Viele 16- und 17-Jährige dürften sich in den vergangenen Wochen gewundert haben, als sie im Briefkasten Post von der Bundeswehr entdeckten. Denn obwohl die Zeit des Wehrdienstes längst vorüber ist, erhielten sie eine personalisierte Einladung. Woher hat die Bundeswehr die Daten? Und nutzt sie hier einen unerlaubten Wettbewerbsvorteil? Der Medienrechtsexperte Rolf Schwartmann ordnet das Marketing der Bundeswehr ein.

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Es gibt jede Menge Post im Briefkasten, die für Ärger sorgen kann: das Schreiben vom Finanzamt, die Mahnung vom Onlinehändler oder der abgelehnte Einspruch im Rechtsstreit. Ende April war es jedoch eine Postkarte der Bundeswehr, die für Aufregung in der Netzgemeinde sorgte.

Zu Zeiten des Wehrdienstes nichts Ungewöhnliches, 2020 aber mindestens Grund zur Irritation bei Minderjährigen. Denn die personalisierte Postkarte, die mit dem eigenen Nachnamen über dem Bundeswehrlogo auf militärgrünem Hintergrund verschickt wurde, hat eine bestimmte Zielgruppe: 16- und 17-Jährige, die im nächsten Jahr volljährig werden.

Mit der Corona-Krise als Aufhänger und den Worten "Mach dir selbst ein Bild von den vielfältigen Aufgaben in den Streitkräften - zum Beispiel im freiwilligen Wehrdienst" fordert die Bundeswehr die Jugendlichen dazu auf, sich auf einer personalisierten Internetseite über die Karrieremöglichkeiten zu informieren.

Post von der Bundeswehr: Wütende Reaktionen auf Twitter

Die Reaktionen auf Twitter: verwundert bis wütend. "Darf die Bundeswehr meinem minderjährigen Sohn eine personalisierte Einladung als Postkarte mit seinem Namen vorn drauf schicken?", fragten besorgte Eltern. Andere Nutzer schrieben: "Post von der Bundeswehr bekommen, direkt zerrissen", "Danke für den Grillanzünder" oder "Lasst eure Propagandablätter bei euch!"

Ist die Aufregung berechtigt? "Illegal ist diese Form der Marketingstrategie zumindest nicht", stellt Professor Doktor Rolf Schwartmann klar. Der Jurist ist Leiter der Kölner Forschungsstelle für Medienrecht an der Technischen Hochschule Köln. "Die Gesetzesgrundlage, die der Bundeswehr die Adressierung potentieller Anwärter erlaubt, ist §58c Soldatengesetz", erklärt der Experte.

Meldebehörden übermitteln Daten jährlich

Eine Sprecherin des Verteidigungsministeriums teilt mit: "Hiernach übermitteln die Meldebehörden dem Bundesamt für das Personalmanagement der Bundeswehr jährlich bis zum 31. März die darin beschriebenen Daten zu Personen mit deutscher Staatsangehörigkeit, die im folgenden Jahr volljährig werden."

Auf dieser Grundlage habe die Bundeswehr "personalisierte Postkarten mit einem Informationsangebot zum Arbeitgeber Bundeswehr" an "rund 680.000 Personen mit deutscher Staatsangehörigkeit adressiert", so die Sprecherin gegenüber unserer Redaktion. Es handele sich um eine jährliche Anschreibeaktion.

Warum aber gibt der Gesetzgeber der Bundeswehr die Möglichkeit, die Daten zum Zwecke der Übersendung von Informationsmaterial über Tätigkeiten in den Streitkräften zu nutzen?
"Seit dem Aussetzen der Wehrpflicht muss sich die Bundeswehr aktiv um Nachwuchs bemühen, um ihren in der Verfassung verankerten Auftrag zu erfüllen," erklärt die Bundeswehr.

Bietet das Gesetz einen Wettbewerbsvorteil?

Experte Schwartmann sagt: "Es stimmt: Die aktuelle gesetzliche Regelung verschafft der Bundeswehr einen Vorteil im Azubimarketing, den andere Unternehmen so nicht haben." Unternehmen hätten Schwierigkeiten, an Adressen von potentiellen Azubis zu kommen. "Man kann tatsächlich darüber nachdenken, ob das ein unerlaubter Wettbewerbsvorteil ist", so Schwartmann.

Der Experte erinnert aber: "Die Frage ist jedoch, ob die Bundeswehr ein Marktteilnehmer wie alle anderen ist. Denn sie ist der nachgeordnete Geschäftsbereich des deutschen Verteidigungsministeriums." Auch in Zeiten des Friedens sei der Staat auf ausreichend besetzte Streitkräfte angewiesen und unterstütze die Bundeswehr daher bei der Personalgewinnung, indem er die Weitergabe der Meldedaten zulässt.

Gleichzeitig würden dem Marketing der Bundeswehr aber auch Grenzen gesetzt: "§7 des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb besagt: 'Eine geschäftliche Handlung, durch die ein Marktteilnehmer in unzumutbarer Weise belästigt wird, ist unzulässig. Dies gilt insbesondere für Werbung, obwohl erkennbar ist, dass der angesprochene Marktteilnehmer diese Werbung nicht wünscht'", zitiert Schwartmann.

Durch eine Postkarte, deren Versand einmalig erfolge, sei aber keine unzumutbare Belästigung gegeben.

Möglichkeit zum Widerspruch

"Die Postkarte geht über den Zweck der Erlaubnis zur Datenverarbeitung und der entsprechenden Information, nämlich den postalischen Versand von Informationsmaterial, nicht hinaus", meint Schwartmann und ergänzt: "Meldebehörden geben die Meldedaten prinzipiell an jedermann auf Nachfrage heraus." Das ist so im Meldegesetz vorgesehen.

Man habe jedoch die Möglichkeit, der Datenübermittlung durch die Meldebehörden zu widersprechen. So heißt es im Gesetzestext: "Die Datenübermittlung unterbleibt, wenn die betroffenen Personen ihr nach § 36 Absatz 2 des Bundesmeldegesetzes widersprochen haben." Das gilt dann auch für die Datenübermittlung an die Bundeswehr. Auf Twitter haben mehrere Nutzer diesen Schritt zumindest angekündigt.

Coronakrise für Marketingzwecke?

Doch die unerwartete Post der Bundeswehr ist nicht der einzige Punkt, über den sich die Adressierten echauffieren: Auch die Art der Werbung stört viele in der Netzgemeinde. Denn zum Aufhänger des Schreibens wählt die Marketingabteilung der Bundeswehr die Corona-Krise.

So heißt es zu Beginn: "Bestimmt hast du die aktuelle Situation um das Covid-19-Virus intensiv verfolgt. Gerade in dieser schwierigen Zeit unterstützt die Bundeswehr mit ihren Frauen und Männern in Uniform und in zivil die deutsche Bevölkerung mit allen Kräften."

Blogger Marcel Rütten, Experte für Recruiting und Personalmarketing, fragt auf "hr4good": "Die Bundeswehr unterstützt die deutsche Bevölkerung mit ALLEN Kräften?" und weiter: "Die Bundeswehr hat aktuell ein Kontingent von rund 15.000 der insgesamt 184.000 Soldatinnen und Soldaten für die Unterstützung während der Coronakrise abgestellt. Das sind nicht alle, sondern lediglich etwas mehr als 8%."

Bundeswehr verbreitet "Lagerfeuer-Romantik"

Die Bundeswehr erläutert, warum sie für die Anschreibeaktion den Aufhänger der Corona-Krise gewählt hat: "Als sich abzeichnete, dass die Bundeswehr zunehmend um Amtshilfe durch die Behörden des Bundes und der Länder ersucht wird, schien uns wichtig darzustellen, welchen Beitrag unsere Soldatinnen und Soldaten an dieser Stelle zu leisten vermögen und welche Berufe und Menschen sich hinter der Amtshilfe verbergen."

Neben dem Einsatzkontingent von rund 15.000 Soldaten seien rund 17.000 Menschen des Sanitätsdienstes und 2.000 Reservisten im Einsatz. Parallel zur Anschreibeaktion sei so die Kommunikationskampagne "Einsatz gegen Corona" entstanden.

Auf einer eigens eingerichteten Website gibt die Bundeswehr dabei Einblicke in ihren Kampf gegen die Ausbreitung des Corona-Virus: Unterstützung der Gesundheitsämter, Aufbau von Behelfskrankenhäusern, eigene Produktion von Desinfektionsmitteln.

Schwartmann weist darauf hin: "Was die Bundeswehr auf Facebook, Twitter oder Instagram schreibt, passiert nicht mit Adressen nach §58c und muss deshalb gesondert betrachtet werden." Die dort verbreitete Lagerfeuer-Romantik stehe auf einem anderen Blatt Papier.

Forderung nach Werbungs-Verbot

In diesem Zusammenhang entstand beispielsweise die Petition unter dem gleichnamigen Hashtag "#Kein Werben fürs Sterben". Auch die Linkspartei positioniert sich immer wieder für ein Verbot des Werbens. "Bundeswehr ist kein normaler Arbeitgeber", schreibt sie auf ihrer Website.

Die hohe Abbrecherquote von über 50 Prozent aufgrund von Überforderung oder falschen Vorstellungen zeige, dass die "immer aggressivere Werbung der Bundeswehr" falsche Erwartungen bei den Jugendlichen wecke.

Die Bundeswehr teilt zumindest mit, die Bewerberlage sei seit Jahren stetig gut. "Rund 130.000 Bewerbungen gehen jährlich für zivile und militärische Berufe ein. Daraus besetzen wir im Schnitt jährlich rund 25.000 Stellen", so die Sprecherin des Verteidigungsministeriums.

Eine direkte Korrelation zur jährlichen Anschreibeaktion sei zwar nicht möglich, kurz nach Versenden sei das Jobprofil für den Freiwilligen Wehrdienst jedoch rund 150.000 Mal aufgerufen worden.

Über den Experten:
Prof. Dr. Rolf Schwartmann ist Leiter der Kölner Forschungsstelle für Medienrecht an der Technischen Hochschule Köln und Inhaber der Professur für Bürgerliches Recht und Wirtschaftsrecht. Er ist zugleich Privatdozent an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz und Vorsitzender der Gesellschaft für Datenschutz und Datensicherheit (GDD) e.V. Zudem ist er Mitglied der Datenethikkommission und Beirat in der European netID Foundation. Für dieses Portal schreibt er eine regelmäßige Kolumne.

Verwendete Quellen:

  • Soldatengesetz Paragraph 58c
  • Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb Paragraph 7
  • Blog "hr4good": Bundeswehr nutzt Meldedaten von Minderjährigen für Personalmarketing
  • Webseite der Linkspartei
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