Georgien wird innenpolitisch von einem Gesetz zur "ausländischen Einflussnahme" zerrissen. Die Zivilgesellschaft wehrt sich mit massivem Protest gegen die Initiative. Georgien-Experte Stephan Malerius erklärt, was hinter dem Vorhaben steckt und wieso die Lage für Georgien, direkter Nachbar von Russland, so riskant ist.

Eine Analyse
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Die innenpolitische Lage in Georgien spitzt sich weiter zu: Seit Tagen treibt ein geplantes Gesetz, welches den Einfluss aus dem Ausland stärker kontrollieren soll, Hunderttausende Menschen auf die Straßen. Die Protestanten bezeichnen das umstrittene Vorhaben als "russisches Gesetz" und fürchten, es könne zur Kontrolle der Zivilgesellschaft eingesetzt werden.

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Die Regierungspartei "Georgischer Traum" mobilisiert ihrerseits Gegenprotest und argumentiert, das Gesetz sorge für mehr Transparenz. Der Westen ist Geldgeber für viele Projekte der Zivilgesellschaft und zur Demokratieförderung in Georgien. In Russland hatte ein ähnliches Gesetz 2012 dazu geführt, dass solche Geldflüsse gestoppt und prowestliche Kräfte politisch verfolgt wurden.

Umstrittenes Gesetz: Bereits die zweite Initiative

Georgien-Experte Stephan Malerius beobachtet die Lage in Tiflis schon lange. "Die Gesetzesinitiative hat es im letzten Jahr schon einmal gegeben. Damals hat das Gesetz die erste Lesung überstanden, dann gab es massive Proteste auf der Straße und es wurde zurückgezogen", erinnert er.

Relativ überraschend habe die Regierung dann dieselbe Initiative vor rund einem Monat auf Wiedervorlage gelegt. "Es handelt sich in der Substanz um dasselbe Gesetz, es ist nur im Titel leicht verändert", sagt Malerius. Trotz wiederholter massiver Proteste wolle die Regierung das Gesetz unbedingt durchbringen. Eine Lesung hat das geplante Gesetz bereits überstanden, die zweite und dritte Lesung sollen im Mai folgen.

Georgische Regierung wild entschlossen

"Danach geht das Gesetz zur Präsidentin, welche bereits angekündigt hat, ihr Veto einzulegen. Dafür hat sie zehn Tage Zeit. Doch die Regierung hat die parlamentarische Mehrheit, das Veto zu überstimmen", erklärt der Experte. Das wird aus seiner Sicht auch so erfolgen, sodass das Gesetz bereits Mitte Juni in Kraft sein könnte. "Es sind zwar noch einige Hürden zu nehmen, aber die Regierung zeigt sich wild entschlossen, dieses Gesetz umzusetzen."

Den Grund, mehr Transparenz schaffen zu wollen, hält er für vorgeschoben. "Es geht nicht um Transparenz, sondern um Kontrolle", ist sich Malerius sicher. Die Regierung habe bereits jetzt weitgehende Kontrolle über die Medien, die Justiz, die Verwaltung und die Regionen. "Was noch fehlt, ist die Zivilgesellschaft." Diese sei weitestgehend unabhängig und äußere immer wieder offen ihre Kritik. "Und sie kann mobilisieren. Das ist der Regierung ein Dorn im Auge."

Oligarch als Strippenzieher

Doch warum erfolgt die Gesetzesinitiative, die die Regierung unter Druck bringt, genau jetzt? Am 26. Oktober finden in Georgien Parlamentswahlen statt – bislang hatte die Regierungspartei in allen Umfragen mit großem Abstand geführt. Gleichzeitig ist die Opposition zerstritten, ohne klares Profil und ohne prominente Gesichter.

Auch Malerius sagt: "Mit Blick auf die Wahlen war die georgische Regierung fast unantastbar und hätte die Wahlen vermutlich deutlich gewonnen. Doch die aktuellen Proteste verändern die Gemengelage in Georgien wieder erheblich."

Das Motiv für die jetzige Wiedervorlage der Initiative kann aus Sicht von Malerius nur eines sein. "Es muss einen Anruf aus Moskau gegeben haben – bei Bidsina Iwanischwili, dem dominierenden Oligarchen und informellen Lenker der Politik in Georgien."

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Gesetz mit russischer Handschrift

In diesem Anruf müsse ihm klargemacht worden sein, dass dieses Gesetz jetzt verabschiedet werden soll oder muss. "Diese klare, deutliche Einmischung Russlands in die inneren Angelegenheiten Georgiens wird auch so von den Protestierenden gesehen", sagt Malerius. Deswegen würden die Demonstranten auch von einem "russischen Gesetz" sprechen: Einerseits trage es die russische Handschrift – 2012 gab es dort ein ähnliches Agentengesetz, welches in den Folgejahren dazu geführt hatte, dass die Zivilgesellschaft systematisch zerstört wurde.

"Andererseits war es ganz offensichtlich eine russische politische Initiative, die zu dieser Wiedervorlage des Gesetzes geführt hat", erklärt der Experte. Aus seiner Sicht ist es unabdingbar, dass sich die internationale Gemeinschaft, die EU und die Bundesregierung hinter die Protestanten stellt. "Sie müssen wissen, dass sie nicht alleine sind."

Georgien in Gefahr

Denn Georgien befindet sich in dauerhafter Bedrohung: Der Südkaukasus, wozu auch Armenien und Aserbaidschan zählen, ist aus russischer Perspektive die unmittelbare Nachbarschaft. "Russland sieht das als seine Einflusszone, in der es keine weiteren Akteure duldet. Die drei Länder sollen im russischen Orbit verbleiben", erläutert Malerius. Die Annäherung Georgiens an die EU störe Russland massiv. Gleichzeitig seien rund 20 Prozent des georgischen Territoriums russisch besetzt. Moskaus Truppen sind in den abtrünnigen Regionen Abchasien und Südossetien stationiert.

"Georgien ist kein Mitglied der Nato, kein Mitglied der EU und hat damit keine Sicherheitsgarantien gegenüber Russland", erinnert Malerius. Russland sei unmittelbarer Nachbar mit einer mehrere 100 Kilometer langen Grenze zu Georgien. "Militärisch und sicherheitspolitisch ist Georgien Russland ausgeliefert. Der russischen militärischen Übermacht gibt es nichts entgegenzusetzen", warnt der Experte.

Über den Gesprächspartner

  • Stephan Malerius ist Leiter des Regionalprogramms politischer Dialog Südkaukasus der Konrad-Adenauer-Stiftung.
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