben, ihre Gegner den Zeigefinger aber lieber am Abzug krümmen, dann ist das kein Duell mit gleichen Waffen.

Die einen argumentieren mit dem verzweifelten Verweis auf Mord und Totschlag, die anderen verweisen auf die durchschlagenden Argumente von Berretta und Sig Sauer, die allein Ordnung und Sicherheit versprächen.

Man darf es durchaus als Beleg für intellektuelle Rückständigkeit und historische Irrlichterei betrachten, dass Waffenlobby und politische Hardliner stets auf den 2. Verfassungszusatz verweisen, der es jeder amerikanischen Regierung verbietet, ihren Bürgern das Tragen von Waffen zu untersagen.

Dieser folgenschwere Passus der "Bill of Rights" datiert aus dem Jahr 1791 als Reaktion auf marodierende britische Soldaten, die einige Jahre zuvor während des Unabhängigkeitskrieges amerikanische Siedlungen terrorisiert hatten.

Die NRA und ihre waffenstarrenden Unterstützer berufen sich folglich auf Umstände, die über 200 Jahre zurückliegen, auf Zeiten, in denen Schusswaffen noch mühevoll von Hand durch den Lauf geladen werden mussten.

Die Waffenlobbyisten beschwören in strengeren Waffengesetzen also einen Verfall von Recht und Ordnung herauf, während um sie herum mit automatischen Schnellfeuergewehren massenhaft gemordet, getötet und gestorben wird.

Barack Obama hatte die Nase voll

Die USA müssten an diesem Punkt als Nation endlich das gewaltvolle Trauma ihrer Geburtswehen hinter sich lassen und im 21. Jahrhundert aufwachen, um "diese Art von Massengewalt" (Obama) sowie den aggressiven Einfluss der Waffenlobby zu überwinden.

Barack Obama hatte unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, wie unerträglich er das gegenseitige Töten im eigenen Land findet. Er hatte genug von der Pflicht, sich vor die Nation zu stellen, um die Opfer zu betrauern und das Unfassbare zu erklären, obgleich es schon viel zu lange nichts mehr zu erklären gibt.

Obama war zunächst frustriert und später desillusioniert, da all seine Vorschläge zu Gesetzesverschärfungen von der Waffenlobby erst torpediert und dann vom Kongress versenkt wurden.

Dabei ginge es vor allem um die zwingend gebotene Beschränkung frei verkäuflicher Schusswaffen, deren mörderische Bestimmung sich bestenfalls in militärischen Auseinandersetzungen erschließt: Schnell ladende und schnell feuernde Maschinengewehre, mit dem primären Zweck, in grausamer Effektivität so viele Menschen wie möglich zu töten.

Trumps Nähe zur Waffenlobby: "Meine Freunde"

Obamas Nachfolger Donald Trump twitterte "Mitgefühl und Beileid" für die 59 Ermordeten und über 520 Verletzten des Massakers von Las Vegas am 1. Oktober 2017. Konsequenterweise schob der US-Präsident auch ein "Gott beschütze Euch" hinterher.

Schließlich wird Trump selbst nicht für den Schutz seiner Bürger vor dem soziokulturellen Morden sorgen. Zu offensichtlich ist die verhängnisvolle Nähe des amtierenden US-Präsidenten zur mächtigen Waffenlobby NRA.

Im April 2017 hatte Trump vor dem NRA-Kongress in Atlanta erklärt: "Ihr seid meine Freunde, das könnt Ihr mir glauben. Ihr habt euch für mich eingesetzt, ich werde mich für euch einsetzen."

Seine Regierung werde nicht versuchen, das Recht auf Waffenbesitz einzuschränken, versprach er damals.

Und so war es nur eine Frage der Zeit, wann der Massenmord von Las Vegas von dem nächsten Wahnsinn abgelöst werden würde. Heute kennen wir die Antwort: Es traf die Schüler einer High School in Parkland/Florida.

Amerika, "Gods Own Country", ist also auch nach Zehntausenden Toten immer noch nicht reif für die Erkenntnis, dass der alttestamentarische Grundsatz "Auge um Auge, Zahn um Zahn" mit der Zeit unweigerlich jeden blind und alle sprachlos machen wird.

Anmerkung der Redaktion: In Teilen war dieser Text bereits im Oktober 2015 nach dem Amoklauf von Oregon erschienen. Aufgrund des Amoklaufs in Florida wurde der Text aktualisiert.
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