• Die Landesregierung in NRW stellt ihren Islamunterricht neu auf: Eine Kommission aus sechs Verbänden soll künftig den islamischen Religionsunterricht gestalten.
  • Mitglied ist auch die Ditib – die Zusammenarbeit hatte zuletzt im Zusammenhang mit der Spitzelaffäre geruht. Auch jetzt sorgt die Beteiligung des islamischen Verbandes für harsche Kritik.
  • Wer ist die Ditib? Wie groß ist ihr Einfluss? Wir beantworten die wichtigsten Fragen.

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Es ist ein Politikum: In NRW hat Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) eine neue Kommission berufen, die gemeinsam mit dem Land den islamischen Religionsunterricht gestalten soll. Mitglied: Ausgerechnet die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion (Ditib).

Während Gebauer die Unterzeichnung der Verträge zur Zusammenarbeit in einem Statement als "Meilenstein für den islamischen Religionsunterricht in Nordrhein-Westfalen" bezeichnete, hagelte es aus der Opposition Kritik: Grünen-Politiker Özdemir forderte in der "Welt am Sonntag", die Entscheidung rückgängig zu machen, da mit ihr der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan Zugriff auf deutsche Schulen bekäme. "Ich könnte vor Wut explodieren und verstehe die Naivität nicht", sagte Özdemir.

Ansprechpartner für islamischen Unterricht

Bislang hatte ein Beirat als feste Vertretung islamischer Glaubensgemeinschaften als Ansprechpartner für den islamischen Religionsunterricht zur Verfügung gestanden – Ditibs Mitgliedschaft darin war nach einer Spitzelaffäre mehrerer ihrer in Deutschland tätigen Imame auf Eis gelegt worden.

Neben fünf weiteren nordrhein-westfälischen islamischen Organisationen wie etwa dem Verband der Islamischen Kulturzentren (VIKZ) und der Islamischen Religionsgemeinschaft NRW (IRG NRW) ist Ditib nun aber wieder mit an Board und erfüllt laut Landesregierung die gesetzlichen Voraussetzungen.

Wer ist die Ditib und wofür steht sie?

Die Ditib ist der größte islamische Verband in Deutschland und wurde 1984 mit Hauptsitz in Köln gegründet. Mittlerweile vertritt der Verein knapp 900 Moscheevereine und koordiniert deren religiöse, soziale und kulturelle Tätigkeiten. Laut eigenen Angaben erreicht der Verband damit rund 800.000 Menschen muslimischen Glaubens in Deutschland. Die Ditib ist auch die mitgliederstärkste Migrantenorganisation in Deutschland.

Die Ditib untersteht der türkischen Religionsbehörde Diyanet und wird von ihr mitfinanziert und gelenkt. Die Imame, die die Gemeinden betreuen, sind türkische Staatsbeamte. Sie wurden an theologischen Hochschulen in der Türkei ausgebildet und werden meist für fünf Jahre nach Deutschland entsandt.

Der Ditib-Vorsitzende – aktuell Kazim Türkmen – ist in Personalunion stets auch türkischer Botschaftsrat für religiöse und soziale Angelegenheiten. Die Ditib vertritt einen konservativen, türkisch-sunnitischen Islam. Ihre Glaubensschule ist die Maturidiyya Glaubensschule, einer der zwei großen Glaubensschulen im sunnitischen Islam.

Warum wird die Ditib-Beteiligung kritisiert?

Kritiker befürchten, mit der Beteiligung der Ditib in der Landeskommission könne der türkische Staat Einfluss auf deutsche Klassenzimmer nehmen. Denn als Teil einer hierarchischen Organisation ist die Ditib-Zentrale in Köln der türkischen Religionsbehörde unterstellt – sie wiederum bekommt direkte Anweisungen von Staatspräsident Erdogan.

NRW-Schulministerin Gebauer hielt dagegen, die Ditib habe "intern, aber auch öffentlich" eine "Staatsferne" dargelegt. Wie die FAZ schreibt, sollen der nordrhein-westfälische Ditib-Verband und seine Regionalverbände ihre Unabhängigkeit durch eine Satzungsänderung sichergestellt haben. Dadurch sei "der Einfluss von Ditib-Gremien, die maßgeblich vom türkischen Staat bestimmt werden, auf den Landesverband deutlich eingeschränkt und auf den islamischen Religionsunterricht gänzlich ausgeschlossen" worden, zitiert die FAZ das Schulministerium.

Grünen-Politiker Volker Beck hält das für naiv und sagte: "Wer glaubt, dass die inneren Verhältnisse sich bei der Ditib nach der Satzung richten, hat diese Organisation nicht verstanden."

Mehrfach bedenkliche Schlagzeilen

Mehrfach schon machte die Ditib bedenkliche Schlagzeilen: Etwa, weil sie den Völkermord an den Armeniern leugnet, weil Kinder im Vorschulalter in verschiedenen deutschen Ditib-Moscheen in Soldatenuniformen und mit türkischen Fahnen Kriegsszenen nachspielen mussten, oder weil sie sich nicht ausreichend von einem Comic für Kinder der türkischen Religionsbehörde Diyanet distanzierte, in dem der Märtyrertod verherrlicht wird.

Sauer stieß auch die Benennung von Ditib-Moscheen nach osmanischen Kriegsherren auf. So trägt beispielsweise in Baden-Württemberg die Eroberer-Moschee "Fatih Camii" den Kriegsnamen von Sultan Mehmet II, dem Eroberer Konstantinopels. Auch radikale Islamisten sollen im Umfeld der Ditib-Moscheen aktiv sein. 2018 wurde bekannt, dass das der Verfassungsschutz eine Einstufung der Ditib-Zentrale als Verdachts- oder Beobachtungsobjekt prüft.

Welchen Einfluss hat Ditib auf den Unterricht?

Ditib kann künftig über die Inhalte des Islamunterrichts in NRW mitbestimmen und dabei zum Beispiel über die Genehmigung von Lehrbüchern entscheiden. Die Kommission, in die Ditib eins von sechs Mitgliedern entsendet, nimmt dafür – analog zur Beteiligung der Kirchen beim katholischen und evangelischen Religionsunterricht – die einer Religionsgemeinschaft zugewiesenen verfassungsrechtlichen Aufgaben wahr.

Gegenüber dem Schulministerium kann Ditib in der Kommission so seine Interessen und Anliegen für den islamischen Religionsunterricht als Unterrichtsfach vertreten. Dazu zählt neben dem religiösen Einvernehmen mit neuen, in staatlicher Verantwortung erarbeiteten Kernlehrplänen auch die Lehrerteilung für den islamischen Religionsunterricht.

Was ist die rechtliche Grundlage?

Der islamische Religionsunterricht wurde in Nordrhein-Westfalen Ende 2011 von der damaligen rot-grünen Regierung eingeführt. Problem damals: Die staatsrechtliche Begünstigung für Religionsunterricht steht nur anerkannten Religionsgemeinschaften zu. Die muslimischen Verbände sind als solche nicht anerkannt. Als Lösung schuf man damals einen Beirat, der ersatzweise die Funktion einer Religionsgemeinschaft übernahm. Saßen in dem damaligen Beitrat noch acht Mitglieder, wovon das Schulministerium vier bestimmte, gibt es nun keine vom Ministerium bestimmten Mitglieder mehr.

Die sechs nun beteiligten Organisationen verpflichten sich in einem öffentlich-rechtlichen Vertrag mit dem Land zur Einhaltung der im Schulgesetz geregelten Vorgaben. Aktuell besuchen rund 22.000 Schüler an 260 Schulen islamischen Religionsunterricht. 300 in Deutschland ausgebildete Lehrerinnen und Lehrer unterrichten die Schülerinnen und Schüler dabei in deutscher Sprache und nach klar definierten Lehrplänen.

Aus Artikel 7 des Grundgesetzes und Artikel 14 der Landesverfassung geht hervor, dass die Inhalte des Religionsunterrichts von den Religionsgemeinschaften bestimmt werden. Es obliegt der jeweiligen Religionsgemeinschaft im Rahmen der Rechtsordnung und geltender Gesetze selbst, inwieweit sie in der Umsetzung des Religionsunterrichts eine reflektierte und selbstkritische Betrachtung einbezieht, oder ob sie einem dogmatischen Ansatz folgen möchte.

Verwendete Quellen:

  • Landtag NRW: Stellungnahme zum Gesetzentwurf der Fraktion der SPD „Gesetz zur Verlängerung des islamischen Religionsunterrichts als ordentliches Lehrfach (14. Schulrechtsänderungsgesetz)“
  • Schulministerium NRW: Ministerin Gebauer: Ein neues, erfolgreiches Kapitel für den islamischen Religionsunterricht
  • Landtag Baden-Württemberg: Stellungnahme des Ministeriums für Inneres, Digitalisierung und Migration. Benennung von Moscheen in Baden-Württemberg nach den grausamen Herrschern Sultan Mehmed II, genannt "Fatih der Eroberer" und Sultan Selim I, genannt "Yavuz" ("Der Grausame")
  • FAZ.net: NRW stellt Islamunterricht neu auf
  • Ditib.de: Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion
  • Welt am Sonntag: "Ich könnte vor Wut explodieren und verstehe die Naivität nicht"
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