In der südphilippinischen Stadt Marawi toben heftige Kämpfe zwischen Verbündeten der Terrormiliz "Islamischer Staat" und Regierungstruppen. Im Gespräch mit unserer Redaktion erklärt ein Philippinen-Experte, ob das Archipel zum neuen Stützpunkt der islamistischen Terroristen zu werden droht.

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Die Nachrichten, die uns von den Philippinen erreichen, sind erschreckend.

Mit der Terrormiliz "Islamischer Staat" verbündete Rebellen fielen in die Stadt Marawi im Südwesten des Archipels ein.

Sie sollen seither nach Angaben des Militärs rund 30 Zivilisten getötet haben, von mindestens vier Enthauptungen ist die Rede.

Es gebe zahlreiche Hinweise, dass die Rebellen alle Christen töteten, die in ihre Gefangenschaft gerieten.

Philippinen als Schlachtfeld des IS?

Es sind grausame Methoden, die vom IS aus Syrien oder dem Irak bekannt sind. Werden nun die Philippinen zum neuen Schlachtfeld?

Unsere Redaktion sprach mit dem Politikwissenschaftler und Philippinen-Experten Johannes Icking über die wichtigsten Fragen:

Wer kämpft auf den Philippinen gegen wen und warum?

"Einige islamistische Gruppierungen im Süden der Philippinen haben dem IS die Treue geschworen", sagt Icking, der als Koordinator des Aktionsbündnisses Menschenrechte Philippinen arbeitet. Wie der 34-Jährige erklärt, sind diese Gruppen jedoch nicht neu. Sie wären früher schon durch Kidnapping aufgefallen, gerade von deutschen Touristen.

"Anfangs hieß es, dass die Anbiederung an den IS dazu da sei, um Lösegelder in die Höhe zu treiben", schildert der Politikwissenschaftler. "Wir hören seit zwei Jahren aus der Region aber, dass Jugendliche ideologisch rekrutiert werden." Im Süden mit der Hauptinsel Mindanao lebten die meisten Muslime, erklärt Icking, dort, wo der Überfall auf Marawi stattfand.

Bereits seit den 1960er Jahren gebe es eine Unabhängigkeitsbewegung von zwei großen muslimischen Gruppen, der MILF (Islamistische Befreiungsfront der Moros, d. Red.) und der MNLF (Nationale Befreiungsfront der Moros, d. Red.), erzählt er.

Von diesen Gruppierungen hätten sich kleinere Gruppen abgespalten, diejenigen, die nun mit dem IS sympathisierten. Besagte islamistische Gruppen seien vor allem der Abu Sayyaf und der sogenannten Maute-Gruppe zuzuordnen, nicht selten seien Familien-Clans darunter.

Es gibt zudem Berichte, wonach auf Seiten der Abu Sayyaf Extremisten aus Malaysia und Indonesien kämpfen, sagt Icking. Auch die Amerikaner sollen seit langem mit Spezialkräften im Süden operieren. "Für sie ist die Region Teil ihres Kampfes gegen den Terror", erklärt er. Präsident Rodrigo Duterte müsse auf die USA zurückgreifen, "weil die philippinische Armee die Situation nicht unter Kontrolle bekommt".

Welche Rolle spielen die lokalen Extremisten von Abu Sayyaf und Maute?

Sie sind es, die die regulären Truppen attackieren, sagt der Philippinen-Experte. Sie seien dabei unübersichtlich bis gar nicht organisiert. "Abu Sayyaf etwa soll sich in bis zu zwölf Gruppen unterteilen. Diese Gruppen vertreten eine Version des Islam, wie man es vom "Islamischen Staat" kennt. Sie haben eine neue Front gegen die Armee aufgebaut", erzählt er.

Der Konflikt habe seit drei, vier Jahren an Brisanz zugenommen, schildert er. "Weil das Terrain so unübersichtlich ist, können sie sich sehr gut mit Guerilla-Taktiken zurückziehen. Sie greifen zum Beispiel Armee-Patrouillen aus dem Hinterhalt an - und das immer offensiver", erzählt er. "Der jüngste Angriff in Marawi ist der Höhepunkt."

Warum stürzt sich der IS ausgerechnet auf die Philippinen?

Von den etwas mehr als 100 Millionen Einwohnern sind rund 80 Prozent Katholiken, nur etwa fünf Prozent Muslime, erklärt Icking. "Sie werden Moros genannt, leben regional begrenzt im Süden, vor allem auf Mindanao, und das schon seit Jahrhunderten."

Erst Anfang des 20. Jahrhunderts sei der Konflikt ausgebrochen, als christliche Siedler kamen, erklärt er. "Die Muslime wollen ihre Unabhängigkeit oder zumindest eine Teilautonomie. Es handelt sich also eher um einen Konflikt um Land als um einen Religionskonflikt."

Schon in den 1960er Jahren habe es Kämpfe mit der Regierung gegeben. Die islamistischen Extremisten hätten sich nun ein Scheitern der Friedensverhandlungen der MILF mit der Vorgänger-Regierung zunutze gemacht, erklärt er die jüngste Eskalation.

Der IS und seine Verbündeten seien dabei auf den "idealen Boden" gestoßen. Die Bangsamoro-Region, in der die Muslime leben, gehört zu den ärmsten der Philippinen, erklärt er. "Die Menschen dort sind weitgehend abgeschnitten von staatlichen Leistungen. Speziell in dieser Region hat der Staat nie Fuß fassen können."

Wie viele Tote forderten die Kämpfe bislang?

"Am 25. Juni hat die Regierung mitgeteilt, dass es 290 tote Islamisten und 27 tote Zivilisten gab", erklärt Icking. Gerade die Zahl der getöteten Zivilisten dürfte jedoch deutlich untertrieben sein und in die Hunderte gehen, meint er.

"Es gibt nach wie vor Luftangriffe auf Marawi. Medienberichten zufolge liegen immer noch Leichen in den Straßen."

Drohen die Philippinen der neue Brennpunkt zu werden?

"Die Befürchtung ist, dass die Philippinen zum Anlaufpunkt für Extremisten in Südostasien werden", meint der Philippinen-Kenner zwar. "Meiner Einschätzung nach dürften sie dauerhaft aber nicht in der Lage sein, größere Gebiete zu halten."

Woanders würden die Menschen nicht mal was von den Kämpfen mitbekommen, diese seien territorial begrenzt.

Johannes Icking ist der Koordinator des Aktionsbündnisses Menschenrechte - Philippinen. Besagtes Netzwerk besteht aus sieben deutschen NGOs, die sich mit der Menschenrechtslage auf dem Archipel im Pazifischen Ozean beschäftigen. Der 34-Jährige studierte Politikwissenschaft in Berlin und London und forscht seit Jahren zu den Entwicklungen der Philippinen.
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